«Mach mir bloss keinen Stress»

Schon fast ist man froh, dass der junge Mann bereits vor dem Richter steht und nicht etwa auf der Fahndungsliste der Zürcher Polizei. Handelt es sich laut der Gerichtsreporterin des «Tages-Anzeigers» doch um den «Typ junger Mann, an dem alles signalisiert: Mach mir bloss keinen Stress. In Jeans und dunklem Hoodie, darüber ein wattiertes schwarzes Gilet, steht er breitbeinig vor dem Gerichtsvorsitzenden und dessen beiden Mitrichterinnen. Die Haare trägt er zum scharfen Undercut geschnitten, das schwarze Deckhaar zurückgegelt; der Fünftagebart ist schütter.» Bei einem solchen Fahndungssignalement hätten Stadt- und Kantonspolizei gar nicht genug motorisiertes Rollmaterial, um alle Verdächtigen einzusammeln. Und anders als der «Tagi» würden sie darüber hinaus nicht auch noch hinterherschieben, dass es sich um einen «portugiesischstämmigen Schweizer» handelt: Seit Juli 2021 darf die Polizei im Kanton Zürich die Nationalität von Gesuchten oder Beschuldigten nur noch im Ausnahmefall nennen, den Migrationshintergrund überhaupt nicht. 

Was soll diese pauschalisierende Abwertung einer ganzen Generation, wo doch vor Gericht ein zur Tatzeit Zwanzigjähriger steht, der von allen denkbaren Stereotypen die Ausnahme darstellt? Stört vielleicht, dass morgens im ÖV so viele junge Männer, unrasiert und doch nur mit schütterem Kinnbart – beides scheint rechtfertigungsbedürftig – die Sitzplätze besetzen? Denn ja, die allermeisten von ihnen müssen Tag für Tag früh aufstehen, um rechtzeitig im Lehrbetrieb oder in der Schule zu sein. Ist es umgekehrt verwerflich, das wenige selbstverdiente Geld in die Pflege des Haupthaares zu stecken, ins vierzehntägliche Refreshen der Haarlinie beim Herrencoiffeur, in die Geltuben und Sprays beim Discounter? Vermitteln die dunklen Hoodies und Gilets, die sich abends und gern in Rudeln durch die Strassen bewegen oder auf Plätzen abhängen, eine Bedrohung an Leib und Leben?

Kaum ein Jugendlicher, der sich so stylt, dürfte deswegen einen wehrlosen obdachlosen Menschen mit brutalen Fusstritten ins Gesicht töten und sich selbst dabei auch noch filmen wie der junge Mann, der diese Woche in Zürich vor Gericht steht. In einem Punkt mag der auf Äusserlichkeiten reduzierte Generalverdacht vielleicht sogar zutreffen – er fällt allerdings auf all jene zurück, die ihn hegen: «Mach mir bloss keinen Stress» ist kein Angriff, es ist Verteidigung.

Mona Molotov ist die meinungsstärkste Möwe des Landes. Sie schreibt regelmässig im «Zoo» auf woz.ch.