Polizeigewalt in Lausanne: Keine Einzelfälle

Nr. 35 –

Nach Bekanntwerden zweier Gruppenchats müssen nun auch die Behörden eingestehen, dass die Lausanner Polizei ein krasses Rassismusproblem hat.

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Stadtpräsident Grégoire Junod, Sicherheitschef Pierre-Antoine Hildbrand und Polizeikommandant Olivier Botteron an der Pressekonferenz
­«Schockiert und empört»: Stadtpräsident Grégoire Junod, Sicherheitschef Pierre-Antoine Hildbrand und Polizeikommandant Olivier Botteron. Foto: Gabriel Monnet, Keystone

Raum für Zweifel gibt es keinen mehr: «Systemischer Rassismus und Diskriminierung» hätten die Lausanner Polizei zersetzt, sagte der Lausanner Stadtpräsident Grégoire Junod (SP) am Montag an einer Pressekonferenz. Es geht um Whatsapp-Chats im Umfang von 2520 Seiten, die der Stadtverwaltung am 15. August von der Staatsanwaltschaft übermittelt wurden. Deren Verläufe reichen bis ins Jahr 2023 zurück. Polizist:innen teilten dort unzählige diskriminierende und rassistische Äusserungen, «Witze» und Bilder. Zwei Gruppen mit Namen «Pirate F» und «Les Cavaliers» mit 48 respektive 6 Mitgliedern stehen im Fokus der Behörden. Unter diesen Mitgliedern sollen sich keine Führungskräfte befunden haben.

Die Stadtverwaltung zeigte sich an der Medienkonferenz ob der Enthüllungen ­«schockiert und empört» und kündigte eine tiefgreifende Reform der Polizei an. Vier Suspendierungen seien schon vorgenommen worden. «In meiner vierzigjährigen Karriere habe ich so etwas noch nie gesehen», sagte der Polizeikommandant Olivier Botteron.

Unerträgliche Inhalte

Wie rassistisch und antisemitisch die Inhalte sind, die in den Chats geteilt wurden, illustrieren Beispiele, die die Behörden an der Pressekonferenz zeigten. Darunter sind etwa ein Bild mit der Aufschrift «Es ist maghrebinisches Wetter: grau, bewölkt und bedrohlich»; ein Foto einer Schwarzen Person mit dem Zusatz «Gute N******» oder der Eintrag «Wer sticht diesen Sommer am meisten?», der Rom:nja mit Mücken vergleicht. Hinzu kommen Verweise auf Hitlers Gaskammern, den Ku-Klux-Klan und etwa das Foto eines Beamten mit Naziabzeichen.

Sexismus und Homophobie kommen in den fast 10 000 Beiträgen ebenfalls unverblümt zum Ausdruck: Es finden sich pornografische Äusserungen über Frauen wie auch Bilder, die homosexuelle Menschen herabwürdigen, sowie behindertenfeindliche Beiträge. 501 Polizist:innen arbeiten für das Lausanner Korps. Rund zehn Prozent von ihnen waren also an den Chats beteiligt.

Ohne den Anwalt Simon Ntah wären die Vorfälle wahrscheinlich nie ans Licht gekommen. Ntah vertritt die Familie von Mike Ben Peter, einem von fünf Schwarzen Männern, die in den letzten Jahren im Kanton Waadt im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen ums Leben kamen. Nachdem 2023 der Sender RTS das Foto eines Polizisten veröffentlicht hatte, der mit erhobenem Daumen vor einem Graffiti zum Gedenken an Mike Ben Peter posierte, reichte der Genfer Anwalt deswegen Anzeige gegen Unbekannt ein. Im Zuge ihrer Ermittlungen erhielt die Waadtländer Staatsanwaltschaft Zugang zu Mobiltelefonen von Beamt:innen und stiess so auf die belastenden Chats. Vor zehn Tagen leitete sie deren Inhalte an den Polizeikommandanten und die Stadt weiter.

Schweigend toleriert

Schon seit Jahren wird die Lausanner Polizei des Rassismus bezichtigt. Die Behörden stritten stets ab, dass ein «strukturelles» oder «systemisches» Problem bestehe. Am Montag sprachen Stadtpräsident Grégoire Junod und der in der städtischen Exekutive für Sicherheit und Wirtschaft zuständige Pierre-Antoine Hildbrand (FDP) die beiden Wörter nun mehrmals aus – eine Premiere. Es bestehe «ein System, in dem Personen schweigen und dieses Verhalten toleriert wird», sagte Hildbrand.

Von den vier Beamten, die mittlerweile suspendiert wurden, war einer an der Festnahme beteiligt gewesen, die 2018 zum Tod von Mike Ben Peter geführt hatte. Er wurde im vergangenen Jahr in zweiter Instanz freigesprochen, das Urteil ist derzeit beim Bundesgericht hängig. Wie die Stadt gegenüber der Zeitung «Le Courrier» bestätigt, war er auch an der Verfolgungsjagd in der Nacht auf den 1. Juli dieses Jahres beteiligt, bei der ein vierzehnjähriges Mädchen auf einem Motorroller ums Leben kam. Der Polizist war in beiden Whatsapp-Gruppen dabei.

Von den insgesamt rund 50 beteiligten Polizist:innen stehen 27 immer noch in Lausanne im Einsatz. Die Ermittlungen dauern allerdings an, laut Pierre-Antoine Hildbrand werden «weitere Suspendierungen folgen». Parallel dazu hat die Stadtverwaltung den ehemaligen Neuenburger Polizeikommandanten André Duvillard beauftragt, mit Unterstützung externer Expert:innen aus der Zivilgesellschaft weitreichende Untersuchungen vorzunehmen.

Einfache individuelle Sanktionen würden dieses Mal nicht ausreichen, betonte Hildbrand. Er forderte eine «umfassende Reform der Polizeikultur». Und die Behörden fordern ein Register, in dem die betreffenden Beamten aus den Chatgruppen verzeichnet sind. Denn in Lausanne stünden zwar viele von ihnen nicht mehr im Dienst, dafür arbeiteten sie jetzt für andere Waadtländer Korps. Und diese «anderen Polizeibehörden sollen nicht mit denselben Problemen konfrontiert werden».

Dieser Artikel ist zuerst in der Genfer Tageszeitung «Le Courrier» erschienen, einer Kooperationspartnerin der WOZ. Aus dem Französischen von Ayse Turcan.