Monique Jacot (1934–2024): Viele ihrer Frauenporträts sind eigentlich Selbstporträts

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Sie war eine der bedeutendsten Schweizer Fotograf:innen ihrer Generation: Am 6. August ist Monique Jacot kurz vor ihrem 90. Geburtstag in Epesses gestorben. Sie hinterlässt ein Werk, das weit über seine Zeit hinausweist.

Fotoserie: Monique Jacot mit ihrer Fotoausrüstung
Monique Jacot, 2003 Foto: © Monique Jacot / Foto­stiftung Schweiz, Courtesy Photo Elysée

Die endlosen Übungen mit Gläsern, Eiern, Gabeln und anderen Objekten langweilen sie. Monique Jacot, 1934 in Neuenburg geboren, bricht schon während ihrer Ausbildung immer wieder aus dem Korsett der technisch perfekten Studiofotografie aus, die ihr an der École des arts et métiers in Vevey vermittelt wird. Lieber unternimmt sie Streifzüge in die Natur und ins Stadtleben, bringt Bilder zurück, bei denen es nicht um ausgeklügelte Inszenierungen geht, sondern um kleine Beobachtungen im Alltag, zufällige Begegnungen mit Menschen, überraschende Szenen und Entdeckungen auf der Strasse. Kaum hat sie 1956 ihr Diplom in der Tasche, beginnt die junge Fotografin, ihr Brot mit Reportagen zu verdienen.

Die Zeiten sind günstig: Die Konjunktur der fünfziger Jahre spiegelt sich auch in der Medienlandschaft und beschert dem Fotojournalismus eine Blütezeit. In der Schweiz erscheint zum Beispiel ab 1951 nach dem Modell des US-amerikanischen «Life» die illustrierte Zeitschrift «Die Woche» mit gut gestalteten Fotoreportagen; ebenso versuchen ältere Titel, mit frischen Bildberichten neue Leser:innen zu gewinnen. Monique Jacot gelingt es schnell, Beiträge in der «Woche» oder in der «Annabelle» zu platzieren; später gehören internationale Zeitschriften wie «Vogue», «Elle» oder «Geo» zu ihren Abnehmer:innen.

Reportage und Ausbruch

Mit dem Erfolg wächst aber auch ihre Skepsis. Sie sträubt sich dagegen, die erwartbaren Illustrationen zu «Frauenthemen» wie Kinder und Familie zu liefern. Stattdessen packt sie eigene Geschichten an: Bildberichte über die rebellische Niki de Saint Phalle, über junge Kunstturnerinnen im politisch angespannten Klima von Prag, über die Erziehung und die Ausbildung von Mädchen im geschlossenen englischen Internat Wycombe Abbey. Sie ist neugierig auf die Welt und erweitert ihren Radius, bereist Europa und die USA auf der Suche nach ihren Themen, die sich meist um gesellschaftliche Fragen drehen. Eine Reportage über die in Kalifornien lebenden Designer:innen Charles und Ray Eames ist für sie ein Schlüsselerlebnis, weil sie dabei den faszinierenden Lebensstil eines emanzipierten Paars entdeckt.

Schon 1960 wird Monique Jacot im stilbildenden Fachmagazin «Camera» als «neuer Typus von Bildberichterstattern» gewürdigt. Doch während sie sich mit ihrer subjektiven Bildsprache einen Namen macht, verschlechtern sich die Rahmenbedingungen. Nach der Scheidung von ihrem Mann, dem Fotojournalisten Yvan Dalain, ist sie doppelt gefordert: Als alleinerziehende Mutter nimmt sie ihre zwei kleinen Kinder zuweilen auf Reportagen mit, und häufig kann sie erst in der Dunkelkammer arbeiten, wenn die Kinder schlafen. Zudem geraten die Printmedien in den sechziger und siebziger Jahren immer stärker unter Druck. Wichtige Plattformen für Fotografie verschwinden, der Spielraum für unabhängige Reportagen wird enger.

Monique Jacot beginnt frühzeitig, sich aus den Fesseln des Medienbetriebs zu befreien, indem sie Bilder produziert, die sie ausstellen und manchmal auch verkaufen kann. Neben Einzelwerken aus Reportagen zeigt sie auch ganze Serien, die sich klar von der journalistischen Berichterstattung abheben. Ihre «Paysages intérieurs» zum Beispiel handeln von leeren Räumen, melancholischen Innenwelten, in denen die Zeit stillsteht. 1980 von der Fotostiftung Schweiz im Kunsthaus Zürich ausgestellt, finden diese surreal anmutenden Werke ein paar Jahre später auch Eingang in eine Nummer des Magazins «Du», die sich dem «unverhofften Frühling der ‹künstlerischen Photographie›» (Guido Magnaguagno) in der Schweiz widmet. Sie stellt zwölf Fotograf:innen vor, die der klassischen Reportage den Rücken gekehrt haben, darunter – als einzige Frauen – auch Manon und Monique Jacot.

 

Frauen auf dem Land

Trotz dieses Aufbruchs bleibt Jacot dem dokumentarischen Ansatz lange Zeit treu. Anstelle von Magazinbeiträgen rückt sie aber langfristige, freie Arbeiten in den Vordergrund. Ausserdem bereist sie verschiedene Kontinente und verdient sich ihr Geld mit Auftragsarbeiten für die Weltgesundheitsorganisation. Ab Mitte der achtziger Jahre entwickelt sie ihr grosses Projekt «Femmes de la terre». Sie findet das Vertrauen von 24 Schweizer Bäuerinnen, solidarisiert sich mit ihnen und nimmt an ihrem Leben teil: «Ich wollte eine Form finden, die nicht süsslich wirkt und nicht nach Landwirtschaftszeitung oder Verherrlichung der Scholle aussieht […]. Ich wollte sehr präzise sein, wie in einem Dokumentarfilm.» Die Resultate werden mit jeder Bauernfamilie diskutiert, die Sicht der Betroffenen fliesst in die Arbeit ein. Das Buch «Femmes de la terre / Frauen auf dem Land» (1989) wird nicht nur zum Porträt einer fotografisch selten in den Mittelpunkt gestellten sozialen Gruppe, sondern auch zu einer einzigartigen Sammlung von Geschichten über 24 starke Frauen.

Andrée Rossier, Bäuerin in Flendruz, beim Ziegen melken
Andrée Rossier, Bäuerin in Flendruz. Aus dem Projekt «Femmes de la terre», achtziger Jahre.  Foto: © Monique Jacot, Fotostiftung Schweiz
Arbeiterinnen bei Nestlé in Broc, 1991
Bei Nestlé in Broc, 1991. Aus dem Fotoessay «Cadences – L’Usine au féminin / Fabrik­arbeiterin­nen – Leben im Akkord». Foto: © Monique Jacot, Fotostiftung Schweiz

Als Gegenstück packt Jacot in den neunziger Jahren den breit angelegten Fotoessay «Cadences – L’usine au féminin / Fabrikarbeiterinnen – Leben im Akkord» an. Doch anders als bei den Bäuerinnen muss sie dabei zahlreiche Hindernisse überwinden, um Einlass in über dreissig schweizerische Produktionsstätten zu erhalten. Unterstützt durch einprägsame Bilder strapazierter Hände oder monotoner Abläufe, beleuchten Jacots Porträts den Alltag in den Fabriken. Doch im Gegensatz zu den Bäuerinnen haben die Arbeiterinnen kaum Gelegenheit, ihre Sorgen und Nöte mit der Fotografin zu teilen; es ist ihnen untersagt, über ihre Arbeitsbedingungen zu sprechen. Am Ende fehlt Monique Jacot damit eine wesentliche Ebene zur Realisierung eines neuen Buchprojekts, sodass sie die Bilder lediglich in einer Ausstellung zeigt.

Polaroids wie Gedichte

Parallel zu diesen engagierten Arbeiten, zu denen auch die Dokumentation der feministischen Bewegung der neunziger Jahre zählt – rund um die Nichtwahl von Christiane Brunner als Bundesrätin –, verfolgt Jacot ihre künstlerischen Projekte, die vor allem nach der Jahrtausendwende an Bedeutung gewinnen. Es entstehen Landschaftsbilder, die sich von den konkreten Situationen lösen, Stimmungen oder Strukturen einfangen und immer auch lyrischen Charakter haben. Und sie macht Polaroidaufnahmen von Objekten, Pflanzen und Tieren, aus denen sie in aufwendigem Umdruckverfahren farbige, malerisch wirkende Bilder gestaltet.

Chamäleon, aus der Serie «Transferts»
Chamäleon, Paris 1999, aus der Serie «Transferts». Foto: © Monique Jacot, Fotostiftung Schweiz

Diese «Transferts» reduzieren die sichtbare Welt auf wenige, zeichenhafte Phänomene, kleine Beobachtungen, die sich wie Gedichte einprägen. Besonders mit diesen jüngsten Werken erweitert Monique Jacot ihr Werk nochmals um ganz neue Facetten und wagt sich dabei auch in die Abstraktion vor. Die stillen, kontemplativen Arbeiten sind ein Spiegel ihrer Innenwelt – genauso, wie sie beim Fotografieren von Menschen immer auch sich selbst erforschte: «Viele meiner Porträts anderer Frauen sind eigentlich Selbstporträts», lautet ein wichtiges Statement von Monique Jacot. So fügen sich die scheinbar disparaten Teile ihres Schaffens in erstaunlicher Weise zu einer kohärenten, in sich geschlossenen Bilderwelt.

Peter Pfrunder leitete bis im Sommer 2024 die Fotostiftung Schweiz, die auch den Nachlass von Monique Jacot betreut. Begleitend zu einer grossen Retrospektive gab er 2005 die bisher einzige umfassende Monografie über Jacot heraus. Auf ihrer neu eingerichteten Bilddatenbank präsentiert die Fotostiftung Schweiz aktuell rund 600 Werke von Monique Jacot: fotostiftung.ch.zetcom.net.