Kriegspoker

Le Monde diplomatique –

Die Rüstungshilfe für die Ukraine müsse sich auf „Defensivwaffen“ beschränken. Es gelte eine „direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland“ zu verhindern, denn die wäre gleichbedeutend mit einem „Dritten Weltkrieg“ – mahnte Joe Biden am 12. März 2022.

Das war einmal. Ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine liefert der Westen Mi-17-Helikopter, Panzerhaubitzen, Kamikaze-Drohnen, Langstrecken-Raketenwerfer sowie Kampfpanzer vom Typ Abrams und Leopard. Die heute formulierten roten Linien werden morgen überschritten. Als Biden jetzt am 31. Januar versicherte, die USA werden die von Kiew geforderten Kampfjets nicht liefern, konnte man sich bereits denken, was als Nächstes kommen wird. Jedenfalls werden in Militärkreisen bereits die Vorzüge der schwedischen Gripen-Fighter gegenüber den US-amerikanischen F-16 erörtert.

Offenbar kann nichts die militärische Eskalation stoppen, die an die Stelle anfänglicher Verhandlungen getreten ist. Am 8. Februar sagte US-Außenminister Antony Blinken auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: „Wenn wir den Kriegsverlauf zugunsten der Ukraine verändern, ist dies das beste Mittel, um eine Perspektive für echte Diplomatie zu schaffen.“ Und Präsident Biden wirft das ganze Gewicht der USA in die Waagschale, wenn er erklärt, die Ukraine werde siegen. Man werde das Land „so lange unterstützen, wie es nötig ist“.

Nach dem Fiasko in Afghanistan, würde jeder Rückzieher als Zeichen der Schwäche gedeutet. Auch für die EU, die sich ebenfalls stark engagiert, wäre es eine strategische Demütigung. Auf der anderen Seite mobilisiert Putin alle verfügbaren Kräfte, um einen Konflikt für sich zu entscheiden, bei dem es aus seiner Sicht um das Schicksal und das Überleben der russischen Nation geht. Die Vorstellung, dass ein in die Enge getriebenes Russland seine Niederlage anerkennt, anstatt noch zerstörerischere Waffen einzusetzen, ist ein Pokerspiel.

Demnächst könnte sich also die Frage stellen, ob westliche Truppen in die Ukraine entsendet werden. Bisher lehnt Washington das ab. Allerdings hatte auch US-Präsident Lyndon B. Johnson im Oktober 1964 erklärt: „Wir werden keine amerikanischen Jungs 9000 oder 10 000 Meilen von zu Hause entfernt einsetzen, um zu erledigen, was asiatische Jungs selbst erledigen sollten.“ Kurz darauf änderte er seine Meinung. Ab 1965 wurden 3 Millionen „amerikanische Jungs“ nach Vietnam geschickt. 58 300 von ihnen kamen nie zurück.

Ein unmöglicher Sieg, ein vorhersehbares Patt, das Beharren auf einem Irrweg, nur um das Gesicht zu wahren. Aber ist dies ein historischer Irrweg nur für Putin und Russland? Die USA haben im Irak und in Afghanistan gezeigt, dass sie nicht in der Lage sind, Lehren aus dem Vietnamkrieg zu ziehen. Nguyen Chi Vinh, der ehemalige vietnamesische Vizeverteidigungsminister, meinte Mitte März 2022 in Richtung Kiew: „Wir sollten unseren ukrainischen Freunden sagen, das sie nicht gut beraten sind, ihr Land zu einer Arena der Machtpolitik werden zu lassen, sich auf militärische Stärke zu verlassen, um ihrem großen Nachbarn entgegenzutreten und sich im Wettstreit der Großmächte auf eine Seite zu schlagen.“

Kiew hat sich, mit Rückendeckung und massiver Waffenhilfe der Nato, überzogene Kriegsziele wie die Rückeroberung der Krim in den Kopf gesetzt. Wer diesen Kampf bis zum bitteren Ende unterstützt, trägt dazu bei, dass der Krieg andauert, sich ausweitet und immer härter wird.

Benoît Bréville