Das richtige «Woher kommst Du?»

Die Frage «Woher kommst du?» sorgt immer wieder für Kontroversen: Für die einen ist sie eindeutiges No-Go, hinter ihr muss rassistische Motivation stecken. Für andere ist die Frage «nicht böse gemeint» und schlichte Einstiegsfrage für einen lockeren Smalltalk.

Wenn mir Schweizer:innen diese Frage stellen, passiert meistens etwas, das mir Bauchschmerzen bereitet. Es folgt ein Gespräch, das ihre Distanzlosigkeit gegenüber mir offenbart. Als Beispiel eine Konversation, die ich über mich ergehen lassen musste.

Am Nachbartisch im Restaurant sass ein nettes älteres Schweizer Paar. Sie lächelten mich an und begannen ein Gespräch. Es dauerte keine zwei Minuten, da war sie da, die ominöse Frage.

Woher kommen Sie?

Ich komme aus Zürich.

Nein, ich meine, Ihre Eltern.

Meine Eltern sind aus Tibet. 

Aha, und wo wohnen sie?

Meine Mutter wohnt in Zürich. Mein Vater in Winterthur.

Dann sind sie nicht mehr zusammen?

Nein, sie sind getrennt.

 

Und so weiter und so fort.

Wieso muss ich eigentlich immer das Land, die Kultur und die Sprache der Eltern sofort offenbaren? Damit ich dann oberflächliche Diskussionen über «Sieben Jahre in Tibet» und Momos führen kann oder die Fluchtgeschichte meiner Grosseltern erzählen muss, obwohl ich meine Gesprächspartner erst zwei Minuten lang kenne? 

Aber anstatt zu jammern, möchte ich etwas zu Smalltalk-Methoden beitragen und die korrekte Anwendung der Frage «Woher kommst du?» an einem Fallbeispiel demonstrieren: 

Ich stand an der Bar, und ein junger Bio-Schweizer im Hemd lächelte mich an und begann ein Gespräch. Nachfolgend die Konversation, die er über sich ergehen lassen musste:

Wieso bist du in der Jungen FDP?

Ich bin für Freiheit und Eigenverantwortung. Jeder, der will, kann es in der Schweiz zu etwas bringen.

Ach ja? Woher kommst du?

Ich bin in Küsnacht aufgewachsen.

Ah, wusst ichs doch. Ich glaube, du bist in der FDP, weil du wahrscheinlich aus der oberen Schicht kommst.

Was? Nein, sicher nicht. Ich bin nicht reich geboren.

Bist du in einer Mietwohnung oder einem Eigentumshaus geboren?

Also ... Es war kein grosses Haus!

Also Eigentum?

Ja, schon, ja.

War ich distanzlos? Ja. Habe ich relevante Fragen gestellt? Auch ja. Wenn ich weiss, dass deine Eltern Eigentum besitzen, weiss ich auch, wieso du die FDP toll findest. Wenn du hingegen weisst, dass meine Eltern aus Tibet kommen, hast du noch keine Information darüber, wer ich bin. Deshalb schlage ich zukünftig vor, dass wir das richtige «Woher kommst du?» meinen, wenn wir die ominöse Frage stellen.
An dieser Stelle lesen Sie immer freitags einen Text unserer Kolumnistin Migmar Dolma. Sie ist Gewerkschafterin, Vorstandsmitglied des postmigrantischen Thinktanks Institut Neue Schweiz und aktiv in der tibetischen Unabhängigkeitsbewegung. Dolma ist 32 Jahre alt und lebt in Zürich.