Durch den Monat mit «kurds und bündig» (Teil 2): Woran merkt man, dass man Ausländer ist?

Nr. 6 –

Die Podcaster Yoldaş Gündoğdu und Serhat Koca sind in armen Verhältnissen aufgewachsen. Das hat sie für immer geprägt.

Serhat Koca und Yoldaş Gündoğdu in Winterthur
«Der Terror des IS hat dazu geführt, dass ich nicht mehr erklären musste, was ein Kurde ist»: Serhat Koca und Yoldaş Gündoğdu in Winterthur.

WOZ: Yoldaş Gündoğdu und Serhat Koca, «Kurds und bündig» ist der Podcast für Menschen, deren Name im Word rot unterstrichen ist. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie da dazugehören?

Yoldaş Gündoğdu: Ich hab recht früh gecheckt, dass Menschen meinen Namen nicht können. Also hab ich mich schon als Kind als «Yosh» vorgestellt. Mir war das gar nie bewusst, erst jetzt weiss ich: Ich nannte mich so, um für mich unangenehme Situationen zu vermeiden. Damit ich eben nicht sagen muss: «Hey, ich heiss Yoldaş», und dann muss ich noch erklären, woher der Name kommt, was die Kurden sind et cetera. Als Kurden mussten wir uns immer erklären. Und statt dreissig Fragen beantworten zu müssen, sagte ich einfach «Yosh».

Serhat Koca: Erklär mal einem Zehnjährigen, was ein Land ist, das sich über vier Länder erstreckt. Das checkt der doch nicht.

Wie war es für Sie, Serhat Koca?

Koca: Ich bin in Oberi aufgewachsen, in Winterthur. Und ich hab gemerkt, dass ich kein Schweizer war, wegen unserer Nachbarin, Frau Fuchs. So eine alte Schweizerin, siebzig, achtzig, hey, die hat im Block nichts anderes gemacht, als rassistisch zu sein. Und weisst du, was mein Vater gesagt hat, als er endlich den Schweizer Pass geholt hat? Wir sind im Gang, und sie taucht auf, motzt dumm, «Ah, dir huere Usländer» und so. Mein Vater hat den Pass hochgehalten und gesagt «Da. Ich bi Schwyzer. Öbs dir passt oder nid, ich bi Schwyzer.»

Und in der sechsten Klasse hielt ich mal einen Vortrag über Kurdistan und brachte ein typisches Süssgebäck mit, Halka Tatlısı. So ein Ring, der frittiert ist, schwierig zu erklären. Auf jeden Fall war die Reaktion der Schweizer:innen: «Ah, das sind ja Churros.» Und ich: «Äh, ja, so in etwa.» Ich hatte keine Ahnung, was Churros sind.

Die Schweizer Kinder hatten Zugang zu Gerichten aus aller Welt.

Koca: Genau das meine ich. Auswärts hab ich nie gegessen, auswärts bei uns war Döner oder Pizza. Und ich muss auch sagen, so bitter es klingt: Der Terror des IS hat dazu geführt, dass ich nicht mehr erklären musste, was ein Kurde ist.

Gündoğdu: Der Kampf gegen den IS hat die Kurden cool gemacht.

Koca: Die Leute waren plötzlich viel informierter. Das war auch schön für mich, meine Herkunft mal nicht mehr erklären zu müssen. Gleichzeitig wusste ich auch viel mehr über die Herkunft der Leute, mit denen ich es gehängt hab. Albaner, Türken, Serben. Ich wusste genau, wieso etwa der Vater eines Kollegen aus dem Kongo geflüchtet war. Von anderen Orten hatte ich keine Ahnung, Arosa etwa. Da erzählt mir jemand, er sei in den Winterferien in Arosa gewesen, und ich denke so, Arosa, krass, die Schweizer gehen eiskalt nach Spanien über Neujahr und Weihnachten! (Lacht.)

Hat Sie Ihr Unwissen gestört?

Koca: Nein, du kennst als Kind ja nur, was du kennst. Und hinterfragst das nicht.

Gündoğdu: Ich weiss noch das erste Mal, wo ich gecheckt hab, dass wir arm sind: als ich bei einem Schweizer Nachbarn zu Hause war und der hatte eine Treppe im Haus. Und zwei Fernseher.

Koca: Dafür durften die nur zwei Stunden gamen pro Woche. Was bringts.

Gündoğdu: Das war für mich ein Zeichen von Geld, vorher hatte ich das nicht so gecheckt. Im sozialen Umfeld unserer Eltern waren alle broke.

Koca: Aber es war nicht nur das Geld. Unsere Eltern mussten sich in einem neuen Land zurechtfinden. Yoshs Mutter war alleinerziehend und hatte drei Jobs gleichzeitig. Mein Vater hat sieben Tage die Woche gearbeitet. Ich erinnere mich noch, wie er jeden Abend nach Hause kam, zur Tür herein, direkt die Arbeitskleidung ausgezogen, geduscht, gegessen. Und dann kam so ein Idiot wie ich und hat Forderungen gestellt. Wieso machen wir dies nicht, wieso bekomm ich das nicht, wie führst du eigentlich deine Firma? Du arbeitest dich kaputt, und es reicht immer noch nicht! Und jetzt denke ich, was hab ich mir dabei gedacht.

Sie waren ja noch ein Kind.

Koca: Logisch. Ich will eher sagen: Den Rucksack unserer Eltern, den wünsch ich niemandem. So ein grosser Rucksack mit so viel Unsicherheit und Angst. Meine Eltern waren nicht so Mitarbeitergespräch und du machst Verhandlungen wegen 200, 300 Franken mehr pro Monat. Die waren mehr so: Hab ich meinen Job nächstes Jahr noch, okay, danke.

Gündoğdu: Ich hab kürzlich jemandem erzählt, in was für Verhältnissen ich und mein Mami gelebt haben, und da kommt mir der Typ und fragt so: Ja, wieso seid ihr denn nicht zum Mieterverband? Sorry, aber mein Mami hat doch Ja und Amen dazu gesagt, dass sie Geld zahlen darf, um zu wohnen.

Koca: Vor allem: Wann soll sie zum Mieterverband? Am Sonntagnachmittag?

Gündoğdu: Fakt ist, dass Sero und ich heute eine Hustlermentalität haben. Ich hab gesehen, wie das ist, mit meiner Mutter in einer Zweizimmerwohnung für 900 Stutz leben zu müssen, mit 500 Franken pro Monat für den ganzen Rest. Und ich weiss einfach, wo ich nicht mehr hinwill. Der Rapper L Loko sagte mal: «Bi mim Dad ischs nid gloffe, kei Angscht, miner Chind wärded Bonze.»

Yoldaş Gündoğdu (28) arbeitet bei SRF und studiert Film an der ZHdK. Serhat Koca (29) arbeitet im IT-Bereich. Ohne die Aufopferung ihrer Eltern, sagen sie, wären sie niemals da, wo sie heute sind.