Italien: Polizeigewalt und Strassenkämpfe

Rom, Bologna, Mailand, Turin – aktuell finden in mehreren italienischen Städten Proteste gegen rassistische Polizeigewalt statt. Die Solidarität der Demonstrierenden gilt dem neunzehnjährigen Ramy E., der im vergangenen November nach einer Verfolgungsjagd durch die Polizei ums Leben kam. Der Vorfall ereignete sich in Mailand, wo der junge Mann mit ägyptischen Wurzeln lebte. Er hat eine Protestwelle ausgelöst, die bis heute anhält und von einer breiten Bewegung getragen wird. Studentische und linke Bündnisse demonstrieren an der Seite von migrantischen Jugendlichen. Ihre gemeinsame Forderung: Aufklärung im Fall Ramy E.

Am 24. November 2024 war Ramy E. auf einem Roller unterwegs, der von seinem 22-jährigen Freund Fares B. gefahren wurde. In der Innenstadt Mailands verweigerten die beiden eine Polizeikontrolle. Sie hielten nicht an, woraufhin sie über acht Kilometer weit von mehreren Einsatzwagen der Carabinieri verfolgt wurden. Am südlichen Rand der Stadt endete die Verfolgung mit einem Unfall: Ramy E. verstarb noch vor Ort. Der genaue Verlauf des Geschehens ist umstritten: Aus Berichten der örtlichen Polizei geht hervor, dass es zu einem Zusammenstoss zwischen einem Polizeiauto und dem Roller gekommen sei. Funk- und Videoaufnahmen aus den Polizeiautos legen darüber hinaus nahe, dass die Carabinieri einen Wettkampf darum veranstaltet hatten, welches Auto den Roller zu Fall bringen könne. Während die Anwälte des Opfers von einem «absichtlichen Rammen» sprechen, behaupten die Carabinieri, Ramy E. sei vom Roller gestürzt. Auch in den Medien und der Politik ist dieses Narrativ des Selbstverschuldens vorherrschend. Hätten die beiden Männer angehalten und sich kontrollieren lassen, wäre Ramy E. noch am Leben, lautet das zentrale Argument.

Während sich in den letzten Monaten in vielen Städten Widerstand gegen strukturelle Polizeigewalt in Italien formiert hat, solidarisieren sich rechte Kräfte mit der Polizei. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni schrieb auf sozialen Medien, dass ihre Solidarität der Polizei gelte, und kritisierte die aktuellen Proteste: «Unruhe und Chaos durch die üblichen Unruhestifter, die aus reiner Rachsucht auf die Strasse gehen». An den Protesten nach dem Tod von Ramy E. kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen: Die Polizei geht äusserst repressiv vor, worauf die Demonstrierenden teils selbst mit Gewalt reagieren. Am Samstagabend sind bei einer Demonstration in Rom acht Beamte verletzt worden.

In Italien wird aktuell auch um das Recht auf Demonstrationsfreiheit gestritten. Melonis Regierung plant, diese stark einzuschränken. Im September hat die Abgeordnetenkammer mit einer grossen Mehrheit aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia ein Gesetz zur inneren Sicherheit verabschiedet, das «legge 1660». Wenn der Senat den Gesetzesentwurf ebenfalls annimmt, wären verschiedene demokratische Grundrechte in Zukunft stark eingeschränkt. Das Gesetz führt dreissig neue Straftatbestände und -verschärfungen ein; diese betreffen nebst dem Handlungsspielraum politischer Aktivist:innen auch den Protest und Widerstand in Gefängnissen und Abschiebezentren oder die allgemeinen Rechte von Ausländer:innen.