Nothilfe-Wettbewerb: Abschreckung als Hilfe

Seit dem 1. April sind Personen mit rechtskräftigem Nichteintretensentscheid (NEE) aus der Asylfürsorge ausgeschlossen. Wer nicht ausgeschafft werden kann und nicht untertaucht, hat gemäss Bundesverfassung Anspruch auf so genannte «Nothilfe». Nach der Definition des Kantons Zürich umfasst diese Nothilfe «Obdach, Nahrung, Kleidung, die Möglichkeit zur Körperpflege sowie die medizinische Versorgung». Sie hat «grundsätzlich in Form von Sachleistungen» zu erfolgen, und untergebracht werden die Leute «in dafür bezeichneten Unterkünften». Von Betreuung, Rückkehrberatung und -hilfe ist nicht die Rede. «Es zeichnet sich ab», sagt Jürg Schertenleib, Leiter Rechtsdienst der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), «dass die Kantone Abschreckung wichtiger nehmen, als Notlagen effektiv zu lindern.» Das SFH arbeitet an einer Übersicht zur Praxis in den Kantonen.

Recherchen der WOZ zeigen folgendes Bild: Der Kanton Basel-Stadt hat eine Empfangsstelle. Deshalb melden sich dort immer wieder Personen mit NEE, die eigentlich einem anderen Kanton zugewiesen sind. Basel schickt diese in verschlossenen Eisenbahnwagen in den zuständigen Kanton, wo sie von der Fremdenpolizei in Empfang respektive in Ausschaffungshaft genommen werden. Auch wer im Kanton Bern um Nothilfe ersucht, wird «vom Migrationsdienst umgehend in Ausschaffungshaft genommen, sofern der Vollzug der Wegweisung möglich ist», wie das kantonale Amt für Migration in einem Rundschreiben an die Asylfürsorgestellen festhält. Im gleichen Schreiben werden drei Kategorien von Personen unterschieden: solche, die den Nichteintretensentscheid schon vor dem 1. April erhielten, solche, die ihn erst danach erhalten haben und solche, die in einer Bundesempfangsstelle einen NEE erhielten und erst danach in den Kanton einreisten. Ihnen allen droht die Ausschaffung, allerdings mit unterschiedlichen Fristen. Ist die Ausschaffung nicht möglich, sieht der Kanton Bern vor, den Leuten Nothilfe zukommen zu lassen – und zwar in einer unterirdischen Armeeunterkunft auf dem Jaunpass zuhinterst im Simmental.

«Der Kanton Bern geht mit dem schlechten Beispiel voran: Statt Notlagen zu beheben, werden die Betroffenen in die Illegalität gedrängt», sagt Schertenleib. Ähnlich der Kanton Graubünden, der Nothilfe in einer Abteilung des Gefängnisses Realta anbietet. Daneben haben die Kantone offenbar Durchgangszentren und Zivilschutzanlagen zu Nothilfezentren umfunktioniert. Das entsprechende «NEE-Zentrum» des Kantons Aargau steht in Villnachern, ist nach Angaben des kantonalen Sozialdiensts nur von 18 bis 8 Uhr offen und zuständig für die Abgabe einer Suppe als Abendessen, für die Übernachtung und für ein Frühstück. Tagsüber werden die Leute auf die Strasse geschickt. Diese Nothilfe wird für maximal fünf Nächte gewährt.

Balthasar Glättli, der Sekretär von Solidarité sans frontières, vermutet, dass im Moment zwischen den Kantonen «ein Wettbewerb um die miesesten Bedingungen für Personen mit NEE» stattfindet: «Es gibt für diese Leute zwei Möglichkeiten, sich zu entziehen: Entweder reisen sie aus und versuchen ihr Glück in einem EU-Land, oder sie tauchen unter. Deshalb ist die neue Regelung nicht zuletzt eine Maschine, die Sans-Papiers produziert.»