Zweierlei Italien: Ein bisschen Mut

Nr. 51 –

100 000 Antifaschist:innen versammelten sich am Samstag in Rom. Giorgia Meloni feiert ihre autoritäre Offensive derweil gemeinsam mit Argentiniens rechtslibertärem Präsidenten Javier Milei.

Rom im Dezember 2024: Im antiken Circus Maximus feiert Giorgia Melonis Partei Fratelli d’Italia (FdI) ihr Atreju-Festival, benannt nach dem jugendlichen Helden in Michael Endes «Unendlicher Geschichte». Am 14. Dezember, dem vorletzten Tag dieser alljährlichen Politshow, demonstrieren rund 100 000 Menschen gegen Italiens rechte Regierung. Die Piazza del Popolo, wo die Abschlusskundgebung stattfindet, liegt nur wenige Kilometer vom Circus Maximus entfernt.

Dort läuft alles wie geplant. Ehrengast ist der argentinische Regierungschef und selbsternannte «Anarchokapitalist» Javier Milei. Nicht persönlich anwesend, doch allgegenwärtig ist Donald Trump. Mit ihm im Amt würden Italien und die USA treue Verbündete bleiben, verspricht Meloni in ihrer vor allem aus Selbstlob bestehenden Abschlussrede. Durch die Stabilität ihrer Regierung erlange Italien internationalen Einfluss und mache die geeinte «Nation» (eine ihrer Lieblingsvokabeln) zum beneideten Vorbild für andere. Den FdI-Nachwuchs, die durch offenen Rassismus und Antisemitismus auffällig gewordene Nationale Jugend, preist sie als den «besten Teil ihrer Generation». Für die Opposition hat sie nur Spott übrig: «Die Linke zu enttäuschen, ist unser Lieblingssport.»

Enttäuschung bei der Linken würde allerdings voraussetzen, dass man dort anderes erwartet hätte. Davon kann keine Rede sein. Denn Meloni versucht, genau das umzusetzen, was sie angedroht hat. Das aktuell wichtigste Projekt ihrer Regierung ist ein Gesetz zur inneren Sicherheit, ausgearbeitet von den Ministerien für Justiz, Inneres und Verteidigung. Während die Abgeordnetenkammer den Entwurf bereits verabschiedet hat, steht die Zustimmung des Senats, der zweiten Parlamentskammer, noch aus. Sollte es dazu kommen, wären demokratische Grundrechte aufgehoben oder stark eingeschränkt, insbesondere das laut Artikel 17 der Verfassung garantierte Recht, «sich friedlich und unbewaffnet zu versammeln». Demnach können die Behörden Versammlungen nur verbieten, «wenn nachweislich Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Unversehrtheit vorliegen».

Hausbesetzungen als «Revolten»

Das aber ist aus Sicht der Anhänger:innen des Obrigkeitsstaats immer da gegeben, wo gegen staatliche Massnahmen oder die soziale Misere Protest organisiert wird. Der umkämpfte Gesetzentwurf zielt explizit darauf ab, zivilen Ungehorsam und Unruhen als «Revolten» zu kriminalisieren – etwa Strassenblockaden, Hausbesetzungen, Proteste in den überfüllten Gefängnissen oder Sammelunterkünften von Geflüchteten. Künftig soll selbst das Überlassen von SIM-Karten an Migrant:innen ohne Aufenthaltsgenehmigung oder passiver Widerstand in Gefängnissen bestraft werden. Auch die blosse Unterstützung von Besetzungsaktionen durch nicht unmittelbar Beteiligte wird strafbar. Zudem sieht das Gesetz deutlich härtere Strafen vor – etwa für Sachbeschädigung während Demonstrationen oder Bettelei. Polizist:innen werden derweil ermächtigt, auch privat eine Schusswaffe zu tragen.

Kritische Jurist:innen bezweifeln, dass die neuen Massnahmen vor Gerichten Bestand haben. Abschreckend wirken dürften sie in jedem Fall, und genau das scheint das wichtigste Ziel zu sein. Zur Einschüchterung dienen auch Gewaltfantasien etwa gegen Hausbesetzer:innen – denen werde man «die Luft zum Atmen nehmen», drohte Melonis Parteifreund Andrea Delmastro Delle Vedove, Staatssekretär im Justizministerium. Zugleich ermunterte er die ohnehin hochgerüstete Polizei zu besonders hartem Vorgehen.

Während die Exekutive gestärkt wird, müssen unabhängige Richter:innen mit harschen Zurechtweisungen von ganz oben leben. Ein Gerichtsurteil gegen die Festsetzung Asylsuchender in einem Abschiebelager in Albanien bezeichnete Meloni als «Propagandaflugblatt». Ihr Albanienprojekt (siehe WOZ Nr. 43/24) will sie unbedingt durchsetzen – «auch wenn ich bis zum Ende der Legislaturperiode jede Nacht dort [in Albanien] verbringen muss», rief sie unter dem Jubel ihrer Fans. Zu ihren erklärten Feind:innen gehören neben Migrant:innen auch Gewerkschafter:innen wie der CGIL-Vorsitzende Maurizio Landini. Dieser habe zu einer «sozialen Revolte» aufgerufen, behauptete sie.

Spektakulärer Neufang

Tatsächlich verteidigt Landini nur das ebenfalls gefährdete Streikrecht. Gegen die Verschärfungen wenden sich auch die unabhängigen Basisgewerkschaften, die zur breiten Mobilisierung gegen die autoritäre Offensive beigetragen haben. Tragende Kräfte der Demo in Rom waren etliche Basisinitiativen mit unterschiedlichen Schwerpunkten – Recht auf Wohnen, Kampf gegen die wachsende Armut oder Solidarität mit Geflüchteten. Auch etablierte Kräfte wie die Partisan:innenvereinigung ANPI waren am 14. Dezember mit dabei. Der Protest war der grösste seit langem – ein spektakulärer Neuanfang, der Mut macht. Mitte Januar wollen sich die beteiligten Aktivist:innen in Rom zu Beratungen treffen. Ziel ist es, den Mobilisierungserfolg nachhaltig zu machen und auch im Alltag gemeinsam gegen die rechte Offensive Widerstand zu leisten.

Vermutlich werden die Kräfte der ausserparlamentarischen Opposition auch in Zukunft weitgehend auf sich allein gestellt sein. Denn: Die Oppositionsparteien hatten am Samstag auf der Demo eher Gaststatus. Auch Expremier Giuseppe Conte von der Fünf-Sterne-Bewegung musste schnell wieder weg. Er hatte eine Verabredung mit Giorgia Meloni: beim Atreju-Festival.