Im Affekt: Reinster Stoff
Nein, den perfekten Ehemann und Vater gibt Haftbefehl nicht ab. Er sagt: «Mein Leben ist keine Kellogg’s-Werbung.» So verbraucht und aufgedunsen der Rapper im Verlauf des Films wirkt, gibt er doch immer wieder diese beissenden Sätze von sich. Ein anderer: «Umso mehr Geld man hat, umso mehr kokst man.»
Die rege diskutierte Netflix-Doku «Babo – Die Haftbefehl-Story» fokussiert auf diesen Teil im Leben von Aykut Anhan, dem bedeutendsten deutschen Rapper: seine Kokainsucht, die ihn seit seiner düsteren Jugend in Offenbach begleitet und ihn nach einer Überdosis fast das Leben kostet. Die Kamera ist schmerzhaft nahe dran an Zerfall und Elend des Rapstars, was dem Film die Kritik einbrachte, seinen Protagonisten voyeuristisch auszubeuten.
«Babo» ist kein brillanter Film. Er geht weder psychologisch noch politisch noch biografisch in die Tiefe, ist in einer uninspirierten Hochglanzästhetik gedreht, bis auf die im Stich gelassene Ehefrau und Mutter der beiden Kinder spielen Frauen darin eigentlich keine Rolle, man erfährt nicht viel über Musik oder die Musikindustrie, nicht einmal über Kokain. Aber man erfährt doch sehr viel über Haftbefehl.
Vor allem, dass in dessen oft herausgespuckten, immer schonungslosen Zeilen, in denen er sich die Sprache so zurechtstanzt, wie er sie gerade braucht, eigentlich alles drinsteckt: der Schmerz, die Abgründe der Klassengesellschaft, die Berge von Kokain, die eher Bewältigungsstrategie als Glamour sind, die Emotionalität, die er ausserhalb seiner Kunst nicht besonders gut ausdrücken kann. Dass dieser Aykut Anhan trotz seines aggressiven Stils überhaupt kein Düsterling, sondern im Grunde ein freundlicher, sensibler Kerl ist.
Und dass er ein Meister der Wirkung ist. Den Filmemachern hat er freie Hand gelassen, alles zu zeigen, was sie wollen. Wieso er nie gefordert habe, bestimmte Szenen wieder herauszuschneiden, wird er zum Schluss gefragt. «Nein Mann, ’s muss ehrlich sein, Bro», antwortet er. Keine Demontage, sondern reinster Haftbefehl-Stoff.
Einmal geht er seine Luxusklamotten durch und meint dann: «Meine Unterhose ist von Aldi, die sieht niemand.»