Imperialer Moralismus
Die Außenpolitik der USA wird sich nicht grundlegend ändern, nur weil jetzt die Mehrheit im Senat den Demokraten, im Repräsentantenhaus dagegen den Republikanern gehört. Das Wahlergebnis vom 8. November demonstriert vielmehr, wie stark der neokonservative Militarismus vieler republikanischer Abgeordneter und der moralische Neoimperialismus vieler Demokraten sich überlappen.
Das ist freilich nichts Neues. Schon der Demokrat Woodrow Wilson hatte die USA in den von imperialen Rivalitäten gekennzeichneten Ersten Weltkrieg hineingezogen, angeblich um „die Demokratie auf Erden zu sichern“. Was ihn nicht daran hinderte, den Ku-Klux-Klan zu preisen. Zu Zeiten des Kalten Kriegs waren republikanische wie demokratische Präsidenten entschlossen, die „freie Welt“ gegen das „Reich des Bösen“, also den atheistischen Kommunismus zu verteidigen.
Nach dem Untergang der Sowjetunion begann der „Krieg gegen den Terrorismus“, der laut George W. Bush „die Tyrannei in der Welt“ beenden würde. Korea, Vietnam, Afghanistan, Irak – die demokratischen Kreuzzüge der USA kosteten nicht nur mehrere Millionen Menschenleben, sie brachten auch die Einschränkung der Freiheitsrechte, den McCarthyismus, die Jagd auf Whistleblower. Und reihenweise Bündnisse mit Diktatoren und Gewaltverbrechern, denen Gewaltenteilung ein Fremdwort war. Doch solange sie auf der Seite der USA standen, brauchte keiner von ihnen – ob Suharto in Indonesien, die Rassisten in Südafrika oder Pinochet in Chile – den Verlust der Macht (oder des Lebens) durch eine Militärintervention des Westens zu befürchten.
Dass derzeit ein Demokrat im Weißen Haus residiert, dürfte es sogar leichter machen, den imperialen Hegemonieanspruch als Kampf für die Demokratie zu maskieren. Selbst angesichts eines so widerwärtigen Gegners wie Putin wäre die transatlantische Linke schwerlich einem Richard Nixon, einem George Bush oder einem Donald Trump nachgelaufen.
Auch der französische Kolonialismus präsentierte sich als Erfüllung einer von der Aufklärung inspirierten Mission, was ihm die Unterstützung von progressiven Intellektuellen verschaffte. Heute legitimiert sich die moralische Wiederaufrüstung des Westens im Kampf gegen den russischen, iranischen und chinesischen Autoritarismus.
Am 24. Oktober begrüßten 30 demokratische Abgeordnete die Ukraine-Politik von Präsident Biden, forderten aber auch Verhandlungen zur Beendigung des Kriegs. Diese eher banale Plädoyer löste auf Twitter einen derartigen Kriegstaumel aus, dass fast alle tapferen Unterzeichner ihre Unterschrift umgehend zurückzogen.
Der Abgeordnete Jamie Raskin demonstrierte die hohe Kunst des geistigen Tiefflugs, die für Zeiten der Einschüchterung typisch ist: „Moskau ist das globale Zentrum für antifeministischen, schwulen- und transfeindlichen Hass wie auch der Theorie vom Großen Austausch. Diesen faschistischen Ansichten treten wir entgegen, indem wir die Ukraine unterstützen.“
In der Aufzählung fehlt nur der Kampf gegen die Erderwärmung. Dann hätten wir die findige Neudefinition der US-Kriegsziele beisammen, die sich die künftige imperialistische Linke auf die Brust heften wird.
Serge Halimi