Kost und Logis: Von Notfall zu Notfall

Nr. 36 –

Ruth Wysseier über das politische Versagen bei der Pflegeinitiative

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Ich bin eingeladen, Bern fit zu machen für künftige Pandemien. Man habe mich zufällig ausgewählt, steht im Brief der Uni Bern. Der Ton ist dringlich («BEready»!): «Seien Sie mit Ihrer Familie, Ihren Haustieren, der WG oder als Einzelperson dabei», steht da. Vor allem die Haustiere machen mich neugierig. Wir haben unsere Katze sehr geschätzt, als wir während Covid so viel zu Hause waren. Sie brachte Abwechslung in die Stube, während ich den Sauerbrotteig aufgehen liess.

Allerdings schreckt das Kleingedruckte dann doch ab: Regelmässig Fragebögen für Mensch und Tier ausfüllen ginge ja noch. Aber körperliche Untersuchung und Blutprobe zu Beginn, später selbstständig Blutstropfen von der Fingerkuppe abnehmen, Nasenabstriche vornehmen und einschicken. Und wenn die Katze Anzeichen von Durchfall hat, eine Kotprobe sammeln und einschicken? Oder gar Abstriche im Rachen der Katze machen? Spätestens hier wäre ich überfordert.

Viel dringender fände ich, dass die Politik als Vorbereitung auf die nächste Pandemie und zur Verbesserung der heutigen Situation entschlossen gegen den Pflegenotstand vorginge. Jedes Parlamentsmitglied war doch schon mal im Spital oder besuchte dort Angehörige; alle wissen, worum es geht. Und wenn es ihnen an Empathie oder Fantasie mangelt, gibt es diesen wunderbaren Film zum Thema: Petra Volpes «Heldin», der die Arbeitsbedingungen und den Stress einer Pflegenden zeigt, wenn die Spätschicht personell unterbesetzt ist. Wenn man den Film gesehen hat, möchte man schreien: «Solche Arbeitsbedingungen sind unmenschlich! Jetzt macht doch was!»

Weiss man im Parlament nicht, dass in der Schweiz jeden Monat 300 Pflegende ihren Beruf aufgeben? Ein Wunder, dass noch nicht alle gekündigt haben. Dann müssten wir alle zu Hause bleiben, auch wenn wir schwer erkrankt sind oder die nächste Pandemie kommt. Mit den Vorschlägen des Bundesrats sei es unmöglich, die Leute länger im Beruf zu halten, kritisierte der Berufsverband des Pflegefachpersonals im Mai. Es werde «auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten und auf Kosten der Pflegenden bei der Pflegequalität» gespart.

Während die Film-«Heldin» von Notfall zu Notfall eilt, hat es das Parlament mit der Umsetzung der Pflegeinitiative, die 2021 mit über sechzig Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde, nicht sehr pressant. Im Juni gab es in Bern eine Vorführung von «Heldin», zu der die Parlamentarier:innen geladen waren. Gerade 8 (von 246) sind der Einladung gefolgt. Im Juli hat die Gesundheitskommission dann das Geschäft auf den Herbst verschoben. Sie bemängelte, dass der Bundesrat keine Vorschläge gemacht hat, wer für die verbesserten Arbeitsbedingungen bezahlen soll.

Der Film ist übrigens sehr erfolgreich, auch international. Er wurde in Deutschland, Österreich und England gefeiert. Hierzulande haben ihn bald 200 000 Leute gesehen. Die Schweiz hat den Film für den Oscar für den besten internationalen Film angemeldet.

Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee. Sie empfiehlt, am 22. November 2025 nicht zu Hause zu bleiben, sondern zur Kundgebung des Gesundheitspersonals auf den Bundesplatz zu gehen. Und natürlich empfiehlt sie den Berner Haushalten, die Forschung zu unterstützen und bei «BEready» mitzumachen (www.beready.unibe.ch).