Auf allen Kanälen: Und sie lesen doch

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Literatur auf Tiktok: Unter dem Hashtag #BookTok ist das nicht nur in den USA längst ein Phänomen. Jetzt springt auch die Buchbranche im deutschsprachigen Raum auf.

stilisierter Screenshot eines Online-Videos: telling you if popular booktok books are worth it, part 5

Seit Jahren heisst es von allen Seiten, jüngere Generationen würden nicht mehr zum Buch greifen und nur noch am Handy hängen. Dabei können gerade Smartphones bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Begeisterung für Bücher wecken. Dies beweist die Kurzvideo-App Tiktok, auf der sich in den vergangenen Jahren eine riesige Booktok-Community entwickelt hat. Unter dem Hashtag #BookTok verraten Buchliebhaber:innen ihre persönlichen Buchtipps, filmen ihre nach Farben sortierten Buchregale ab oder lesen aus einem Buch vor.

So auch der Muttenzer Josia Jourdan. Dem Zwanzigjährigen, der seit seinem zwölften Lebensjahr aktiv im Netz ist, folgen mehr als 18 000 Leute. Bei seinen Buchempfehlungen sitzt er unaufgeregt in einem Zimmer vor einem Büchergestell und präsentiert in ein paar wenigen Sätzen die Bücher, die er gelesen hat. Allerdings setzt Jourdan nicht nur auf Booktok-Content, sondern auf unterschiedliche Inhalte wie Videoblogs (Vlogs) aus seinem Alltag, seinen Reisen oder über Datingstorys. «Dadurch kann ich Menschen erreichen, die nicht reinen Bücheraccounts folgen wollen, aber nicht abgeneigt sind zu lesen», sagt er. Seine Lesetipps bindet er deswegen in Vlogs ein. Jourdans Buchauswahl ist gemischt, vom Jugendbuch bis zum Klassiker, und er bespreche fast jedes Buch, das er lese. Vor allem aber queere Literatur, weil er sich für mehr Vielfalt einsetzen möchte. Er weiss, dass er seine jungen Follower:innen beeinflussen kann: «In meinem persönlichen Umfeld bekommen viele ihre Buchempfehlungen vor allem über Tiktok.»

Verkaufsmotor für Achilles

In den USA hat man das Potenzial von Tiktok schon länger erkannt, und ältere Titel erleben dank Booktok einen zweiten Frühling. Zum Beispiel «Das Lied des Achill» (2011) von Madeline Miller. Der Roman erfuhr 2021 einen neuen Hype, als Booktoker:innen diese zeitgemässe Variante der «Ilias» entdeckten und sich der Hashtag #SongOfAchilles viral verbreitete. Im Juni 2022 gab Millers US-Verlag Ecco bekannt, dass inzwischen zwei Millionen Exemplare verkauft seien – die ursprüngliche Auflage hatte gerade mal 20 000 betragen. Laut dem Marktanalysten Bookscan sorgte Tiktok 2021 in den USA für zwanzig Millionen verkaufte Bücher – physische Exemplare wohlgemerkt.

Auch im deutschsprachigen Raum entdecken nicht nur immer mehr User:innen, sondern auch Verlage und Buchhandlungen langsam das Potenzial und den Einfluss von Booktok. Kurz nach der letzten Frankfurter Buchmesse ging das erste Tiktok von Suhrkamp online. Mittlerweile stellt der Verlag regelmässig Filme online, in denen Mitarbeiter:innen Neuerscheinungen präsentieren, thematische Buchempfehlungen machen oder Rätsel spielen. Bisher hat Suhrkamp knapp 1300 Follower:innen, Tendenz steigend. Der DTV-Verlag ist da schon weiter: Er ist seit rund eineinhalb Jahren auf Tiktok, und mehr als 17 000 Menschen folgen dem Kanal. Der Entschluss, einen Tiktok-Account zu erstellen, war allerdings den Umständen geschuldet, wie Marketingleiterin Rita Bollig erklärt: «Wir hatten das Buch von Charli D’Amelio eingekauft, die eine der erfolgreichsten Tiktokerinnen der Welt ist. Da war es natürlich sinnvoll, auf Tiktok Werbung zu machen.»

Die App wird älter

Noch sind es vor allem Romane für ein tendenziell jüngeres Publikum, also «Young Adult», Romance und Fantasy, die auf Tiktok funktionieren. Doch langsam ändert sich das, Tiktok wird «älter». In den USA sind zwar immer noch rund sechzig Prozent der User:innen unter dreissig, aber auch immer mehr Millennials und ältere Generationen sind auf der App aktiv.

Dieser demografische Wandel hat auch Auswirkungen auf Booktok. Laut Rita Bollig werden bei DTV nicht mehr nur Young-Adult-Bücher über Booktok beworben. Zukünftig wolle man das ausbauen: «Man muss das aber vorsichtig machen. Wenn wir zu weit von unserem Publikum weggehen, schaut sich das niemand an.» Dass immer mehr Literaturverlage aktiv sind, wertet sie ebenfalls als Zeichen für den Wandel. Und der Booktoker Josia Jourdan empfiehlt Verlagen, lieber heute als morgen einen Account zu erstellen, denn: «Fürs Marketing ist jeder Tag ohne Tiktok-Kanal verlorene Zeit.»

Booktok-Event mit Josia Jourdan in Bern, Buchhandlung Stauffacher, Dienstag, 28. Januar 2023, 18 Uhr. www.orellfuessli.ch