«Territories»: Die Stadt als Kriegsgebiet

Das Berliner Ausstellungsprojekt «Territories» begreift den Mittleren Osten als Labor für Fragen rund um Raumkontrolle und territoriale Machtmechanismen.

New York, Genua, Salt Lake City, München und nun auch Genf – das sind Orte, die manch einem Kulturwissenschaftler als exemplarische Stationen einer Leistungsschau in Sachen Kriegsarchitektur erscheinen. Diese, und darauf weisen zum Beispiel Tom Holert und Mark Terkessidis in ihrem heimlichen Bestseller «Entsichert: Krieg als Massenkultur» immer wieder hin, nimmt nicht erst seit dem 11. September 2001 Konturen an: «Die Entwicklung hin zu physischer Befestigung und atmosphärischer Kontrolle, zu Barrieren und Überwachungskameras schreitet seit langem kontinuierlich und mit niedriger Intensität voran.»

Stadtkosmetik und sozialer Ausschluss

So sehr die Kontinuität dieser Entwicklung betont werden sollte, darf nicht vergessen werden, dass der 11. September in diesem Zusammenhang auch für einen Paradigmenwechsel gesorgt hat. Wurde der totalitär überwachte Raum, wie er in Orwells «1984» durchdekliniert wurde, einst als Verirrung gehandelt, so mutet er neuerdings als höchste Form der Utopie an. Die Stadt als eine Mischung aus Hochsicherheitstrakt und hochgradig reglementiertem Kriegsgebiet erscheint angesichts der vermeintlich omnipräsenten Bedrohung durch abstrakten Terror als die einzig wünschenswerte Schutzkulisse. Sie ist es, die das embryonale Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln soll – in Zeiten der allgegenwärtigen Paranoia wahrhaft utopische Werte.
So paradox dieser Paradigmenwechsel erscheinen mag, so entdeckt man im Rückblick, dass urbane Utopien früher schon von klaustrophobischen Elementen beseelt waren. Ein Beispiel wäre das New Yorker Park-Design. Was heute ein sehr ambivalenter Cocktail von Sauberkeit, Sicherheit, Stadtkosmetik und sozialem Ausschluss ist, kann als eine «Strategie des Pittoresken» (der englische Künstler Nils Norman) bezeichnet werden, auf die bereits der Landschaftsdesigner Frederick Law Olmsted und der britische Architekt Calvert Vaux 1857 zurückgriffen, um im Central Park eine pseudonatürliche, pastoral-pittoreske Umwelt zu erschaffen. Diese sollte archaisch anmuten und aussehen, als wäre sie schon seit Jahrtausenden da gewesen – obwohl der Park in Wirklichkeit ein manipulierter und kontrollierter Raum war und nach wie vor ist.
Dieser Janusköpfigkeit geht auch «Territories» in Berlin nach. Als Ausstellung mit einem gleichnamigen Lesebuch konzipiert, versucht das Projekt, interessante historische Bezüge von einerseits strategisch-militärischer und andererseits utopischer Raumplanung in ihrer Wechselwirkung aufzuzeigen. So dient die 1971 auf einem ehemaligen Kasernengelände im Kopenhagener Stadtteil Christianshavn als soziales Experiment gegründete Freistadt Christiania als Fallbeispiel für einen Raum, der von einem militärischen Camp zum kreativ-künstlerischen Nichtort mutierte – die utopische Hippie-Siedlung erhielt 1986 von der dänischen Regierung einen begrenzten legalen Status, der es erlaubt, eigene Schulen, eigene Gesetze und eigene Wirtschaftsformen zu praktizieren.
Gegenübergestellt wird dieser Fall dem Kibbuz und den daraus entstandenen Siedlungsformen in der Westbank. Der kollektive, basisdemokratisch organisierte ländliche Kibbuz, der als Planform im Rahmen der jüdischen Einwanderung nach Palästina ab 1908 entstanden war und ab 1948 zentrales Element der israelischen Siedlungspolitik war, sah materiell gleichgestellte Mitglieder entsprechend ihren Fähigkeiten zusammenleben und arbeiten. Symbolisch wurde dieser Siedlungstypus mit der Kreisform repräsentiert: Im Zentrum dieser geometrischen Anordnung manifestierten sich Formen des öffentlichen Lebens. Wer sich heute die Siedlungsformen in der Westbank ansieht, stellt eine formale Kontinuität fest: Kreisrunde Formen dominieren die halburbanen Strukturen, doch von den sozialistisch-utopischen Idealen ist hier nichts mehr geblieben. An ihre Stelle sind panoptische Kontrolle und strategische Überlegenheit getreten.

Wie programmiert Recht Raum?

Das «Territories»-Team, bestehend aus den Kuratoren Anselm Franke, Eyal Weizman, Rafi Segal und Stefano Boeri sowie Künstlern wie Armin Linke, Multiplicity, Jan Ralske, Bureau of Inverse Technology, Milutin Labudovic und Zvi Efrat, hat sich nicht zufällig in das Labyrinth des Mittleren Ostens begeben. Es unternimmt dort, was man als Grundlagenforschung beschreiben könnte. Den Gaza-Streifen begreift es als ein Labor, in dem Begrifflichkeiten rund um das Thema Raumkontrolle definiert werden können. Die Rede von der Weiterführung des Krieges mit den Mitteln der Architektur wird damit auf einen reflexiven Boden gestellt, der zahlreiche Fragen mit sich bringt. Eine dieser Fragen, die man wohl getrost als Leitfrage dieses investigativ-theoretischen Projekts bezeichnen könnte, lautet: Wie programmiert Recht Raum? Damit im Hinterkopf geht es von der Westbank in die unterschiedlichsten Himmelsrichtungen. Zwischenstationen werden nicht zuletzt in den exterritorial-rechtsfreien Zonen wie Guantánamo eingelegt.

«Territories». Kunst-Werke, Berlin. Bis 25. August 2003.