Wahlen in Norwegen: Das Comeback der Linken

Nr. 35 –

Die norwegischen Sozialdemokrat:innen befanden sich zuletzt in einer schweren Krise. Bei den anstehenden Parlamentswahlen dürfte ihnen der Machterhalt nun aber doch gelingen.

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Jonas Gahr Støre und Erna Solberg bei einem TV- und Radioduell
Ministerpräsident Jonas Gahr Støre von der Arbeiderpartiet und Erna Solberg von der konservativen Høyre-Partei bei einem TV- und Radioduell. Foto: Ole Berg Rusten, Imago

Das Wahljahr mit einer Regierungskrise beginnen? Für den amtierenden norwegischen Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre von der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet (AP) hätte der Zusammenbruch seiner Minderheitsregierung kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Ende Januar war seine Koalition zerbrochen, die Umfragewerte pendelten lange Zeit zwischen «schlecht» und «sehr schlecht» – und am 8. September wählt Norwegen nun ein neues Parlament.

Doch schon bei den letzten Wahlen hatte es lange nach einem rechten Wahlerfolg ausgesehen. Die Arbeiderpartiet schien keine Antwort auf das Powerplay der konservativen Høyre-Partei und ihrer rechtspopulistischen Juniorpartnerin von der FrP zu haben. Sie wurde schliesslich trotzdem stärkste Partei, musste allerdings mit 26 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit mehr als hundert Jahren hinnehmen. Es folgte eine Amtszeit im andauernden Überlebenskampf, der am Jahreswechsel 2024/25 eskalierte.

Verbesserungen für Familien

Die Stimmung beim Aus der Koalition beschreibt Audun Herning, Parteisekretär der linken Sosialistisk Venstreparti (SV), gegenüber der WOZ: «Was wir sahen, war, wie rechte und faschistische Parteien überall Zuwachs erhielten. Einer der Gründe dafür: der Vertrauensverlust vieler in die Politik.» Solche Apathie sei fruchtbarer Boden für die äusserste Rechte und zugleich der Tod für die parlamentarische Linke: «Besonders wenn man das Gefühl hat, dass sich sowieso nichts ändert, egal wie gewählt wird.» Dabei habe die Regierung in den letzten vier Jahren durchaus Fortschritte erzielt, gerade im Bereich der Unterstützung für Familien oder der Besteuerung von Superreichen. «Aber die Unzufriedenheit mit den beiden Regierungsparteien wuchs immer mehr.»

Die zentristische Senterpartiet (Sp), die Juniorpartnerin in der AP-Regierung, habe vor allem versucht, ihre eigene Klientel zufriedenzustellen, was dann auch zum Bruch der Koalition führte. Der Konflikt war an der Energiepolitik entbrannt, um die in Norwegen mit harten Bandagen gekämpft wird. Die Sp befürchtete aufgrund neuer Vorgaben der EU eine Erhöhung der Strompreise, die jene Norweger:innen treffen würde, die schon unter der Teuerung der letzten Jahre gelitten hatten.

Obwohl die Regierung auseinanderfiel, entzog die Sp Gahr Støre nicht das Vertrauen. Die frei gewordenen Ministersitze besetzte die AP rasch mit ein paar ihrer bekanntesten Eminenzen. So übernahm der ehemalige Ministerpräsident und Nato-Sekretär Jens Stoltenberg das frei gewordene Finanzministerium. Durch «sichere Werte» aus der Vergangenheit wie Stoltenberg und auch den erfahrenen Gahr Støre sollen die Wahlen gewonnen werden. Die Strategie scheint in Zeiten des Kriegs gegen die Ukraine, des Kriegs im Nahen Osten und Donald Trumps Unberechenbarkeit aufzugehen.

Mit dem Zerbrechen der Regierung begann für die Sozialdemokratie eine Aufholjagd. Gemäss aktuellen Wahlumfragen könnte die AP mit einem leichten Zugewinn von einem halben Prozentpunkt erneut stärkste Partei werden. Die grossen Verschiebungen werden woanders erwartet, was die Regierungsbildung zu einer Zitterpartie werden lassen könnte. Der Senterpartiet wird ein Debakel vorhergesagt. Sie könnte zwei Drittel ihrer Sitze verlieren. Ebenfalls grosse Bewegungen werden bei den beiden rechtesten Parteien im Parlament erwartet: Der rechtskonservativen Høyre droht am Wahltag ein Einbruch von etwa fünf Prozentpunkten und ein Verlust von bis zu zwölf Sitzen im Parlament. Davon profitieren könnte vor allem die rechtspopulistische FrP, die zur grössten Oppositionspartei würde. Sie könnte ihren Wähler:innenanteil auf 20 Prozent und die Zahl ihrer Mandate auf über 40 der insgesamt 169 Sitze verdoppeln.

Marxist:innen in der Regierung?

Während die Grünen vermutlich bei vier Prozent Wähler:innenanteil stagnieren werden, erwartet man bei der sozialistischen SV, die mit ihrem ökosozialistischen Fokus ein ähnliches Profil aufweist wie die Schweizer Grünen, leichte Verluste. Diese werden wahrscheinlich durch Zugewinne der marxistischen Partei Rødt aufgefangen. Zusammen sollten Rødt und SV auf etwa zwölf Prozent der Stimmen kommen und könnten so eine Rolle bei den Verhandlungen zur Regierungsbildung spielen. Rødt war 2007 vor allem aus der maoistischen Arbeidernes kommunistparti hervorgegangen, die SV entstand in den siebziger Jahren als Zusammenschluss von Sosialistisk Folkeparti und Kommunistischer Partei. Der norwegischen Linken dürfte die Dominanz von Wirtschafts- und Verteilungsfragen im Wahlkampf geholfen haben, ihr Niveau zu halten. Keine Rolle gespielt hat im Wahlkampf die Migrationsthematik.

Dass die Strategie der norwegischen Sozialdemokratie, «ein sicherer Wert» zu sein, langfristig aufgeht, darf bezweifelt werden. Er beobachte ein Wegbrechen einer gemeinsamen Diskursebene, erklärt SV-Sekretär Herning: «Die Debatten zersplittern in unzählige Minikampagnen auf algorithmusbasierten sozialen Medien.» Um da durchzudringen, müssten die Linken eine radikale Kritik an der aktuellen Wirtschaftsweise mit Forderungen verknüpfen, die Verbesserungen für die Menschen brächten.