Schweizer Experten gegen «humanitäre» Militärs: Lehren aus dem Kosovo

Bis hierher und nicht weiter! – so müsste das der WoZ zugespielte Dokument aus der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) heissen. Aber natürlich trägt es einen gehörigen Amtsstubentitel: «Verbesserung der internationalen zivil-militärischen Beziehungen und Kooperation in humanitären Notlagen»*. Dahinter verbirgt sich eine offene Kritik an der Militarisierung der humanitären Nothilfe. «Wenn Einheiten bewaffnet eingesetzt werden, können sie zivile Akteure nur beschränkt unterstützen», hält das Deza beispielsweise fest. Das ist Dynamit im Hinblick auf die Abstimmung vom 10. Juni über bewaffnete Auslandseinsätze.
Die Deza-ExpertInnen gehen von einer realistischen Analyse der geopolitischen Entwicklungen aus. «Kaum je haben Staaten militärische Kräfte in den Kampf geschickt, lediglich um das Leben ausländischer Zivilisten zu retten», stellen sie fest. Umgekehrt aber werde «die Verfolgung von Zivilbevölkerungen häufig zur moralischen Legitimation militärischer Interventionen herangezogen, die ein anderes militärisches oder politisches Ziel verfolgen». Ihr Fazit: «Die schweizerische Politik lehnt das Konzept der ‘humanitären Intervention’ ab.»
Bis hierher und nicht weiter: Das Deza akzeptiert, dass Armeen in humanitären Notsituationen eine Rolle spielen. Doch ebenso klar spricht es sich gegen die Unterstützung «humanitärer Militärinterventionen» aus. Militärische Krisenbewältigung, so der Tenor des zwanzigseitigen Papiers, dürfe nicht sorglos mit humanitärem Handeln vermischt werden. «Eine übermässige Abhängigkeit vom Militär oder dessen unvorsichtiger Einsatz werden das System der humanitären Hilfe ernsthaft schädigen und das humanitäre Personal beziehungsweise dessen Aktivitäten gefährden.» Die vorgeschlagenen Leitlinien zielen konsequenterweise darauf ab, die Armeen bei der internationalen humanitären Nothilfe «einzuschränken» oder sie wenigstens zu vermehrter Koordination zu bewegen, wenn ihre Präsenz vor Ort ein «fait accompli» ist.
Das «fait accompli» hat einen Namen und einen Ort: die Nato im ehemaligen Jugoslawien. Das Nato-Bombardement in Serbien und Kosovo im Frühling 1999 und die gleichzeitig von der Nato im benachbarten Albanien und Mazedonien organisierten «humanitären Aktionen» führten dietraditionelle Trennung zwischen Kriegspartei und unparteiischem humanitärem Akteur ad absurdum. Das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) verlor während des Krieges die politische Führung des humanitären Krisenmanagements. «Das militärisch-humanitäre Verhältnis wurde weitgehend von der Nato und ihren Mitgliedern oder Partnern definiert», konstatiert eine vom UNHCR letztes Jahr publizierte unabhängige Analyse. Die Uno-Unterorganisation droht gemäss dieser Studie ihre bisher unbestrittene Rolle als führende globale Flüchtlingsorganisation zu verlieren – vor allem bei Partnern, die weiterhin auf die «Normen der Neutralität und Unparteilichkeit» setzen.
Der fulminante Auftritt der Nato-Armeen auf dem Parkett der humanitären Nothilfe hat bei den zivilen Akteuren heftige Debatten ausgelöst. Die Entwicklungsfachleute aus dem Deza verteidigen dabei die klassische Position der humanitären Unparteilichkeit. Sie wollen ihr Papier als offizielle Schweizer Position in die internationale Diskussion einbringen. Dagegen wehrt sich das Verteidigungsministerium aus innenpolitischen Überlegungen. Denn, obwohl das nicht so gemeint war, ist das Dokument auch ein überzeugendes Dementi der humanitären VBS-Propaganda für die bewaffneten Auslandseinsätze.
Humanitär – besser ohne Militär! Im Interesse der Sache müsste Aussenminister Joseph Deiss diese Botschaft verkünden, wenn er diesen Freitag zusammen mit Verteidigungsminister Samuel Schmid die bundesrätliche Abstimmungskampagne für die Militärgesetzrevision eröffnet.

*«Improving International Civil-Military Relations and Cooperation in Humanitarian Emergencies. Draft Swiss Proposal.»