In den Minen der RSF: Schürfen für die Kriegskasse

Nr. 50 –

Der Krieg im Sudan ist nicht zuletzt ein Krieg ums Gold. Geflüchtete Minenarbeiter berichten im Nachbarland Tschad von den unmenschlichen Zuständen in den Abbaugebieten in Darfur.

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Schürfer klettern aus einem Minenschacht
Der Goldabbau im Sudan wird bis heute grösstenteils handwerklich betrieben: Schürfer im östlichen Teil des Landes im Jahr 2013. Foto: Reuters

Abubaker Aldum Adam befand sich etliche Meter unter der Erde, als er am Morgen des 15. April 2023 von oben das gedämpfte Knallen von Schüssen hörte. Grundsätzlich war das nichts Neues für den Schürfer. Denn zwischen den Schächten von Dschebel Amir, einem riesigen Abbaugebiet mit einem der üppigsten Goldvorkommen des Sudan, ist der Einsatz von Feuerwaffen eine fast schon alltägliche Sache. Seit Kleinschürfer dort 2011 die ersten bescheidenen Goldfunde machten, haben unterschiedliche bewaffnete Gruppen immer wieder um die Kontrolle über das Gebiet gekämpft – am erfolgreichsten die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Generalleutnant Mohammed Hamdan Daglo, bekannt als Hemeti. In jenem Frühling, als Aldum die Schüsse hörte, befand sich Dschebel Amir schon seit Jahren unter der Kontrolle der RSF, auch wenn die Mine auf dem Papier zu dem Zeitpunkt der sudanesischen Armee unterstellt war.

Triebfeder des Krieges

Aldum brach seine Arbeit ab, um zu sehen, was über Tage los war. Eilig kletterte er im engen Schacht, den er zusammen mit seinen Kollegen in Handarbeit mit Spitzhacken in die Erde getrieben hatte, zurück in Richtung Tageslicht. «Als ich oben ankam, sah ich Menschen panisch in alle Richtungen davonlaufen, und schloss mich an», erinnert sich Aldum. Warum an jenem Morgen in Dschebel Amir geschossen wurde, weiss er nicht. Er habe nicht gefragt, erzählt er, sondern sei einfach gerannt, barfuss und ziellos wie alle anderen.

Komplexe Besitzverhältnisse

Im Sudan gehört ungenutztes Land formal dem Staat. Das gilt auch für rohstoffreiche Gebiete etwa mit Goldvorkommen, in denen der Staat die Lizenzvergabe offiziell reguliert. Tatsächlich aber werden weite Landstriche seit Generationen von lokalen Gruppen oder Gemeinden genutzt, die darauf als traditionelle Eigentümer Anspruch erheben.

Wird irgendwo Gold gefunden, verpachten die traditionellen Besitzer das Land üblicherweise an private Investor:innen, die dafür bezahlen, einen Schacht zum Schürfen anlegen zu dürfen. Anschliessend heuern sie Arbeitskräfte an, die sie mit Geld oder einem Anteil am geförderten Gold bezahlen. Die Minenbetreiber müssen an lokale Machthaber, Sicherheitskräfte oder Zwischenhändler Schutzgeld, Lizenzgebühren oder «Tribut» bezahlen. Grosse Teile der Minenregion Darfurs werden heute von den RSF kontrolliert, die vor Ort auch als Sicherheitskräfte auftreten und Abgaben kassieren.

Der 15. April 2023 war der Tag, an dem der Machtkampf an der Spitze der sudanesischen Militärregierung eskalierte. Mit den ersten Gefechten zwischen Hemetis RSF und der Armee unter General Abdel Fattah al-Burhan begann jener Krieg, der im Sudan bis heute tobt. Für beide Kriegsparteien hat das Edelmetall seither eine noch grössere Bedeutung als bereits zuvor. «Beide Seiten finanzieren den Krieg zu einem Grossteil durch den Verkauf des Goldes», sagt Marc Ummel von der NGO Swissaid. In einer Studie kam die Organisation im Mai 2024 zum Schluss, dass der Sudan trotz Krieg jedes Jahr zwischen siebzig und neunzig Tonnen Gold fördert. Der Grossteil davon gelangt über Dubai, die Wirtschaftsmetropole in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), auf den Weltmarkt (vgl. «Von Darfur nach Dubai – und weiter in die Schweiz?»). Die Emirate wiederum werden beschuldigt, die RSF, denen schwerste Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden (siehe WOZ Nr. 45/25), mit der Lieferung von Waffen, Munition und Fahrzeugen zu unterstützen. Der seit Jahren steigende Goldpreis macht den Krieg um den Zugang zu den Vorkommen immer lukrativer.

Aldum ist in der westdarfurischen Stadt Kreinik aufgewachsen. Seine Erfahrungen im Goldbergbau hat er in fünf verschiedenen Goldminen in Darfur gesammelt, die allesamt von den RSF kontrolliert wurden. Zuvor waren manche davon bereits in der Hand der Dschandschawid-Milizen gewesen, aus denen 2013 die RSF hervorgingen. Im selben Jahr fing Aldum an, sich den Lebensunterhalt als handwerklicher Goldschürfer zu verdienen. Während der heute Dreissigjährige vom brutalen RSF-Regime erzählt, dem er überall ausgesetzt war, sitzt er im Schneidersitz auf einer Bastmatte in einer Hütte aus Ästen und Stroh. Nach Kriegsausbruch ist er vor der Gewalt der Paramilitärs geflohen, seit August 2023 lebt er in der tschadischen Stadt Adré, nur zwei Kilometer von der sudanesischen Grenze entfernt. 40 000 Einwohner:innen hatte Adré, bevor der Krieg im Sudan begann. Seither haben 230 000 Menschen hier Zuflucht gesucht. Aldum lernte unter ihnen andere Schürfer kennen, die wie er ursprünglich aus Kreinik kommen: Mustafa Noredin Ibrahim und Adil Dschagub Mohammed.

Das Gold von Darfur

Karte des Sudan und umliegenden Ländern
Karte: WOZ

Im Quecksilberdampf

Dass gerade ein Krieg begann, der noch viel mehr Gewalt, Vertreibung und Tod nach Darfur bringen würde, ahnte Aldum am 15. April 2023 noch nicht. Für ihn war es zunächst nur ein weiterer von vielen lebensgefährlichen Tagen. Kaum war er aus dem Schacht gestiegen, griff die rundum herrschende Panik auf ihn über. Er habe sich nicht einmal die Zeit genommen, seine wenigen Besitztümer einzusammeln. Monatelang hatte er dafür geschuftet: In einem engen Stollen schlug er Gestein aus dem Berg, das seine Kollegen über Tage anschliessend immer weiter zerkleinerten und wuschen, bis sich der feine Goldstaub, gebunden durch beigefügtes hochgiftiges Quecksilber, zu kleinen Brocken verfestigte. Diese wurden anschliessend über dem Feuer erhitzt, bis das Quecksilber verdampfte und einigermassen reines Gold zurückblieb.

In den Jahren des Goldrauschs haben die Schürfer von Dschebel Amir auf einer Fläche von mittlerweile etwa 26 Quadratkilometern die sandige, trockene Erde im kargen Buschland aufgewühlt, Schächte und Tunnel in die Erde getrieben, den Boden wie einen Käse durchlöchert. Neben den Eingängen liegen Haufen aus Sand und Kies, der Aushub aus den Stollen. Zwischen den Löchern Zelte und Lehmhütten, in denen die Goldsucher schlafen, sowie Garküchen und Marktstände. Um eine zusätzliche Einnahmequelle zu haben, hatte Aldum seine ersten Einkünfte einst in ein kleines, einfaches Restaurant investiert. Eine Wellblechhütte mit ein paar Tischen und Stühlen, die er bei der überstürzten Flucht ebenfalls zurückliess.

Auch sein Erspartes, das er einem lokalen Händler anvertraut hatte, holte er nicht mehr ab. In Dschebel Amir wollte Aldum nie viel Geld oder Gold auf sich tragen, weil ihn die RSF-Paramilitärs als Angehörigen der Masalit, einer in Darfur seit Jahrzehnten marginalisierten und verfolgten Bevölkerungsgruppe, als eine Art Vogelfreien behandelten. «Wer nur ausgeraubt wird, hat noch Glück gehabt», sagt Aldum mit ruhiger Stimme. «Wer Pech hat, wird getötet.» Bei arabischen Zwischenhändlern wähnte er seinen wertvollsten Besitz deshalb in besseren Händen als bei sich selbst, auch wenn er seine Geschäftspartner sehr sorgfältig aussuchen musste. Etliche pflegten enge Kontakte zu den RSF. Was deren Mitglieder den Schürfern wegnahmen oder liessen, sei keiner Regel gefolgt.

Militärische Willkür

Ähnlich schildert es Mustafa Noredin Ibrahim, der ebenfalls in mehreren Minen unter RSF-Kontrolle Gold geschürft hat, 2021 während einiger Monate auch in Dschebel Amir. «Sie nehmen dir ab, was ihnen gerade passt», sagt Noredin. «Wenn ihnen danach ist, lassen sie dir etwas, sonst nehmen sie alles.» Wie viele Schürfer genau auf dem riesigen Feld arbeiten, lässt sich nicht sagen. Gemäss älteren Schätzungen von Behörden waren es zeitweilig bis zu 100 000. Und nicht nur im Abbaugebiet selbst sind die Arbeiter der militärischen Willkür ausgesetzt. An den Kontrollpunkten am Rand des Minengebiets stünden Bewaffnete, sagt Noredin. «Wenn du ihnen etwas gibst, womit sie zufrieden sind, lassen sie dich gehen. Wenn du versuchst, mit ihnen zu argumentieren, kann es passieren, dass sie dich töten», so der 28-Jährige. «Also stellst du keine Fragen und versuchst, sie zufriedenzustellen.»

Während Noredin spricht, wechselt sein Gesichtsausdruck zwischen Freude, Bitterkeit, Trauer und Angst. In Dschebel Amir habe es noch mehr Gold gegeben, als er selbst erwartet habe, erzählt er. Die Arbeit im Stollen teilte Noredin mit dreizehn weiteren jungen Männern; einen Teil ihres Gewinns mussten sie an einen Kleinunternehmer abgeben, der den Schacht bei den arabischen Beni Hussein, den traditionellen Besitzern des Landes, gegen eine Gebühr gepachtet hatte. Die Beni Hussein sind gut vernetzt und bewaffnet. Von den RSF werden sie oft als lokale Manager, Sicherheitskräfte und Mittelsmänner eingesetzt, die ihnen Teile der Einnahmen weiterleiten. Schlussendlich habe sich die Plackerei trotz der Abgaben gelohnt, erzählt Noredin: Nach zwei Monaten in Dschebel Amir habe jeder in seiner Gruppe 150 Gramm Gold für sich behalten können. Vor Ort entsprach das zu jenem Zeitpunkt einem Wert von schätzungsweise 4450 US-Dollar.

Die Freude über den Gewinn wich aber sofort der Angst. «Wir fühlten uns nicht mehr sicher, weil wir so viel Gold hatten», sagt Noredin. Nachdem sie das Gold unter sich aufgeteilt hätten, sei er mit seinen Freunden durch die Mine gegangen. Und wie so oft seien ihnen dabei Bewaffnete in den Weg getreten und hätten Geld oder Gold verlangt. Sie seien sofort losgerannt – wobei einer seiner Freunde in einen der kaum gesicherten Schächte gefallen und ums Leben gekommen sei. Er selbst habe mehr Glück gehabt: «Ich bin mit einem Fuss in einen Schacht getreten, aber ich konnte mich wieder nach oben ziehen», sagt Noredin.

Portraitfoto von Abubaker Aldum Adam
Abubaker Aldum Adam, Schürfer

Dschebel Amir sei «ein sehr gefährlicher Ort», fasst Abubaker Aldum Adam seine Erinnerungen zusammen. Er habe dort mindestens zehn Menschen, die ihm nahestanden, durch die Gewalt der RSF oder deren lokale Helfer verloren. Auch er erzählt von einer nächtlichen Hetzjagd durchs unwegsame Abbaugebiet. Sein Cousin sei dabei getötet worden – wobei die Paramilitärs in jener Nacht eigentlich nach ihm, Aldum, gesucht hätten: Nachdem er am Vortag den Geldforderungen der RSF-Männer nicht sofort habe nachkommen können, hätten sie ihn bestrafen wollen. Weil er sich aber versteckt habe, seien die Milizionäre auf seinen Cousin losgegangen. Beim Versuch, zu entkommen, sei er ebenfalls in einen Schacht gefallen und tödlich verunglückt.

Teilen, was da ist

Von den Jahren als Goldschürfer regelrecht gezeichnet ist Adil Dschagub Mohammed. Erst 25 Jahre alt, ist er körperlich ein gebrochener Mann: aufgrund von Verletzungen, die ihm Bewaffnete in Dschebel Amir zugefügt haben, und weil er einmal unter den Trümmern eines einstürzenden Grubenschachts begraben wurde. Nun kann er körperlich nicht mehr hart arbeiten, verträgt keine Sonne mehr. Immer wieder hat er grosse Erinnerungslücken. Dschagub strahlt eine tiefe Traurigkeit aus.

Portraitfoto von Adil Dschagub Mohammed
Adil Dschagub Mohammed, Schürfer

Elf Jahre alt war er, als er sich 2011 erstmals von Kreinik auf den Weg nach Dschebel Amir machte. Zusammen mit zwei Freunden, erzählt Dschagub; der Älteste sei dreizehn gewesen. «Meine Eltern wollten das nicht», sagt er. «Aber ich war der älteste Sohn und fühlte mich für die Familie verantwortlich.» Seine Eltern hätten Landwirtschaft betrieben, aber immer seltener ernten können, weil es in der Region zu Landnutzungskonflikten mit Viehhirten gekommen sei. Für Schulgeld reichte das Familieneinkommen nicht – auch dieses wollte er sich in den Goldgruben von Dschebel Amir verdienen.

Dort angekommen, wurden ihm und den anderen Kindern zunächst leichtere Arbeiten aufgetragen, etwa das Kleiderwaschen. Erst nach einiger Zeit durfte Dschagub in den Stollen. Er verdiente bald genug, um etwas Geld nach Hause schicken zu können. Aber auch er führte ein Leben in ständiger Unsicherheit und Angst. Als er einmal nach einer Nachtschicht aus dem Schacht gestiegen sei, habe ihn ein Paramilitär mit einem Messer attackiert, erzählt Dschagub. Womöglich habe der Angreifer auf seine Halsschlagader gezielt, glücklicherweise habe er aber nur das Schlüsselbein getroffen. Sein bloss zwei Jahre älterer Freund sei beim Versuch, ihn zu beschützen, selber niedergestochen worden. Als sie davongerannt seien, sei sein Freund nach wenigen Metern zusammengebrochen und verblutet. Und 2018, erzählt Dschagub, sei er in Dschebel Amir noch ein weiteres Mal von Paramilitärs angegriffen worden: Wie aus dem Nichts seien diese aufgetaucht und mit Stöcken und Messern auf ihn losgegangen. Er zieht sein weisses Gewand leicht zur Seite und legt eine Narbe an der Schulter frei, fährt mit der Hand weiter darüber: Auch hier hätten sie ihn verletzt, wohl weil er Masalit sei. In Todesangst sei er damals losgerannt, schneller, als er sich das selbst je zugetraut hätte. Und sei noch einmal davongekommen.

Portraitfoto von Mustafa Noredin Ibrahim
Mustafa Noredin Ibrahim, Schürfer

Nun sitzt Dschagub in Adré vor einer Hütte, die er mit seiner Familie teilt, und wartet. Darauf, dass im Sudan endlich der Krieg aufhört. Und darauf, dass er wieder kräftig genug wird, um arbeiten zu können. Sein Telefon klingelt: Dschagubs Bruder hat beim Fussballspielen versehentlich jemanden leicht verletzt, und die Behandlung kostet Geld. Dschagub verspricht, sich darum zu kümmern. Wie er das machen soll, weiss er noch nicht – ohne eigenes Einkommen und auch ohne Unterstützung durch die Uno oder internationale Hilfsorganisationen. Wenn er Glück habe, würden Noredin, Aldum oder andere Geflüchtete ihm bei den Behandlungskosten unter die Arme greifen. Denn manchen hier gelingt es, gelegentlich etwas Einkommen zu erzielen, als Träger auf dem Markt zum Beispiel oder in ähnlichen Hilfsjobs.

Wer könne, unterstütze jene, die es noch dringender bräuchten, erklärt Dschagub. Was immer sie aber untereinander teilen, müssen sie hier und jetzt in Adré verdienen – denn von der Arbeit in den Goldminen Darfurs ist niemandem von ihnen etwas geblieben.

Diese Recherche wurde mit einem Stipendium von «real21 – die Welt verstehen» unterstützt.