Nickel aus Neukaledonien

Wir werden Frankreich nicht durch das Tor verlassen, um zum Fenster wieder hereinzukommen und zu betteln.“ So formulierte Jean-Marie Tjibaou 1988 die Marschrichtung seiner Unabhängigkeitsbewegung in dem französischen Überseegebiet Neukaledonien. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes war für Tjibaous Front de Libération Nationale Kanak et Socialiste (FLNKS) lange Zeit das zentrale Element im Kampf um die Entkolonialisierung.
Diese Strategie sprach viele in Neukaledonien an, die sich um das Wohlergehen ihres Archipels sorgten. Und sie verfing auch bei denen, die den Verbleib in der Französischen Republik befürworteten.
Um wirtschaftlich souverän zu werden, mussten jedoch die kolonialen Mechanismen verändert werden, mit denen sich wenige auf Kosten der Allgemeinheit bereicherten. Außerdem galt es von staatlichen Finanztransfers unabhängig zu werden. Hierfür setzten die Verfechter der Unabhängigkeit insbesondere auf die Ausbeutung der Nickelvorkommen auf der Hauptinsel Grande Terre.
In den 1970er Jahren hatte der französische Staat massiv Mittel in die lokalen Wirtschaftskreisläufe gepumpt. Offiziell, um den Nickelboom zu stützen, inoffiziell, um die Insel wirtschaftlich am Tropf des Mutterlands zu halten und den Unabhängigkeitsbestrebungen entgegenzuwirken. In dieselbe Richtung gingen zunächst auch die Abkommen von Matignon (1988) und Nouméa (1998), die den Prozess der Entkolonialisierung steuern sollten.
Der französische Staat beziehungsweise die EU finanzierten Beamtengehälter und -pensionen sowie Steuererleichterungen; sie sorgten für den Finanzausgleich zwischen indigenen und nichtindigenen Bürger:innen sowie zwischen den Provinzen Nord und Îles Loyauté, die ärmer sind, und der stärker industrialisierten Provinz Sud.
Mit den Abkommen wurden spezifische Steuervergünstigungen eingeführt, um produktive Investitionen im Land zu fördern. Sie spielten eine wesentliche Rolle beim Aufbau der Wirtschaftsstrukturen, führten aber auch zu erheblichen Einnahmeausfällen für den Fiskus und zu Mitnahmeeffekten. So wurden in der Hauptstadt Nouméa in den letzten 30 Jahren zahlreiche Anwaltskanzleien eröffnet, die sich auf die Ausnutzung von Steuervergünstigungen spezialisiert haben.
In diesem Umfeld setzte die Unabhängigkeitsbewegung auf den Rohstoff Nickel als wichtigsten Hebel zur Erreichung ihrer Ziele. In Neukaledonien werden 5 Prozent der globalen Nickelreserven vermutet, womit das Archipel weltweit über die fünftgrößten Vorkommen verfügt. Die Nickelindustrie erwirtschaftete nach Zahlen der Zentralbank des französischen Pazifik (IEOM) Anfang der 2020er Jahre 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Inselgruppe und generierte mehr als 90 Prozent der Exporte des Archipels. Fast ein Viertel der Bevölkerung arbeitete direkt oder indirekt für diesen Sektor.1
Um die Einnahmen aus dem Nickelabbau im Land zu behalten und eine höhere Wertschöpfung zu erzielen, entwickelte die FLNKS ihre „Nickel-Doktrin“ mit den folgenden drei Prioritäten: Kontrolle des Rohstoffs durch die öffentliche Hand, Einstellung der Ausfuhr von Rohnickel zugunsten von vor Ort verarbeitetem Nickel (mit Ausnahme der neukaledonischen Offshore-Werke) und Übernahme der Kontrolle über die Société Le Nickel (SLN), die den Nickelsektor Neukaledoniens lange Zeit dominierte.
Weniger Geld aus Paris
Diese unkonventionelle Strategie, noch vor der Unabhängigkeit eine Quasiverstaatlichung des Sektors anzustreben, hatte zum Ziel, die von der Société de participation minière du Sud calédonien (SPMSC) seit den 1990er Jahren verfolgte Politik auf der Ebene des gesamten Archipels zu wiederholen. Die SPMSC ist durch die Ausweitung ihrer Abbaugebiete zum größten neukaledonischen Exporteur von Roherz aufgestiegen und ging eine Partnerschaft mit dem – später von Glencore geschluckten – multinationalen Konzern Falconbridge ein. Ziel war der Bau der wichtigen „Fabrik des Nordens“ Koniambo Nickel SAS (KNS), an der die SPMSC und Falconbridge beteiligt sind.
Kontrolliert wird die SPMSC von der Investmentgesellschaft der Provinz Nord (Sofinor) und damit von einem Management, das die Eigenständigkeit Neukaledoniens anstrebt. Die SPMSC schmiedete eine weitere Partnerschaft mit dem südkoreanischen Multi Posco, um auf der koreanischen Halbinsel neukaledonisches Erz zu verarbeiten. Von den Anteilen an dieser Fabrik hielt die SPMSC 51 und Posco 49 Prozent.
Für die Unabhängigkeitsbewegung wurde dieser Verteilungsschlüssel zu einem zentralen Baustein, der es ermöglichen sollte, die Kontrolle über die Industrie zu behalten und 51 Prozent der potenziellen Dividenden in die neukaledonische Wirtschaft und öffentliche Dienstleistungen zu reinvestieren.
Das Werk in Korea wurde 2008 eröffnet, das KNS-Werk 2013 an der Westküste der Nordprovinz, wo es bis dahin keine Industrieinfrastruktur gegeben hatte. Durch den riesigen Metallurgiekomplex wurden in drei Gemeinden direkt oder indirekt fast 4000 Arbeitsplätze geschaffen.
Die Bevölkerung des Gebiets verdoppelte sich dadurch zwischen 1996 und 2019 auf 14 000 Einwohner.2 Die vielen Zulieferverträge von KNS wurden nicht nur an bereits etablierte lokale Wirtschaftsakteure vergeben, sondern auch an neue einheimische Unternehmen, an denen die Clans der Region über Aktienbesitz beteiligt sind.
Dass die FLNKS die Nickelvorkommen schrittweise verstaatlichen will, hat andere Akteure des Sektors zum Handeln bewegt. So haben sich alle drei Provinzen (Nord, Sud, Îles) in einer gemeinsamen Finanzgesellschaft, der Société Territoriale Calédonienne de Participation Industrielle (STCPI), zusammengeschlossen, um sich am Kapital der SLN zu beteiligen.
Die SLN besitzt über die Hälfte der Schürfrechte auf Grande Terre und die einzige historische Nickelverarbeitungsanlage des Archipels, die bereits 1910 in Nouméas Stadtteil Doniambo eröffnet wurde. Derzeit hält die STCPI zwar nur 34 Prozent der Anteile an der SLN, deren Mehrheitsaktionär der französische Metallkonzern Eramet ist – nach dem Willen der Separatisten soll die STCPI aber langfristig 51 Prozent des Kapitals besitzen.
Die Nickel-Doktrin der FLNKS hat über die Unabhängigkeitsbewegung hinaus Anklang gefunden. Sie rief aber auch heftigen Widerstand hervor, insbesondere bei den „kleinen Bergleuten“, also den wenigen neukaledonischen Unternehmen, die sich auf den Abbau und Export von Roherz spezialisiert haben.
Andere frankreichtreue und eher neoliberal denkende Wirtschaftsakteure sind hingegen der Ansicht, die Nickelindustrie solle multinationalen Unternehmen mit entsprechenden Investitionsmöglichkeiten überlassen werden. Sie befürchten, dass letztlich lokale Gebietskörperschaften für die Schulden des Sektors aufkommen müssen.
Ein Risiko der Nickel-Doktrin besteht zudem darin, dass hier eine Monoindustrie auf den volatilen internationalen Markt trifft. Die Produktion von Roherz ist nach wie vor profitabel, die Produktion von verarbeitetem Nickel hingegen aufgrund des Preisverfalls, des Anstiegs der Energiepreise und der Konkurrenz aus Billiglohnländern wie Indonesien stark defizitär.
Aktuell liegt der Preis für eine Tonne verarbeiteten Nickels nur noch bei rund 15 000 US-Dollar, gegenüber 24 000 US-Dollar im Jahr 2022. Damals hatte der Krieg in der Ukraine den Preis für verarbeitetes Nickel an der Londoner Metallbörse im März sogar kurzzeitig auf über 100 000 US-Dollar pro Tonne getrieben.
2023 gab die SPMSC ein nach dem Vorbild des koreanischen Werks entwickeltes Offshore-Metallurgieprojekt in China auf. Im selben Jahr wurde das Schürfgelände der SLN in Poum im äußersten Norden von Grande Terre geschlossen, wodurch mehr als 300 Arbeitsplätze verloren gingen. Aufgrund ihrer Schwierigkeiten wandten sich die neukaledonischen Werke mehrfach an den französischen Staat.
Derweil verfolgt Paris seine eigene Strategie. Nickel kommt nicht mehr nur als primär in der „Fabrik des Nordens“ produziertes geringerwertiges Nickel Klasse 2 für die Produktion von Edelstahl zum Einsatz, sondern auch für die Herstellung von Batterien für Elektrofahrzeuge. Nickel der Klasse 1, das dafür notwendig ist, wird in einem Werk in der Provinz Sud hergestellt. Hauptabnehmer ist der Elektroautohersteller Tesla.
Die Priorität der französischen Regierung besteht darin, die Versorgung mit strategischen wichtigen Mineralien durch Diversifizierung zu sichern. Ein Fokus liegt dabei auf dem Nickelmarkt, wo die Bildung eines chinesisch-indonesischen Oligopols befürchtet wird.
Frankreich verfolgt beim Umgang mit der Krise im neukaledonischen Metallsektor also seine eigenen Interessen, die sich – zumindest vorläufig – mit denen der „kleinen Bergleute“ dort decken. Im Gegenzug für seine finanzielle Unterstützung drängt Paris darauf, die Exportkanäle für Roherz wieder zu öffnen – mit dem Hintergedanken, es selbst abzunehmen und in Frankreich weiterzuverarbeiten.
Anfang 2025 konnte sich das Werk in Sud und das SLN-Werk in Nouméa dank Krediten und Bürgschaften von Paris noch über Wasser halten. Doch die am wenigsten rentable, mit mehr als 13 Milliarden Euro verschuldete „Fabrik des Nordens“ wollte es schließlich nicht weiter subventionieren.
Im Februar 2024 warf Glencore, der Partner von SPMSC, das Handtuch und kündigte den Rückzug aus der Fabrik an. Diese schloss am 31. August ihre Tore. 1200 Mitarbeitende standen auf der Straße. Jetzt bleibt nur noch die Hoffnung auf einen möglichen Käufer, der zusammen mit SPMSC den großen Metallurgiestandort am Koniambo-Massiv wiederbelebt. Die im Berg liegenden Nickelvorkommen sind schließlich nach wie vor attraktiv.
1 „Nouvelle-Calédonie et géopolitique des métaux critiques: vers une perturbation du marché du nickel?“, Interview mit Emmanuel Hache, Iris, 21. Mai 2024.
2 „Populations légales de Nouvelle-Calédonie de 2009 à 2019“, Französisches Statistikamt Insee, 12. März 2020.
Aus dem Französischen von Markus Greiß
Benoît Trépied ist Anthropologe am Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) und Autor von „Décoloniser la Kanaky-Nouvelle-Calédonie“, Toulouse (Anacharsis) 2025, dem dieser Text entnommen ist.
Erbe der Strafkolonie
Vom Flugzeug aus fällt die Reihe weißer Steine gleich ins Auge. Betritt man in Nessadiou dann durch das grüne, mit Stern und Halbmond verzierte Tor den „Araberfriedhof“, stellt man fest, dass die Stelen weder Namen noch Datum tragen.
Hier liegen algerische Sträflinge: Kabylen, Araber, Tuareg und Berber – insgesamt 2106 Menschen. Sie gehörten zu den 30 000 Verurteilten, die Frankreich zwischen 1864 und 1897 in die Strafkolonie im Pazifik schickte. Die Insel Nou, die mittlerweile Nouville heißt und ein Stadtviertel der Hauptstadt Nouméa ist, bildete das Herzstück der Kolonie.
Neben der Hölle von Nou gab es auf dem Archipel zahllose Zuchthäuser, Plantagen und Wanderlager, in denen die Sträflinge im Straßenbau, bei der Trockenlegung von Sümpfen und in den Nickelminen eingesetzt wurden. Wer zu mehr als acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, durfte nach Verbüßung seiner Strafe nicht nach Algerien zurückkehren. Viele sahen ihre Familien nie wieder.
Der Gouverneur, ein Saint-Simonist, war jedoch grundsätzlich für die Resozialisierung der Sträflinge, weshalb er ihnen nach ihrer Entlassung die Möglichkeit bot, eine Landkonzession zu erwerben – Land, das wiederum der indigenen Bevölkerung geraubt worden war. Die Häftlinge, die meist aus ländlichen Gebieten stammten, kannten sich mit Landwirtschaft aus. Sie mussten aber eine große Hürde nehmen: Freie Menschen konnten sie nur werden, wenn sie das von ihnen bewirtschaftete Land auch kauften.
Das langfristige Ziel der Kolonialverwaltung, verurteilte Straftäter wieder in die Gesellschaft zu integrieren und mit ihnen die Kolonien zu besiedeln, ließ sich aber nur erreichen, wenn die Konzessionäre auch Familien gründeten. Doch dazu mussten sie erst einmal eine Frau finden, und es sollte eine christliche sein.
Die Frauengefängnisse von Rennes, Cadillac und Clermont waren voll mit jungen Frauen aus einfachen Verhältnissen, die etwas gestohlen oder abgetrieben hatten. Wenn die Ärzte dort ihnen einen guten Gesundheitszustand, also Gebärfähigkeit, bescheinigten, hatten sie die Wahl: zehn Jahre Gefängnis oder Freiheit in Neukaledonien.
Die Nonnen des Klosters Saint-Joseph de Cluny in Bourail, etwa 150 Kilometer nordwestlich von Nouméa mitten im Busch gelegen, unterstützten die Strafvollzugsbehörden; sie beherbergten die eingereisten jungen Frauen und stellten sie den arabischen Sträflingen vor, die oft viel älter als sie waren. Die Männer suchten sich eine aus. Die Frauen hatten für ihre Antwort nur ein paar Stunden Zeit.
In der Moschee von Nessadiou gibt es zum Fastenbrechen Datteln, Tee und Makroud. „Im Durchschnitt sind wir hier zehn Personen, aber an Feiertagen können es auch zweihundert sein“, so ein Gläubiger. Es ertönt kein Gebetsruf, und es gibt auch kein Minarett. Offiziell handelt es sich auch nicht um eine Moschee, sondern um ein Kulturzentrum, das zu 90 Prozent von einer islamischen Bank aus Saudi-Arabien finanziert wurde.
In einem an den Gebetssaal angrenzenden Raum gibt es eine Fotowand mit Familienaufnahmen. Einige Bilder erzählen von den Algerienreisen, die Nachkommen seit 1986 auf den Spuren ihrer Vorfahren unternommen haben.
Einer von ihnen ist Abdel Kader Boufenèche, der 2012 im Alter von 71 Jahren nach Algerien gereist ist und sich erinnert: „Wir trafen einen Cousin, der meinen Vater gekannt hatte. Als er mich sah, verschlug es ihm die Sprache.,Du bist ihm so ähnlich‘, sagte er zu mir. Man zeigte uns, wo mein Vater geboren wurde, sein Haus in Douar Ouled Yahia in der Kleinen Kabylei. Nichts hatte sich verändert.“
Abdel Kader Boufenèche und seine Mitstreiter in der Moschee von Nessadoui möchten, dass die algerische Regierung ein Denkmal für die nach Neukaledonien deportierten Menschen errichtet. Doch bisher stoßen ihre Bemühungen auf taube Ohren. Ariane Bonzon
Ariane Bonzon ist Journalistin.