Schluss mit freundlich!

Neulich in der Küche unserer WG über ein Exemplar des «Magazin» gestolpert (der Oberleguan lässt solchen Bildungsbürgerkram gern rumliegen), darin ein Interview mit einem Experten unter dem verheissungsvollen Titel: «Es ist besser für Sie, freundlich zu sein als reich». Steile These! Was wohl Leute dazu sagen würden, die schlecht bezahlt im Einzelhandel knechten müssen, vom Chef stets dazu angehalten, Kund:innen lächelnd zu begegnen, auch wenn es sich um die unerträglichsten Typen handelt?

Der Gesprächspartner in dem «Magazin»-Interview heisst jedenfalls Daniel M.T. Fessler, er ist Professor für Anthropologie in Kalifornien und erforscht die Bedingungen und Wirkungen freundlichen Verhaltens. Das mag ein sympathischerer Ansatz sein, die eigenen intellektuellen Ressourcen zu nutzen, als etwa bei Leuten, die komplexe Finanzmarktprodukte oder intelligente Waffensysteme ersinnen. Unterm Strich muss man aber sagen, dass sich der Freundlichkeitsforscher hauptberuflich mit Ideologieproduktion beschäftigt.

Abzulesen ist das etwa daran, wie Fessler gesellschaftliche Verhältnisse konsequent aufs Individuum und dessen angeblich naturgegebene Eigenschaften reduziert. So bedauert der Professor beispielsweise: «Die kulturelle Evolution wird leider immer Ethnozentrismus und Fremdenfeindlichkeit begünstigen. Wir mögen Menschen, die so sind wie wir.» Nun mag Rassismus viele Gesichter haben, er ist aber sicher nicht einfach eine Veranlagung des Menschen, der halt so ist, wie er ist.

Ähnlich dünn kommt Fesslers Gegenwartsanalyse daher. Im 21. Jahrhundert sei die Welt so globalisiert, dass eigentlich alle einsehen müssten: Wir sitzen im selben Boot – siehe Pandemie, siehe Klimakatastrophe. Damit wären die Bedingungen für sozusagen weltumspannende Freundlichkeit gegeben: «Wenn wir nicht auf globaler Ebene zusammenarbeiten, sind wir aufgeschmissen.» Wohl wahr! Besonders neu ist diese Erkenntnis aber nicht, was bislang am Fortbestehen der Misere wenig geändert hat. Womöglich also wären politischere Ansätze ins Auge zu fassen als die von dem Forscher aus Kalifornien angepriesene Achtsamkeitsmeditation und Orientierung an Vorbildern wie Mutter Teresa (deren Verklärung übrigens noch ein Thema für sich wäre). In Anlehnung an eine alte Genossin: Es ist besser, wütend zu werden, als freundlich zu sein. Auch an Weihnachten.

Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch.