Ja zur 13. AHV-Rente: Der Durchbruch
Wie der Linken die Sensation gelang und wieso die Bürgerlichen bald nur noch die Reichen an der Goldküste erreichen.
Erstmals in der Geschichte der AHV stimmten die Schweizer:innen einer Erhöhung der AHV-Renten zu – und das erst noch deutlich. Der Begriff «historisch» ist für einmal angebracht, es handelt sich um eine sozialpolitische Sensation. Nichts von dem, was vorausgesagt wurde – es werde knapp, wahrscheinlich scheitere die Vorlage am Ständemehr –, ist eingetroffen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Kampagne der Linken war gut gemacht, wirkte undogmatisch und nahe an der Lebensrealität vieler Bewohner:innen dieses Landes. Das Ja dürfte auch mit den höheren Krankenkassenprämien oder den steigenden Mieten zu tun haben. Den Kaufkraftverlust spürt auch der Mittelstand und somit die bürgerliche Basis. Nicht zuletzt scheinen auch viele die Benachteiligung der Frauen in der Vorsorge nicht weiter hinnehmen zu wollen. Jede vierte Frau muss aktuell allein mit der AHV-Rente zurechtkommen.
Die zusätzliche AHV-Rente lindert nun die finanziellen Probleme vieler Rentner:innen. Ausserdem fängt sie für jene, die während Jahrzehnten in die Pensionskasse einzahlen mussten, wenigstens zum Teil die enormen Rentensenkungen auf, die in den letzten Jahren die Versprechungen der zweiten Säule Lügen straften.
Das Ja ist aber auch ein Symptom dafür, wie weit sich die bürgerlichen Parteien und das von ihnen dominierte Parlament und der Bundesrat von der Lebenswirklichkeit der Mehrheitsbevölkerung entfernt haben. Die Annahme der Initiative (und das wuchtige Nein zur Rentenaltererhöhungsinitiative der Jungfreisinnigen) stellt eine Desavouierung sondergleichen dar, die bürgerliche Rentenpolitik ist krachend gescheitert. Die Bürger:innen wünschen sich eine Stärkung der AHV. Damit ist die politische Glaubwürdigkeit aller bürgerlichen Parteien ramponiert. Sie sind offensichtlich nicht in der Lage, die Stimmung im Land zu lesen und angemessene Problemlösungen anzubieten.
Dafür gibt es einen Begriff: Politversagen. In den nächsten Wochen und Monaten wird es interessant zu beobachten sein, wie dieses historische Ereignis in die bürgerlichen Parteien hineinwirkt: Die SVP-Führung hat sich bei beiden Vorlagen gegen die eigene Basis gestellt; die FDP mit ihrer ideologischen Engführung ist ohnehin längst keine Volkspartei mehr, auf die Grünliberalen war sozialpolitisch nie Verlass – und die Glaubwürdigkeit der Mitte ist mit dem rentenpolitischen Schwenk ins rechtsbürgerliche Lager angeschlagen.
Die bürgerlichen Parteien müssen sich den Vorwurf der Klientelpolitik für die Reichen gefallen lassen. Vor allem diese haben sie mit ihren Anti-AHV-Argumenten abgeholt: Wo die Reichen leben, war die 13. AHV chancenlos. Etwa an Zürichs Goldküste; in Erlenbach stimmten bloss 32 Prozent der Initiative zu. In weniger wohlhabenden, aber auch nicht links geprägten Orten ergibt sich hingegen ein anderes Bild: Im aargauischen Spreitenbach zum Beispiel legten 68,9 ein Ja in die Urne. Wie das eindeutige Ständemehr zeigt, tut sich in der Schweiz in dieser Frage kein Stadt-Land-Graben auf, sondern einer zwischen der breiten Bevölkerung und den Reichen.
Dieses Problem werden die bürgerlichen Eliten nicht so rasch los: Im September kommt die von ihnen gezimmerte Pensionskassenreform an die Urne. Die Versicherten sollen mit hohen Lohnabzügen die Pensionskassen stabilisieren – also erheblich mehr bezahlen für weiter sinkende Renten. Dass diese Reform an der Urne versenkt wird, ist alles andere als unwahrscheinlich.
Für die Linke dagegen hat sich an diesem Wochenende ein Fenster geöffnet: Gewerkschaften und SP haben über ihr Lager hinaus an sozialpolitischem Gewicht gewonnen. Auch weil sie ungeachtet der parteipolitischen Präferenzen nahe an den Sorgen der Menschen waren – wie übrigens schon während der Coronakrise. Verfolgen sie diesen Pfad in diesem Jahr konsequent weiter, sind noch mehr Erfolge möglich, etwa im Juni mit der Prämienentlastungsinitiative.
Ob der aktuelle historische Abstimmungserfolg die politische Landschaft verändert? Weg von einer neoliberal geprägten Politik, hin zu einer am Gemeinwohl orientierten? Es ist ein Traum, dessen Erfüllung gerade ein bisschen wahrscheinlicher geworden ist.