Verschwörungsszene: Im Sumpf rechts abgebogen
Der Coronaskeptiker Daniel Stricker lud in St. Gallen zu einer Veranstaltung mit Andreas Glarner. Dort zeigte sich, wie Verschwörungsgläubige den Anschluss an die Rechte suchen.

«Nicht jeder Muslim ist ein Terrorist, aber fast jeder Terrorist ist ein Muslim», erwidert Andreas Glarner auf eine Steilvorlage des Moderators Daniel Stricker. Das Publikum lacht. «Ist das statistisch wirklich so?», fragt jemand den SVP-Politiker. «Also ich will Sie nicht kritisieren», fügt der Mann hastig hinzu. «Kennen Sie noch andere?», unterbricht ihn Glarner von der Bühne. Gekicher. «Alain Berset», wirft Stricker in den Raum und wird mit schallendem Gelächter belohnt. Die Frage des Mannes ist damit erledigt. Dass laut dem jüngsten Terrorismusbericht von Europol in Europa fast genauso viele Terroranschläge von Rechtsextremen wie von Dschihadisten verübt werden und Glarner somit nachweislich falschliegt, ist nicht relevant.* Im Restaurant Hug’s Kurzeck haben Fakten an diesem Abend einen schweren Stand.
Knarziges Parkett und Chemtrails
Das «Kurzeck» liegt auf einem Hügel über der Stadt St. Gallen, umgeben von Feldern und Bauernhäusern. Im Halbstundentakt tuckert die Appenzellerbahn vorbei. Der Thurgauer Daniel Stricker, der Gastgeber an diesem Freitagabend, ist ein schweizweit bekannter Coronaverharmloser und Youtuber. Seine Ehrengäste sind Michael Bubendorf, während der Pandemie Sprecher und Aushängeschild des massnahmenkritischen Vereins «Freunde der Verfassung», und eben der Aargauer Nationalrat Andreas Glarner. Letzterem droht aufgrund eines islamfeindlichen Tweets ein Verfahren wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass.
Aus der ganzen Deutschschweiz sind Fans angereist, um ihre Helden live zu erleben. «Gehörst du zu Danis Fest?», fragt eine lächelnde Frau im Erdgeschoss und weist den Weg nach oben. Dort befindet sich ein gemütlicher Saal mit knarzigem Parkett und langen Tischen. Von der Decke hängen grosse Filamentglühbirnen. Rund sechzig Personen sind gekommen, die meisten sind über fünfzig.
Man kennt sich. An den gut besetzten Tischen schwelgt man in Erinnerungen an den Widerstand gegen die Coronamassnahmen, tauscht Geschichten über unbewilligte Demos aus und diskutiert über die neusten «Erkenntnisse» aus einschlägigen Telegram-Chats – etwa über Chemtrails, die flache Erde oder 300 Meter hohe Felsen, die in Wirklichkeit die Stümpfe urzeitlicher Riesenbäume sein sollen. «Nur, wer hat sie gefällt?»
«Unterwandert von Welschen»
Heute nennt sich Daniel Stricker «Journalist und Bürgerrechtler». Vor der Pandemie organisierte der 53-jährige ausgebildete Luftverkehrsleiter unter anderem als Zeremoniar Hochzeiten und Beerdigungen ohne Pfarrer, kandidierte erfolglos für das Gemeindepräsidium von Tobel-Tägerschen und war als Immobilienmakler tätig. Seine wahre Berufung fand Stricker jedoch dank Covid-19.
Er hatte bereits zuvor zahlreiche Youtube-Videos produziert, jedoch selten mehr als ein paar Hundert Klicks erreicht. Mit dem Aufschwung der Protestbewegung gegen die Coronamassnahmen avancierte er Anfang 2021 dank seines saloppen und provokativen Stils binnen kurzer Zeit zum Star unter den Massnahmenkritiker:innen. Auf seinem Youtube-Kanal, der aufgrund der Verbreitung von Falschinformationen bereits mehrfach gesperrt wurde, übte er unermüdlich Kritik an der Schweizer Coronapolitik. Dabei analysierte er unter anderem die Fallzahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) auf eigene Faust und entdeckte zahlreiche vermeintliche Ungereimtheiten und Beweise dafür, dass die Politik und die Medien die Öffentlichkeit belügen würden. Seine Videos erzielten plötzlich bis zu 30 000 Klicks. Dass Stricker, wie er offen zugibt, «kein einziges Zeitungsabo» besitzt und die meisten der «Mainstream-Medien», die er so inbrünstig kritisiert, gar nicht liest, scheint seine Fans bis heute nicht zu stören.
Zu Strickers bisherigen Interviewgästen auf Youtube zählen unter anderem FDP-Nationalrat Marcel Dobler, die damalige SVP-Nationalrätin Yvette Estermann sowie Journalisten der «Weltwoche» und des «Nebelspalters», darunter auch deren Chefredaktoren Roger Köppel und Markus Somm. Die Website «Mittelländische Zeitung» nannte Stricker einst den «Godfather der Schweizer Schwurbler-Szene».
Nachdem Michael Bubendorf das Abendprogramm im «Hug’s Kurzeck» mit einem etwas dissonanten Gesangsvortrag eröffnet hat, legt Stricker mit seiner «Tagesschau» los. Bewaffnet mit Screenshots von Zeitungsartikeln – meist nur Titel und Lead –, lässt er sich über «Themen» wie «EU-Vorschriften für Landfrauen-Torten» oder die «Stillfähigkeit von trans Frauen» aus. Beiläufig setzt er das Naziregime und die DDR mit der «Schweiz in den letzten vier Jahren» gleich und zieht Parallelen zwischen «Coronageschädigten» und KZ-Überlebenden. Zudem «entlarvt» er, wie die Medien einmal mehr Tatsachen verschwiegen. Kürzlich sei nämlich ein italienischer Fussballprofi auf dem Feld zusammengebrochen, vermutlich wegen einer Herzmuskelentzündung, «aber im ganzen Artikel findet man das Wort Impfung nicht».
Dann ist es endlich Zeit für das grosse Interview mit Stargast Andreas Glarner. Er scheint für die Bühne geboren, ein Schenkelklopfer jagt den nächsten. Das Publikum ist begeistert. Nach ein paar Witzen über Glarners erfolglosen Weinhandel, Elektroautos und sadomasochistische Politiker:innen wird das Gespräch ernster. Das Problem der Schweiz, da ist man sich einig, liege darin, dass alle Parteien ausser der SVP viel zu links seien. Stricker erklärt, Die Mitte sei «einfach linksextrem», während Glarner sich beklagt, dass selbst die FDP die Anliegen der SVP nicht ausreichend unterstütze. Für die «Verweichlichung der FDP» hat Glarner auch schon eine klare Ursache ausgemacht: «Den Fehler haben wir 1971 gemacht, mit der Einführung des Frauenstimmrechts. Denn die FDP ist unterwandert von Frauen und Welschen.»
Von der Viruslüge zur Kriegslüge
Während die Mitgliederzahlen in den meisten Chats der Coronaverschwörungsszene nach der Pandemie einbrachen, konnte sich Stricker gut halten. Sein Telegram-Kanal hat noch immer über 13 000 Abonnent:innen, auf Youtube sind es über 29 000. Das liegt unter anderem an Strickers Anpassungsfähigkeit. Als der Ärger über die Coronamassnahmen nach deren Aufhebung am 16. Februar 2022 abebbte, wurde er nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eine Woche später über Nacht vom Hobbyepidemiologen zum vermeintlichen Russlandexperten und verbreitet seither Kremlpropaganda. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Titel eines seiner Videos, «Von der Viruslüge zur Kriegslüge», vor allem Strickers eigene Entwicklung punktgenau zusammenfasst.
Mit der abnehmenden öffentlichen Aufmerksamkeit für den Krieg gegen die Ukraine hat Stricker sein Themenfeld erweitert. Während er Anfang 2023 noch bestimmte SVP-Politiker:innen als «Psychoclowns» und «Faschisten» bezeichnete, konzentriert er sich mittlerweile auf Kernthemen der Rechten: Wokeness, Transfeindlichkeit und Migration. Sein «Lieblingspolitiker» ist inzwischen Andreas Glarner, und kürzlich interviewte er das Oberhaupt der rechtsextremen Gruppierung «Junge Tat». Strickers Radikalisierung, nicht nur in Richtung Verschwörungstheorien, sondern auch zum rechten Rand, dürfte ein gewisses Kalkül zugrunde liegen. Schliesslich zeigt eine Studie der Universität Basel, dass der grösste Teil der Coronaskeptiker:innen die SVP wählt. Indem er sich der SVP anbiedert, versucht Stricker wohl, das Fortbestehen seines Geschäftsmodells in Zeiten ohne Pandemie zu sichern.
Unscharfe Grenzen
Gleichzeitig begibt sich die SVP mit Glarners Auftritt an Strickers Anlass einmal mehr auf Stimmenfang im Tümpel der Verschwörungsgläubigen. Dass die SVP mit der Verschwörungsszene flirtet, ist keineswegs neu: Während der Pandemie wurde sie zur unangefochtenen Partei der Impfgegner:innen und entschied sich als einzige bei der Abstimmung über das Covid-Gesetz für Stimmfreigabe. Parteivertreter:innen verbreiten immer wieder krude Verschwörungstheorien. Glarners Auftritt an Strickers Anlass ist nur ein weiteres Beispiel für die unscharfen Grenzen zwischen der politischen Rechten und dem Verschwörungssumpf. Vielleicht liegt der Ursprung dieses Problems tatsächlich im Jahr 1971. Denn es erhielten damals nicht nur die Frauen das Wahlrecht – es ist auch das Gründungsjahr der SVP.
* Anmerkung vom 16. Dezember 2024: Der Autor bezieht sich hier auf den Europol-Terrorismusbericht für das Jahr 2022. Der Bericht für das Jahr 2023 einen Tag nach Redaktionsschluss von WOZ Nr. 50/24 publiziert. In jenem Jahr wurden deutlich mehr jihadistische als rechtsextreme Terroranschläge verübt.