Tierwelt: Die Frau und ihr Fischer
Zwischen Flamingos und Palmen ist in Studen BE ein kleines Paradies bedroht: Ein Riesenwels frisst Stefanie Schwabs teure Zierenten. In diesem modernen Märchen tritt ein Mann im Flammenhemd gegen das Ungeheuer an.
Es war einmal ein Restaurant im November 2025. Zwischen Palmblättern und Wandbildern von Sonnenuntergängen bestellen die Gäste Fitnessteller und Vermicelles. Draussen staksen Flamingos, die Fontäne speit hoch über den Teich, und Papageien kreischen.
Das Tropenpflanzenrestaurant Florida. Eine kleine Oase im Dorf Studen bei Biel.
Der Mann, der an diesem Abend vor der Besitzerin Stefanie Schwab sitzt, ist irgendwie anders. Anders als die über fünfzig Fischerinnen und Fischer, die in den letzten Monaten ihr Glück in ihrem Teich versuchten – alle in Vollkörper-Anglermontur, mit ihren Fischerruten und Paddelbooten.
Im modernsten Märchen der Schweiz gibt es keinen Wolf. Sondern einen eineinhalb Meter langen Schatten, der im «Florida»-Teich kreist, unter trägen Karpfen und schillernden Kois, doch die interessieren den Schatten schon lange nicht mehr. Schwab will den Schatten loswerden, unbedingt, weil er die falschen Tiere verschlingt: ihre kostbaren Zierenten. 79 habe er bereits auf dem Gewissen. 200 Franken das Paar, weg mit einem Haps.
Der Mann von heute Abend trägt ein Hemd mit flammendem Flügelmuster. Er ist Schwabs letzte Hoffnung vor dem Winter. Er hat ihren Aufruf in den sozialen Medien gesehen: «Mutiger Welsflüsterer gesucht.» Der dreissigjährige Raubfisch ist zu gross geworden für seinen Teich. So wie viele Welse derzeit, nicht nur in der Schweiz. Fast monatlich werden neue Rekorde gemessen, 2,43 Meter lang und über hundert Kilo schwer war ein Fang im August im Neuenburgersee. Ein anderer Riesenwels sorgte diesen Sommer in Bayern für Schlagzeilen: Nachdem er Badegäste angegriffen hatte, erschoss ihn ein Polizist mit seiner Dienstwaffe. In der Schweiz schwimmen heute mehr als zehnmal so viele Welse wie noch vor zwanzig Jahren, das zeigen Zahlen des Bundesamts für Umwelt.
Mit den immer wärmeren Gewässern haben wir uns so einiges eingebrockt. Unter anderem, dass zurückgekehrt ist, was wir längst aus unseren Teichen verbannt glaubten, was wir Schweizerinnen und Schweizer nur noch aus Geschichten über Nessie, Leviathan oder Moby Dick kannten: die Angst vor Seeungeheuern.
Schwab fragt ihren Ritter im flammenden Shirt: «Wie sicher bist du, dass du ihn rausholst?» Er zögert nicht: «98 Prozent.»
Die Enten und der «Arschlochwels»
Um sich 79 Zierenten bildlich vorzustellen, muss man zuerst einmal wissen, was Zierenten sind: nicht heimische Entenvögel, oft zur Dekoration gehalten. Herrliche Mandarinenten, die wie Minipapageien übers Wasser gleiten. Bahamaenten in zarten Pastellfarben, entzückende Rotschulterenten. Schwab kann sie alle benennen. Sie bestellt sie bei einer Zucht in der Schweiz. Sie ist am «Florida»-Teich gross geworden. Schon in den vierziger Jahren hielt ihr Grossvater hier Flamingos. Heute führt sie das Unternehmen zusammen mit ihrem Mann, die Tochter arbeitet bereits fleissig mit. Zur Anlage gehört nicht nur das Tropenpflanzenrestaurant Florida, sondern auch ein Hotel, eine Pizzeria und eine Minigolfanlage. Jeden Tag freut sie sich, wenn sie auf dem Dach des Restaurants steht und einen grossen Kessel Futter in den Teich kippt. Wenn alle ihre «Änteli» angeschwommen kommen und die Kois wild platschen und mitessen, blickt sie runter auf das kleine Paradies, das sie zu ihren Füssen geschaffen hat.
Aber irgendwo, vermutlich hinten bei der grossen Fontäne, lauert er. Der «Arschlochwels», wie Schwab ihn nennt.
Gewinner des Klimawandels
Der Welsflüsterer am Tisch vor gemalten Palmen im Sonnenuntergang ist aus Baden angereist. Jürg Knobel hat nicht mehr viele Jahre bis zur Rente, kommt eigentlich aus der Informatik, arbeitet heute als Drohnenfilmer. Vor neun Jahren lenkte er seine Drohne über den Kühlturm des Atomkraftwerks Leibstadt und veröffentlichte die Aufnahmen auf seinem Youtube-Kanal, «um zu polarisieren und eine Debatte anzustossen». Der Fall wurde von zahlreichen Medien aufgenommen.
Er hat vom Andrang der Fischerinnen und Fischer gelesen, die es sich zur Mission gemacht hatten, den Wels zu erlegen. Teils campierten sie wochenlang am Teich, manchmal schwammen fünfzehn Angelhaken gleichzeitig im Wasser. Bestückt mit Würmern, Tintenfisch und – ausgerechnet – Entenbrust. Ohne Erfolg. Der Wels liess sich nicht ködern. «Also bitte», sagt Knobel. Für ihn sei das Tierquälerei. Deshalb sei er hier, um diesem Rummel ein Ende zu setzen, ein für alle Mal. Wie er das genau anstellen will, verrät er noch nicht, wie jeder echte Magier. Er ist weder Fischer noch Hobbyfischer, nur als Kind hat er es ein paarmal probiert.
Schwab hat Vermutungen. Schliesslich hat sie einiges erlebt in letzter Zeit. Hat gesehen, wie sich Anglerin nach Angler an den Teich stellte wie an einen Glücksspielautomaten. Wie die Stunden die Zuversicht aus ihren Gesichtern wischten und sich Frust hineinfrass, wie sie ohne erhofften Ruhm wieder abdackelten, eine nach dem anderen. Schwab beginnt zu raten: Fischerrute? Nein, sagt der Welsflüsterer. Boot? Nein. Echolot? Nein. Harpune? Sprengstoff? Auch nicht, illegal. Hypnose? Auf keinen Fall. Und nichts Spirituelles. Aber er könne gut mit Tieren. Er werde ihn erwischen. Die Filmaufnahmen vom Fang will er online stellen.
Am nächsten Morgen soll es früh losgehen. Einen Wels habe er noch nie gefangen, die Königsdisziplin. Diesen Räuber mit walzenförmiger Gestalt, schleimig und schuppenlos. Mit seinem kräftigen Schwanz, der den Fisch blitzschnell vorwärts katapultiert, und langen Barteln, die Schnurrhaaren gleich jede Bewegung wahrnehmen. Der verschlingt, was vor seine Glupschaugen gerät. Zum Glück keine Menschen, auf unserer Haut fühlen sich seine kleinen Zähne an wie Schmirgelpapier. Welse sind scheu und meiden uns, wenn wir nicht gerade ihrem Gelege zu nahe kommen, in der Laichzeit zwischen Mai und Juli.
Während andere Arten im Klimawandel eingehen, gedeiht der Wels. Er hat kaum natürliche Fressfeinde, zerstört ganze Fischbestände, und je länger das Wasser im Herbst warm bleibt, desto länger bleibt er aktiv. Die Raubfische bedrohten nicht nur das ökologische Gleichgewicht im See, warnte im Sommer ein Experte am Gardasee: Auch kleine Hunde seien gefährdet. Auf Youtube zeigen immer mehr Videos, wie Welse im flachen Wasser Tauben jagen.
Schwabs Vater bekam den Riesenfisch vor dreissig Jahren geschenkt. «Damals war er noch klein und herzig», sagt sie. Er setzte ihn im Teich aus, um seinen Kindern und den Gästen eine Freude zu machen. Ohne ahnen zu können, welche Konsequenzen das für die folgenden Generationen haben würde. Der Wels selber kann auch nichts dafür, dass er jetzt die Zierenten frisst, es ist bloss eine Reaktion auf das, was wir tun. Der Mensch schafft sich seine Monster selbst.
Nur noch 21 von 100 Zierenten schwadern im Teich.
«Es ist so traurig», sagt Schwab und blickt auf das Wasser. Fast bei jeder Fütterung muss sie zuschauen, wie weniger Enten kommen. Am schlimmsten sei es, wenn die monogamen Pärchen auseinandergerissen würden und nur noch eine von ihnen zum Frühstück auftauche.
Ihren Liebling hat der Wels auch schon erwischt: ein Büffelkopfentchen, das vor Freude immer besonders schnell hergepaddelt kam, «mehr U-Boot als Ente», sagt Schwab.
Ihren Hund, einen Zwergspitz, lässt sie nicht mehr ans Ufer.
Dass auch sonst nichts mehr ist wie früher, weiss sie mit 51 Jahren. Klar, heute haben sie Servierroboter, die durch die Palmenblätter gleiten. Aber sie haben auch Fachkräftemangel, Stammgäste, die altern, während die Jungen ihr Abendessen lieber nach Hause aufs Sofa bestellen und Onlineseminare Hotelbuchungen abgelöst haben. Da ist jeder zusätzliche Verlust besonders schmerzhaft.
Fressen oder gefressen werden
Es dämmert. Die Zierenten ziehen neugierig erste Schneisen, die Mandarinenten, Bahamaenten, Rotschulterenten. Regen prasselt in ihren Teich. Halb acht Uhr morgens.
Knobel hat nicht geschlafen. Gemeinsam mit seiner Partnerin hat er die ganze Nacht über seinen grossen Moment vorbereitet. Kameras aufgestellt, das Material bereitgelegt, alles nochmals durchgesprochen. So lange, bis die Flamingos wegen des Lichtkegels zu viel Radau gemacht hätten, wie pinke Wachhunde.
«Das könntest du auch nicht mit jeder Frau machen», sagt Knobel stolz. Mit ihm werde es nie langweilig, sagt seine Partnerin. Die beiden sind seit ein paar Jahren zusammen.
Am Boden liegen Taucherflossen und ein grosses Netz. Knobel hat das Tauchbrevet, früher durchkämmte er Schweizer Seen nach Schätzen. Einmal fand er im Zürichsee ein teures Messer, ein anderes Mal mehrere Goldvreneli. Sein Plan für heute: den Wels mit Lichteffekten zur seichten Stelle treiben. Dort will er ihn in ein Netz locken. Er schaut zum trüben Teich. Fünf Meter tief. Es riecht nach Herbst und Faulschlamm. «Das Wichtigste ist dabei, ruhig zu bleiben. Nicht in Panik verfallen da unten», sagt er.
Was, wenn er den Jackpot knackt?
Darüber gab es gestern Abend noch eine Diskussion unter den Palmblättern. Schwab will den Wels bei einem Kapitänslunch ihren Gästen servieren. Hundert Filets, der Fisch schmecke wie Rind. «Ein super Speisefisch, obwohl ihn noch fast kein Restaurant auf der Karte hat. Dabei wäre das doch eine gute Lösung», sagt sie.
Knobel passt das ganz und gar nicht. Er will den Fisch in der Alten Aare aussetzen, dem ursprünglichen Flusslauf vor der Juragewässerkorrektion im 19. Jahrhundert – heute ein kleiner, wenige Meter breiter Fluss. Aber das sei verboten, sagte Schwab. «Ist mir egal», sagte Knobel, «sollen sie ruhig kommen.» Der Wels sei zu gross, fresse dort bloss die anderen Fische, sagte Schwab. So sei die Natur, sagte Knobel: «Der Wels soll weiterleben.»
Immer mehr Menschen sind Schwabs Meinung. In einer Onlineabstimmung des Fischereimagazins «Petri-Heil» stimmten vierzig Prozent für eine Eindämmung des Raubfischs. Noch sei Welsfischen ein Nischenhobby. Ein wichtiger Grund dafür: Der Wels ist überwiegend nachtaktiv. Für viele Schweizer Gewässer gilt ein Nachtfischverbot.
Es geht los. Gleich wird Knobel im trüben Teich verschwinden. Seiner Partnerin erklärt er noch, wie sie ihm die Rettungsboje zuwerfen soll, falls. Es ist still, das Restaurant ist noch geschlossen. Nur der Regen prasselt, hin und wieder rufen die Enten und Flamingos.
Knobel zieht sich an.
Fleece-Unterzieher. Anzug. Haube. Taucherbrille. Taschenlampe. Flossen. Luftflasche.
Der Anzug zwickt, es ist zehn Jahre her, seit Knobel ihn das letzte Mal getragen hat. Immer wieder öffnet er den Reissverschluss, so warm ist ihm. Er hat für die Jagd auf das Seeungeheuer alles genauestens durchdacht. Hat eine Blache dabei, um den gefangenen Wels einzupacken, der Palettenrolli steht bereit, um ihn zu seinem Auto zu bringen und von dort zum Fluss.
Der letzte Atemzug
«Gopfriedstüdeli», flucht Knobel plötzlich. Er hat gerade die Luftflasche auf seinen Rücken gehievt, da hält er inne. Ein leises Sausen. Er hievt die Flasche wieder vom Rücken, schraubt an allen Rädchen. Es saust weiter.
Ein Leck. Klitzeklein.
Dabei hat er das Material vorher extra noch professionell testen lassen.
Er steht wenige Meter neben dem Teich. So kurz davor, den Jackpot zu knacken. Dann muss er die Mission abbrechen. «Ich bin zwar verrückt, aber nicht lebensmüde», sagt er und reibt sich die übernächtigten Augen. Der ganze Aufwand für nichts. Wegen eines einzigen undichten Verschlusses ist der Wels auch ihm durch die Finger geglitscht. Und es war nicht mal seine Schuld.
Er steht da eine Weile in voller Montur im kalten Regen, lässt den Frust einsickern.
Knobel zieht sich wieder aus. Luftflasche. Flossen. Taschenlampe. Handschuhe. Taucherbrille. Haube. Anzug. Fleece-Unterzieher.
Dann zieht er davon, wie die fünfzig Anglerinnen und Angler vor ihm. Zehn Minuten später sitzt er in Adiletten bei Zopf und Kaffee am Frühstückstisch. Er will wieder herkommen. Bis der Wels aus dem Teich ist, bestellt Stefanie Schwab keine neuen Zierenten nach, sagt sie.
Zwei Wochen später wagt Knobel den zweiten Versuch. In Tauchermontur steigt er in den Teich. Im trüben Wasser sieht er den Wels mehrmals dicht vor sich, schwimmt neben ihm her wie in Zeitlupe. Er spannt Netze, kreist ihn ein, hat sogar ein Reservenetz parat. Aber jedes Mal, wenn sein Licht den Fisch trifft, verschwindet dieser im Dunkel, immer wieder. Knobel kommt nahe. Aber nie nah genug. Der Wels lässt sich nicht fangen.
Der Welsflüsterer will es weiter probieren, unbedingt. Er hängt am Haken. Der «Arschlochwels» vom Tropenpflanzenrestaurant Florida hingegen lebt weiter. Man kann sich zu 98 Prozent sicher sein: Die letzten 2 Prozent bleiben unberechenbar.
Tiere als Klimaprofiteure: Invasiv? Kommt drauf an
Es wird wärmer: Die Schneefallgrenze steigt, im Mittelland gibt es immer weniger Frosttage. Manche Tiere bringt das in Bedrängnis, etwa das ans Hochgebirge angepasste Alpenschneehuhn. Sein Gefieder ist im Sommer braun gesprenkelt, im Winter wird es weiss. Wenn sich der Schnee verspätet, bietet es keine Tarnung mehr – im Gegenteil. Anderen Vogelarten, etwa dem Bienenfresser mit seinem farbigen Federkleid oder dem Wiedehopf mit seinem typischen Federkamm, behagen hingegen die wärmeren Temperaturen.
Ein solcher Klimaprofiteur ist auch der Europäische Wels. Er mag über zwanzig Grad warmes Wasser, besonders sauber oder sauerstoffreich muss es nicht sein. Damit ist er besser an die Erwärmung der Gewässer angepasst als die meisten anderen Fischarten. In wärmeren Flüssen und Seen pflanzt er sich auch erfolgreicher fort.
Wenn es um Arten geht, die vom wärmeren Klima profitieren, ist ein Unterschied wichtig: Die einen breiten sich aus eigener Kraft aus; die anderen wurden von Menschen transportiert und leben nun in Regionen, in die sie es selbst nie geschafft hätten. Bei Pflanzen spricht man in diesem Fall von Neophyten, bei Tieren von Neozoen. Zu den bekanntesten Neozoen in Europa gehört der Waschbär. Auch er profitiert von wärmeren Wintern. Ebenso die Pazifische Auster: Sie stammt aus dem Meer um Japan und Korea und wurde im letzten Jahrhundert für Aquakulturen in die Nordsee importiert. Man ging davon aus, dass sie sich nicht von allein ausbreiten würde. Doch inzwischen wird die Nordsee immer wärmer, und die Auster macht der angestammten Miesmuschel den Platz streitig.
Und der Wels? Es ist kompliziert: Sein natürliches Verbreitungsgebiet reicht von Ostfrankreich über Südschweden bis Afghanistan. Im Rhein, in der Donau und deren Zuflüssen ist er heimisch, also auch in der Aare und den mit ihr verbundenen Schweizer Mittellandseen. Auf die Südseite der Alpen hätte er es allerdings allein nie geschafft. In den Tessiner Seen, verschiedenen Gewässern Italiens und Spaniens wurde er ausgesetzt.
Macht dieser Unterschied einen Unterschied für den Umgang mit dem grossen Fisch? «In Gewässern ausserhalb seines natürlichen Verbreitungsgebiets stellt der Wels eine standortfremde und potenziell invasive Art dar», schreibt das Bundesamt für Umwelt auf Anfrage. Der Kanton Tessin habe für die Fischer:innen im Schweizer Teil der Südalpenrandseen «eine Tötungspflicht für einen grossen Teil der standortfremden Arten verordnet, darunter auch für den Wels». Ein schweizweites Welsmanagement gebe es nicht.