Die Israelisierung der US-Politik: Feuer mit Feuer bekämpfen
Die USA scheinen nichts aus den Fehlern Israels im Nahen Osten gelernt zu haben. Im Gegenteil.
Mit Verblüffung habe ich in den letzten Monaten beobachtet, wie die USA die verfehlte Strategie Israels in Nahost übernommen haben. Werden die USA so lange wie Israel brauchen, um zu erkennen, dass einen Krieg zu beginnen nichts ist im Vergleich damit, einen Krieg zu beenden – und dass eine militärische Besetzung weder Frieden noch Sicherheit bringt?
Zwei Fotos, beide in der «International Herald Tribune» am 16. Juni 2003 erschienen, sprechen Bände. Eines zeigte einen israelischen Soldaten in Hebron, der sein automatisches Gewehr auf Zivilisten richtete, die mit erhobenen Händen dastanden. Das zweite zeigte einen US-Soldaten, der exakt dasselbe im irakischen Faludscha tat. Wäre da nicht die Bildlegende gewesen, die beiden Fotos hätten nicht unterschieden werden können.
Die beinahe täglichen Angriffe auf US-Truppen gehen weiter, und die USA stecken – wie Israel – mehr und mehr in einer militärischen Besetzung ohne Ende fest. Die Lage wird noch dadurch verschärft, dass die USA staatliche Institutionen zerschlagen haben, was Millionen von Irakern arbeitslos machte.
Die USA und Israel sind beide mächtig und verwundbar zugleich. Die USA scheinen Israels schlechteste Seiten hervorzulocken und umgekehrt. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat Washington Israels klaustrophobische Sicht einer Welt voller Hass und Terroristen verinnerlicht. Der Optimismus, der nach dem Ende des Kalten Krieges aufkam, hat einem rachsüchtigen Pessimismus Platz gemacht.
US-Präsident George Bush tritt in die Fussstapfen des israelischen Premiers Ariel Scharon, wenn er die dramatischen Ereignisse der letzten zwei Jahre dazu benutzt, einen neuen theologischen Patriotismus zu schaffen, um die Basis für seine Regierung zu stärken und mit denjenigen auf Konfrontationskurs zu gehen, die «uns für das hassen, was wir sind». Damit sind meist Muslime gemeint.
Weder Israel noch die USA machen sich die Mühe, zu fragen, warum Palästinenser und Muslime aus dem Nahen Osten Selbstmordattentate begehen. Solche Attentate gab es in den letzten vierzehn Jahrhunderten im Islam nicht und auch nicht in Palästina. Haben etwa die israelische Besetzung und die militärische Vorherrschaft der USA den Nahen Osten in fruchtbaren Boden für Hass verwandelt? Anstatt die Quelle der Spannungen trockenzulegen, hat Washington zur israelischen Besetzung eine weitere Besetzung hinzugefügt. Wie pyromanische Feuerwehrleute setzen US-Behörden Scharons Kriegsphilosophie um: Feuer mit Feuer bekämpfen.
Die Israelisierung des amerikanischen Kriegs gegen den Terrorismus bedeutet die Globalisierung von Scharons Kriegsführung: militärischer Einmarsch ohne Anlass, verdeckte Operationen, bewaffnete Interventionen, unverhältnismässige Vergeltungsmassnahmen, aussergerichtliche Hinrichtungen und andere Massnahmen, die lange als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit galten. Doch es hat sich gezeigt, dass diese Massnahmen untauglich sind. Israel ist unsicherer geworden, trotz der andauernden Gewalt, mit der politische Konflikte gelöst werden sollen.
Heute riskieren die USA, ihre Art zu kämpfen zu verinnerlichen. «Wenn du den Schwachen zu lange bekämpfst, wirst du selbst schwach», hält einer der führenden Militärhistoriker Israels, Martin van Creveld, richtig fest. Leider rät Bush den Palästinensern, die irakische Lektion zu lernen, anstatt selbst von den strategischen Fehlern Israels zu lernen.
Wenn die Vereinigten Staaten ihre Aussenpolitik weiter israelisieren, werden sie also die Art des Konfliktes, wie er in Palästina herrscht, globalisieren. Das wird nicht nur im Ausland, sondern auch in den USA schwerwiegende Folgen haben. Die Erfahrungen Israels zeigen, dass nationale Leidenschaften, die auf Furcht gründen, den demokratischen Prozess beeinträchtigen. Vernünftige Erklärungen werden als Rechtfertigungen, Toleranz als Unmoral abgetan.
So wie es eine diplomatische Alternative zu Israels verfehlter Politik in Palästina gibt – gestützt auf internationales Recht und nachhaltige Entwicklung und nicht auf das Ungleichgewicht der Macht und auf Ausbeutung –, so muss auch eine bessere Alternative zur unilateralen und muskelstrotzenden Aussenpolitik der USA gefunden werden.
Nationale Sicherheit in einer globalisierten Welt zu erreichen, bedeutet, die gegenseitigen Abhängigkeiten anzunehmen und zu respektieren. Sobald Sicherheit als universelles Recht verstanden wird, kann aus der gegenseitigen Abhängigkeit ein Zeichen von Weisheit statt von Schwäche werden.
Der Autor ist Dozent für internationale Beziehungen an der amerikanischen Universität von Paris.
Siehe auch das Dossier Palästina-Israel