Lugano und der «Plan B»: Geld für Gelati, Terror und Drogen
Lugano will Kryptohauptstadt Europas werden und setzt dabei auf eine Firma, deren digitale Währung weltweit zur Geldwäsche genutzt wird.

Der Mann hinter dem Tresen hat das richtige Zahlterminal schnell gefunden, tut sich jedoch sichtlich schwer damit. Mit gerunzelter Stirn drückt er hastig ein paar Tasten auf dem Gerät, dann ruft er einen älteren Kollegen zu Hilfe, um sich wieder der wachsenden Schlange widmen zu können. Denn es ist viel los am Stand vor dem Delikatessengeschäft in der Luganer Altstadt. Es ist Mittag, die Sonne funkelt auf dem türkisgrünen See und wärmt die gepflasterten Strassen. Die warme Frühlingsluft macht Lust, sich auf die Piazza zu setzen und Aperol Spritz in Dauerschleife zu trinken. Ein denkbar unpassender Moment, um sein Porchetta-Brötchen mit Bitcoin zu bezahlen.
Auch der zweite Kollege muss bald Verstärkung anfordern, und aus den Tiefen des Ladens taucht eine junge Frau auf und trifft schnell eine Entscheidung: Die Maschine wird ausgetauscht. Kurz darauf scannt das Handy den QR-Code auf dem neuen Terminal, aber nichts passiert. Einmal tief durchatmen, ein neuer Anlauf – und siehe da, es funktioniert.
9.50 Franken (0,00011269 Bitcoin) für das Sandwich zuzüglich 1.40 Franken Gebühren und gute fünf Minuten Wartezeit. Wie die Zukunft der Finanzwelt fühlt sich das irgendwie nicht an.
B steht für Bitcoin
Im März 2022 hat die Regierung Luganos mit grossem Pomp ihren ambitionierten «Plan B» verkündet, ein Projekt, das Lugano zur «Kryptohauptstadt Europas» machen soll. Das B steht für Bitcoin. Ihre Hauptpartnerin ist dabei das Unternehmen Tether, Herausgeber der weltweit meistgehandelten Kryptowährung USDT und Betreiber der Kryptobörse Bitfinex. Im gemeinsam unterzeichneten «Memorandum of Understanding» ist der Deal skizziert: Tether stellt die Mittel bereit, um in Lugano ein florierendes Kryptoökosystem zu etablieren – darunter ein Fonds von hundert Millionen Franken für Blockchain-Start-ups sowie ein ergänzender Drei-Millionen-Fonds, der lokale Unternehmen bei der Einführung von Kryptozahlungen unterstützt. Schon heute können Einwohner:innen Steuern, Gebühren und Einkäufe mit Bitcoin, USDT oder dem stadteigenen Token LVGA (ausgesprochen wie «Luga») begleichen. Über 450 lokale Geschäfte akzeptieren die digitalen Währungen. Im Gegenzug nutzt Tether, wie es im Memorandum heisst, die «stilvolle und wohlhabende Stadt mit mediterranem Klima» als «Testlabor» für neue Technologien und Software, bevor diese weltweit eingeführt werden sollen.
Eine Hand wäscht die andere, wenn man so will. Aber es gibt einen Haken: Tether hat eine Vorgeschichte, die anderswo zu Anklagen statt zu Partnerschaften geführt hat.
Seit 2016 gerät Tether regelmässig ins Visier der US-Behörden – unter anderem wegen der Vertuschung von Verlusten (Vergleich über 18,5 Millionen US-Dollar), Falschangaben zur Dollardeckung (Geldstrafe von 41 Millionen Dollar) sowie des Verdachts auf Marktmanipulation (nicht erhärtet).
Als «Stablecoin» ist Tether an den Kurs des US-Dollars gebunden. Wegen der daraus resultierenden Stabilität ist die Währung längst zu einem bevorzugten Vehikel für Geldwäsche avanciert. Zahlreiche Berichte dokumentieren seine Rolle in der Begünstigung von Menschenhandel und Zwangsarbeit in Südostasien, in den Netzwerken von Drogenkartellen und Terrororganisationen – sowie bei der Umgehung von Sanktionen durch die Regimes Russlands und Nordkoreas.
Tethers mysteriöser Schöpfer, der heute sechzigjährige Italiener Giancarlo Devasini, ist schon in der Vergangenheit mit «kreativen» Geschäftsmodellen aufgefallen. Einst Schönheitschirurg, wechselte Devasini Anfang neunziger Jahre in die IT-Branche. 1996 musste er dann Microsoft eine Entschädigung zahlen, weil er Raubkopien von dessen Software im Millionenwert verkauft hatte. Nach mehreren gescheiterten Unternehmungen gründete er 2014 Tether. Trotz wiederkehrender Probleme mit der Justiz laufen die Geschäfte blendend: «Forbes» schätzt Devasinis Vermögen auf derzeit 22,4 Milliarden US-Dollar – mehr als doppelt so viel wie noch vor einem Jahr.
Von 2017 bis Juni 2023 lebte Devasini in Lugano, wo er von einem unscheinbaren Büro oberhalb einer Sportbar aus sein Imperium ausdehnte. Die bescheidene Dreizimmerwohnung in einem Plattenbau mit roten Metallfenstern und verwitterter Fassade wirkt kaum wie die ehemalige Residenz eines Kryptomilliardärs. Die Monatsmiete beträgt laut «Corriere del Ticino» rund 1400 Franken. Sein Name ist heute weder auf der Klingel noch im Tessiner Handelsregister zu finden.
Devasini, seit jeher medienscheu, hat sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seit Dezember 2023 ist CEO Paolo Ardoino das Gesicht der Firma, ein vierzigjähriger, charismatischer Italiener mit Wohnsitz in Lugano. Ein Dokument aus der Datenbank der US-Börsenaufsicht SEC von Ende März zeigt allerdings, dass Devasini weiterhin über mehr als fünfzig Prozent der Stimmrechte an Tether verfügt und als einziger Unterzeichner auftritt – ein klares Zeichen, dass er die Zügel nach wie vor fest in der Hand hält.
«Einfach naiv»
Der Bürgermeister von Lugano, Michele Foletti, erzählt gerne, dass er früher öfter mit Devasini zu Mittag gegessen habe. Heute empfängt der Lega-Politiker im ehrwürdigen Rathaus in einem hohen Sitzungszimmer an einem übergrossen Tisch aus dunklem Massivholz. An Folettis Seite sitzt Pietro Poretti, Direktor für wirtschaftliche Entwicklung. Er sei «sehr zufrieden» mit dem Verlauf des «Plan B», sagt Foletti und zählt ausschweifend die Errungenschaften der letzten drei Jahre auf: internationale Sichtbarkeit, eine Welle neuer Firmen im Krypto- und Blockchainbereich. «Über achtzig seit Beginn», ergänzt Poretti. Die Liste habe er erst am Morgen aktualisiert – einsehen darf man sie allerdings nicht.
Und wie steht Foletti zur kriminellen Vergangenheit seiner Geschäftspartner?
«Vielleicht waren sie damals einfach naiv.» Die rechtlichen Probleme seien vor allem auf fehlende Regulierung in der Anfangszeit digitaler Vermögenswerte zurückzuführen, so Foletti. «Ohne klare Regeln war es schwer zu wissen, was erlaubt war und was nicht.»
Foletti betont, dass die Stadt kein finanzielles Risiko trage. Die Investitionen in den «Plan B» stammten ausschliesslich von Tether und dessen Partnerfirmen. Sollten sich die Geschäftspraktiken des Unternehmens doch als illegal entpuppen und zum Kollaps führen – so geschehen im November 2022 mit der damals zweitgrössten Kryptobörse der Welt, FTX –, wäre einzig der Ruf Luganos geschädigt, nicht die Stadtkasse.
Die Luganer GLP-Kantonsrätin Sara Beretta Piccoli sieht in der engen Partnerschaft mit Tether jedoch ein weiteres Risiko: dass sich die Stadt an einen durch Geldwäsche genährten Wirtschaftszweig bindet – schon wieder.
Wie zahlreiche Gerichtsfälle belegen, war Lugano jahrzehntelang ein bevorzugter «Waschsalon» für italienische Mafiaclans und andere vermögende Kund:innen, die «Diskretion» schätzten. Der Wegfall des Bankgeheimnisses traf das einst drittgrösste Finanzzentrum der Schweiz entsprechend hart: Mit dem zunehmenden internationalen Drängen auf Steuertransparenz und dem automatischen Informationsaustausch flossen Kund:innengelder ab, es hagelte Bussen, Banken schlossen reihenweise ihre Tore, etliche Arbeitsplätze gingen verloren.
Als einkommensschwächste Region der Schweiz wurde das Tessin zudem überproportional stark von der Pandemie gebeutelt. Mit dem «Plan B» soll durch die Ansiedlung neuer Firmen nun wieder mehr Geld in die Stadt gespült werden und der wirtschaftliche Umschwung gelingen. Doch Beretta Piccoli zweifelt: «Mehr als 2000 Familien in Lugano sind auf ein Tischlein-deck-dich-Abo angewiesen, um über die Runden zu kommen, doch für die Regierung hat Priorität, dass man seinen Kaffee mit Bitcoin zahlen kann. Das ist absurd!» Und eben: Die Verbreitung solcher Zahlungsmittel öffne Tür und Tor für Geldwäscherei in der Region. Die vergangene Woche publik gewordenen Ermittlungen gegen einen Ukrainer in Giubiasco, der über Kryptowährungen Hunderttausende Franken gewaschen haben soll, bestätigen Beretta Piccolis Befürchtungen. «Die Transaktionen sind anonym», sagt sie, «es fehlt jegliche Kontrolle.»
Nur ein privates Büro
Laut der Schweizerischen Finanzmarktaufsicht (Finma) gilt Tether als Stablecoin-Herausgeber zwar als «Finanzintermediär im Sinne der Geldwäschereigesetzgebung» und müsste seine Nutzer:innen identifizieren. Doch da das Unternehmen in der Schweiz keine offizielle Niederlassung betreibt, ist die Aufsichtsbehörde nicht zuständig.
Inoffiziell ist Tether jedoch sehr wohl präsent. In einem frisch renovierten Altstadtgebäude mit elegantem Lichthof wurde im November der «POW Space» eröffnet, ein Co-Working-Hub für Bitcoin-Start-ups, finanziert im Rahmen des «Plan B». Bei einem Rundgang erklärt Giacomo Zucco, Vizepräsident der «Plan B»-Foundation, dass das oberste Stockwerk von Tether genutzt wird. Von hier führt CEO Paolo Ardoino mutmasslich das Milliardenunternehmen. Bürgermeister Foletti winkt ab: Es handle sich um Ardoinos «privates Büro» ohne jede Verbindung zu Tether. Sehr plausibel klingt das nicht.
Es gibt weitere Verbindungen zwischen Tether und Lugano: Claudia Lagorio, Mitglied der Geschäftsleitung von Tether und Bitfinex, lebte bis vor kurzem in der Stadt und sitzt im Verwaltungsrat der Markt- und Meinungsforschungsfirma UBQ, die ebenfalls im POW Space ansässig ist. Im selben Verwaltungsrat sitzt mit Alessia Origgi eine ebenfalls in Lugano wohnhafte junge Tessinerin, um die sich ein ganzes Firmennetzwerk spannt – stets mit Spuren zurück zu Tether oder Giancarlo Devasini. Auf Anfragen reagierten weder sie noch Lagorio.
Tether war früher auf den britischen Virgin Islands registriert, heute ist der offizielle Firmensitz in El Salvador, unter dem autokratischen Präsidenten Nayib Bukele ein Kryptoparadies ohne jegliche Regulierung. Der Verdacht drängt sich auf, dass Tether gezielt versucht, die strengeren Schweizer Vorschriften zu umgehen. Darauf angesprochen, teilt die Finma mit, sie äussere sich «grundsätzlich nicht zu ihrer Aufsichtstätigkeit oder zur Bewilligungspflicht einzelner Unternehmen».
Fakt ist: Mit einer Marktkapitalisierung von 144 Milliarden US-Dollar ist Tether mit einer mittelgrossen Bank vergleichbar, jedoch niemandem Rechenschaft schuldig. Das betrifft nicht nur Fragen der Geldwäsche, sondern auch die Transparenz in Bezug auf Reserven der Firma. «Wäre Tether eine Bank, müsste die Firma einen vollständigen Audit vorlegen», sagt Giovanni Barone-Adesi, Wirtschaftsprofessor an der Università della Svizzera italiana. Tether hingegen habe noch nie eine echte Prüfung durchführen lassen. Stattdessen veröffentliche das Unternehmen regelmässig sogenannte «Independent Auditors Reports» – «doch diese bieten kein vollständiges Bild».
Zudem werden diese Berichte vom Wirtschaftsprüfungsunternehmen BDO Italia erstellt, das erst kürzlich wegen manipulierter Abschlussberichte einer in Konkurs gegangenen Kryptobörse zu einer Busse von 250 000 Euro verurteilt wurde. Kurz gesagt: Niemand ausserhalb des Unternehmens weiss mit Sicherheit, ob Tether tatsächlich über die liquiden Mittel verfügt, die es vorgibt zu besitzen. Auf Nachfrage zu diesem und weiteren Punkten blieb die Geschäftsleitung bis Redaktionsschluss stumm. Kein Mitglied war zu einem Gespräch bereit.
All das bereitet Michele Foletti offenbar keine Sorgen. Der Bürgermeister ist sich seines Planes sicher. So sicher, dass er die Zusammenarbeit mit Tether noch ausbauen will. «Wir sprechen gerade mit Paolo und Giancarlo darüber, den Horizont zu erweitern», sagt er. Tether habe letztes Jahr dreizehn Milliarden Dollar Gewinn gemacht, Geld, das nun in neue Geschäftsbereiche fliessen solle: künstliche Intelligenz, Robotik, Medtech, Neurowissenschaften. «Tether expandiert und möchte das weiterhin auch mit uns tun, in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Universitäten.» Die Förderung von Bildung und Start-ups solle dabei im Zentrum bleiben.
Wie schon beim ursprünglichen «Plan B» klingt das alles äusserst vielversprechend – wäre da nicht dieser Haken. Man kann nur hoffen, dass Lugano für den Ernstfall einen soliden Plan C in petto hat. Falls nicht, bleibt immerhin der Aperol Spritz auf der sonnigen Piazza.