Tether: Der libertäre Traum von einer Zentralbank
Das Kryptounternehmen Tether erfüllt weder die regulatorischen Anforderungen der Schweiz noch die der EU. Doch dafür hat es beste Beziehungen ins Weisse Haus.

Tether hat vergangenes Jahr mehr Profit erzielt als so grosse Schweizer Konzerne wie Nestlé, Roche oder Glencore. 13,7 Milliarden US-Dollar. Erst vor elf Jahren gegründet, ist Tether heute ein schwer durchschaubarer Riese, der vom peripheren Lugano und von El Salvador aus zum grossen Sprung in die USA von Donald Trump ansetzt.
144 Milliarden seiner USDT-Token sind inzwischen im Umlauf. Laut der Kryptobörse Coinbase wechseln davon täglich die Hälfte die Hand. Der USDT ist die beliebteste Kryptowährung für den Kauf von Waren und Dienstleistungen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der USDT ein sogenannter Stablecoin ist. Sein Wert ist fest an den des US-Dollar gebunden. Anders als beim Bitcoin unterliegt sein Kurs nicht grossen Wertschwankungen. Und Tether verspricht Sicherheit: Jeder USDT-Token könne jederzeit in einen US-Dollar umgetauscht werden, behauptet das Unternehmen.
Den Grossteil seiner Einkünfte macht Tether damit, dass es die US-Dollar, mit denen ihm seine Kund:innen die Token abkaufen, in sicheren US-Staatsanleihen anlegt, die derzeit einen Zins von über 4,5 Prozent abwerfen. Weitere grosse Tranchen investiert Tether nach eigenen Angaben in Darlehen an andere Unternehmen und in den Kauf von Bitcoins.
Vorteil des Ersten
Mit seinen Token ist Tether so etwas wie die Zentralbank für Kryptotransaktionen geworden. Es schöpft neues Geld und spielt Währungshüter. Doch das private Unternehmen agiert ohne staatliche Kontrolle. Es lebt einzig vom Vertrauen seiner Kund:innen, ohne sich jedoch von unabhängiger Seite umfassend prüfen zu lassen. Es gibt zwar noch viele weitere Stablecoins von anderen Unternehmen, doch keiner ist annähernd so populär wie Tethers USDT.
«Sie sind wohl so gross, weil sie die Ersten waren, die realisierten, dass es eine stabile Kryptowährung für Zahlungen braucht», sagt Claudio Tessone, Leiter des Blockchain-Zentrums der Universität Zürich. Beschleunigt hat den Aufstieg von Tether die Covid-Krise. Die Menschen hatten Zeit, mit Kryptowährungen wie dem Bitcoin zu spekulieren. Als sicherer Hafen diente dabei der USDT, in den man seine Bitcoins bei Bedarf schnell umtauschen konnte, um sich gegen Wertverluste abzusichern. Neben dem USDT gibt Tether im kleineren Stil auch Token heraus, die an den mexikanischen Peso, den chinesischen Yuan oder an den Goldpreis gebunden sind.
Der USDT ist inzwischen in Ländern mit einer hohen Inflation wie etwa der Türkei oder Argentinien immer gefragter. Auch kleinere Mengen davon lassen sich an Kryptobörsen einfach kaufen. Dank der Blockchain-Technologie sind sie passwortgeschützt jederzeit abrufbar für Überweisungen – ohne Bank. Auch Migrant:innen nutzen immer öfter den USDT, um ihren Verwandten in der Heimat Geld zu überweisen.
Wettrüsten gegen die Polizei
Dabei hat Tether einen denkbar schlechten Ruf. Seine Währungen werden benutzt, um Menschen, Geld, Kokain und Fentanyl zu schmuggeln, illegale Casinos in Südostasien zu betreiben, Sanktionen gegen Russland oder die Hamas zu umgehen und Terrorgruppen wie den Islamischen Staat zu finanzieren, wie etwa der Journalist Zeke Faux in seinem Kryptobuch «Number Go Up» schreibt.
«Stablecoins befriedigen ein Bedürfnis», sagt Claudio Tessone. «Sie sind nicht mehr zu stoppen.» Die Regierungen sollten Regulierungen beschliessen, die nützliche Aktivitäten ermöglichen, aber illegale möglichst unterbinden. Tether-Geschäftsleiter Paolo Ardoino behauptet, sein Unternehmen kooperiere in fünfzig Ländern mit Aufsichtsbehörden. Jede Transaktion sei auf der Blockchain nachvollziehbar. Vermögen könnten so bei Verdacht eingefroren werden. Die Realität ist anders: Laut Tessone lassen sich die Besitzverhältnisse von Kryptogeldern kaum nachvollziehen. «Man sieht zwar auf der Blockchain, dass eine Transaktion stattfindet, weiss aber nicht, wer da wen bezahlt. Es herrscht Transparenz ohne Identitätsprüfung.»
Allerdings, sagt Tessone, unterliefen Geldwäscher:innen auch im Umgang mit Kryptowährungen gelegentlich Fehler. «In der Forschung werden Werkzeuge entwickelt, um ihnen auf die Spur zu kommen.» Kriminelle Organisationen sind dagegen bestrebt, die Verschleierungsmöglichkeiten und die Anonymität von Kryptozahlungen weiter auszubauen. Die Bundespolizei Fedpol schreibt in einem Bericht von einem «Wettrüsten».
Laut Schweizer Gesetzgebung muss ein Stablecoin-Herausgeber wie Tether alle Besitzer:innen seiner Coins kennen. Anonyme Übertragungen sind laut der Finanzmarktaufsicht Finma verboten. Tether bekäme von der Finma also keine Zulassung. Erstaunlich deshalb, dass der «Plan B» in Lugano, Ardoinos Büro dort und all die mit Tether verbundenen Firmen im Tessin (vgl. «Geld für Gelati, Terror und Drogen») für die Schweizer Behörden offenbar kein Problem darstellen.
Grossinvestitionen in El Salvador
Auch in der EU hat Tether keine Zulassung. Am 25. Februar hat die EU-Kommission gestützt auf ihre neuen Richtlinien für Kryptogelder zehn Unternehmen dazu befugt, Stablecoins herauszugeben. Tether gehört nicht dazu. Die EU verlangt etwa, dass Herausgeber von Kryptogeld regelmässig durch eine unabhängige Prüfstelle kontrolliert werden und dass sie ihre Reserven bei anerkannten Banken anlegen. Europäische Kryptobörsen handeln den USDT seither nicht mehr.
Doch ihren Bürger:innen den Kauf und Handel mit dem USDT auf anderen Börsen verbieten kann die EU nicht. Tether hat seinen offiziellen Geschäftssitz in El Salvador; Staatspräsident Nayib Bukele ist ein erklärter Fan von Kryptogeld. Er hat sich schon mehrmals mit Tether-Geschäftsführer Ardoino und Mehrheitsbesitzer Giancarlo Devasini getroffen. Ardoino preist in Interviews die Schönheit und Sicherheit des Landes, das mit der aussergerichtlichen Masseninhaftierung von mutmasslichen Bandenmitgliedern weltweit Schlagzeilen macht.
Tether investiert auch einen Teil seiner Gewinne in El Salvador. So plant das Unternehmen in der Hauptstadt San Salvador den Bau des grössten Hochhauses des Landes mit 70 Stockwerken. Das Parlament hat vergangenes Jahr beschlossen, Unternehmen, die Hochhäuser mit mehr als 35 Etagen besitzen, Steuerbefreiung zu gewähren. Auch soll Tether laut Medienberichten in der Altstadt von San Salvador Liegenschaften aufkaufen, die zuvor mit staatlichen Geldern restauriert wurden. Und Tether investiert in das salvadorianische Geothermieprojekt Volcano Energy. Mit der dort erzeugten Energie sollen unter anderem Hochleistungscomputer betrieben werden, die neue Bitcoins schöpfen.
Der Tether-Freund in der US-Regierung
In den USA hatte Tether lange Mühe, Tritt zu fassen. Ardoino wagte bis vor kurzem nicht einmal, in die USA zu reisen. Einzelne US-Senator:innen haben Tether einst als Bedrohung für die nationale Sicherheit bezeichnet. Der frühere US-Präsident Joe Biden hat 2022 mit einer Executive Order eine härtere Gangart gegen Kryptowährungen angeschlagen und staatliche Regulierungen verfügt. Auch im Parlament wurden entsprechende Gesetze diskutiert. Doch seit der Wahl von Donald Trump ist vieles anders: Trump hat verschiedene Regulierungen rückgängig gemacht und eine spezielle Abteilung im Justizdepartement, die Betrügereien mit Kryptowährungen untersuchen soll, aufgelöst. Mehrere Ermittlungen gegen Kryptounternehmen wurden eingestellt. Ausserdem verfügt Tether nun mit dem Handelsminister Howard Lutnick über einen direkten Draht in die Regierung.
Lutnick war bis vor seiner Ernennung CEO und Besitzer des Wall-Street-Unternehmens Cantor Fitzgerald. Tethers Ankäufe von US-Staatsanleihen liefen alle über Cantor Fitzgerald, das als sogenannter Primary Dealer direkten Zugang zur Zentralbank hat. In einer Rede an der Kryptokonferenz Bitcoin 2024 hielt Lutnick einen mehrminütigen Werbevortrag für Tether. So sagte er unter anderem: «Ich kann Ihnen mit absoluter Sicherheit sagen, dass Tether jederzeit USDT mit Dollar zurückkaufen kann, so viel wie nötig.» Und es sei ein «totaler Scheiss, wenn behauptet wird, Tether habe was mit der Hamas zu tun oder gehöre den Chinesen».
Tether tut alles, um sich bei Trump und seinen Getreuen beliebt zu machen: Nach Trumps Wahl kündigte Tether «ein strategisches Investment» von 775 Millionen US-Dollar in Rumble an, eine Online-Streamingplattform, die eng mit der Republikanischen Partei und Donald Trump verbunden ist. Eingefädelt hatte den Deal Lutnick. Rumble verwaltet etwa Trumps Social-Media-Plattform Truth Social. Zu seinen Investoren gehören auch US-Vizepräsident J. D. Vance und der rechte Techmilliardär Peter Thiel. Tether ist laut einem Dokument der US-Börsenaufsicht SEC nun neben dem Direktor Chris Pavlovski grösster Anteilseigner von Rumble.
Auch Donald Trump und seine Familie sind inzwischen grosse Fans von Kryptowährungen. Trumps Söhne Eric und Donald Junior haben vor wenigen Monaten die Firma World Liberty Financial gegründet, mit der sie in Bitcoin und andere Kryptowährungen investieren. Erst kürzlich tätigten sie eine grössere Investition in die Bitcoin-Minenfabrik American Bitcoin. Auch planen sie, einen eigenen Stablecoin zu gründen.
Früher war Donald Trump noch skeptisch gegenüber Kryptowährungen. Laut dem «Wall Street Journal» haben jedoch Berater:innen im Wahlkampf 2024 realisiert, dass sich wohlwollende Aussagen zu Kryptowährungen positiv auf die Zustimmungsraten von Jungwähler:innen in Swing States auswirken. Laut der NGO Public Citizen haben Kryptounternehmen rund hundert Millionen US-Dollar in den vergangenen Präsidentschaftswahlkampf gepumpt. Nach seiner Wahl erhielt Trump aus der selben Ecke gemäss «Wall Street Journal» über fünfzig Millionen Dollar an Spenden für die Vorbereitungen seiner Inaugurationsfeier, und er traf sich mit mindestens acht führenden Personen aus der Branche. Inzwischen hat Trump angeordnet, verschiedene Kryptowährungen in die strategische Reserve des Landes aufzunehmen.
Im März 2025 flog Paolo Ardoino in die USA und liess sich in der Hauptstadt Washington vor dem Kapitol ablichten. Er hat da offenbar nichts mehr zu befürchten. In einem kürzlich veröffentlichten Interview auf Youtube entwickelte er ohne jede Bescheidenheit seine Visionen: Dank künstlicher Intelligenz soll die Zahlung mit Tethers Währung noch viel einfacher werden. Niemand ausser dem Kunden und dem Verkäufer soll noch Einblick in den Ablauf haben: «Wir haben die Philosophie, die Technik und das Geld dazu.» Ardoino träumt dabei bereits von einer Billion USDT. Man sei gerüstet, auch wenn das bisherige Währungssystem der Staaten in sich zusammenfalle. Private wie Tether würden dann übernehmen.