Ein böswilliges Missverständnis

Wir wissen es alle: Um die Welt ist es gerade nicht allzu gut bestellt. Ungebremst erhitzt sie sich weiter, und auf ihr sind derzeit so viele Menschen auf der Flucht wie noch fast nie. Vielerorts schrauben sich rechte Kulturkämpfe in bizarrste Höhen, und so manch alternder Staatsmann ist im Zuge seiner maskulinen Selbstverwirklichung in die kriegerische Phase übergegangen.

All das weiss ich unter anderem deshalb, weil ich zwischendurch Radio höre. Etwa den Newskanal von SRF, die Nummer 4. Nicht immer bin ich einer Meinung mit den Expert:innen dort, aber ich verlasse mich gern auf ihr fundiertes Wissen. Auf SRF 4 bleibe ich verschont von schlechter Musik. Und verschont von allzu flockigen Zwischenmoderationen und aufdringlich guter Laune.

Wovor mich SRF aber nicht verschont: Börsennachrichten. Die höchste Evolutionsstufe kapitalistischer Borniertheit, das wohl grösste böswillige Missverständnis unserer Zeit. Gebührenfinanziert wird mir da nämlich weisgemacht, dass «die Märkte» zarte Wesen seien, um deren Wohlbefinden ich mich sorgen soll. Die bestenfalls zufrieden schnurren, manchmal «unruhig» werden und schlimmstenfalls «nervös» oder «panisch» auf den Lauf der Welt reagieren. Es ist, als gehörte ich selbst zu «den Anlegern» oder als wäre deren Schicksal zumindest immer auch meins.

Worüber soll ich mich demnach freuen? Über Wachstumsmärkte wie Rüstung und Überwachungstechnologie, über «Disruption», über ausgehebelte Gewerkschaften. Über sinkende Löhne und Entlassungen bei den «Wirtschaftsmotoren», über Steuersenkungen und Sozialabbau beim Staat.

Börsennachrichten sind ein abgeschottetes Paralleluniversum, in dem noch die betrüblichsten Realitäten zum blassen Hintergrundgeräusch verkommen, solange irgendwelche Kurven nach oben zeigen. Der Ort, wo sich die Katze gierig in den Schwanz beisst: Die Lösung für all unsere Probleme? Einfach mehr vom selben.

Liebe Leute, vergesst eines nicht, wenn ihr eure News mal wieder von SRF bezieht: An der Börse interessiert es niemanden, ob es euch gut geht. Für ein paar gute Quartalszahlen würde dort noch euer letztes Hemd an den Teufel verkauft.
Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch.