Im Affekt: Alles Übel kommt von aussen

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Günstiger ist eine Abstimmungskampagne nicht zu haben: Die erste «SonntagsZeitung» im neuen Jahr hat sich gleich in mehreren Texten mit dem Wachstum beschäftigt. Dieses berge «politischen Zündstoff», denn bald schon werde die Schweiz die Neun-Millionen-Grenze knacken. Anlass ist die «Nachhaltigkeitsinitiative», die die SVP dieses Jahr lanciert und die nun dank der «SonntagsZeitung» bereits in aller Munde ist. Die Initiative will selbstverständlich nicht mehr Nachhaltigkeit, sondern – Überraschung! – strengere Massnahmen gegen die Zuwanderung.

«Was bedeutet das für die Menschen, die Infrastruktur, die Umwelt?», will die Zeitung angesichts des Bevölkerungswachstums wissen – beim Weiterlesen wird jedoch klar, dass mit den «Menschen» nur jene gemeint sind, die in der Schweiz geboren sind und einen Schweizer Pass haben. Für sie bedeutet «Bevölkerungswachstum» laut «SonntagsZeitung» nämlich, dass der Wohnraum knapper und teurer wird, dass sie länger im Stau stehen und in überfüllten Zügen pendeln müssen und dass sie ihre Kinder in Schulen schicken müssen, in denen kaum ein anderes Kind noch Deutsch sprich. Schuld daran: alle anderen ohne Schweizer Pass.

Wobei Schweizer Pass eben nicht gleich Schweizer Pass ist, wie Sanija Ameti erfahren muss. Die Politikerin und Koleiterin von Operation Libero hat sich entschieden, Zuschriften von echten «Eidgenossen» zu teilen, die sie zurzeit erreichen: «Einmal mehr merkt man, dass Sie nur eine Schweizerin auf dem Papier sind […]. Wenn Ihnen so viel nicht passt in der Schweiz, sollten Sie so schnell wie möglich zurück in den Balkan gehen.» – «Es ist schlicht eine Frechheit, wie Sie sich in die Angelegenheiten der Schweiz einmischen.» Ihr Vergehen? Sanija Ameti kritisiert die Schweizer Einbürgerungspraxis und die Tatsache, dass in der Schweiz rund ein Viertel der Einwohner:innen Steuern zahlen müssen, aber nicht abstimmen dürfen, weil sie keinen Schweizer Pass besitzen. Dagegen lanciert die «Aktion Vierviertel» nun eine Einbürgerungsinitiative. Ob die «SonntagsZeitung» ihr demnächst auch so viel positive Aufmerksamkeit einräumen wird wie der ­«Nachhaltigkeitsinitiative»?

Im Schnitt erhält Ameti zehn bis zwanzig Hassmails pro Tag – auch Morddrohungen waren schon darunter.