Frag die WOZ : Gegenfrage: Googeln Sie noch?

«Übernimmt die KI bald die Weltherrschaft und frisst uns bei lebendigem Leibe?»
O. T. per Mail
Beileibe, mit dieser Frage sind Sie nicht allein!
… und die Techmilliardäre aus dem Silicon Valley werden auch nicht müde, uns das Nahen dieses Tages zu verkünden. Passenderweise als doppelbödige Botschaft, sprechen sie doch mit gespaltener Zunge. Auf eine Formel gebracht: «boom or doom» – Erlösung oder Untergang.
Nicht dass es für die weltweit reichsten Männer respektive ihre Techkonzerne drauf ankäme: Sie profitieren von beidem: aktuell vom Boom, der ihren Reichtum weiter in absurde Höhen schraubt, und – falls ihre Wette auf die KI scheitert – vom Exitknopf, mit dem sie sich in ihren «safe space» (ob Privatinsel oder Marsmission) retten zu können glauben.
Wir tun also gut daran, nicht wie das sprichwörtliche Kaninchen in Schockstarre auf KI zu blicken, sondern uns erst einmal selbst zu versichern: Weltherrschaft kann nur anstreben, wer eine Vorstellung von Welt besitzt; wer einen Willen zur Macht hat; wer im Herrschen Lustbefriedigung sieht. Ein Algorithmus – oder konkret: ein Large Language Model wie Chat GPT –, und sei er noch so komplex gebaut, wird dazu (im Gegensatz zu Techbros aus Fleisch und Blut) nie in der Lage sein. Auch fressen wird er uns nicht. Uns etwas wegfressen hingegen schon, sein Hunger nach Strom ist bekanntermassen unstillbar.
Und genau hier können wir ansetzen, um die Macht der Techkonzerne zu brechen (und darauf sollten wir uns konzentrieren): Beschränken wir das Futter für KI. Rationalisieren wir ihren Zugang zur öffentlichen Stromversorgung. Füttern wir sie nicht unbedacht – und vor allem: nicht unbezahlt – mit unser aller Daten. Sorgen wir uns vielmehr um ihr Wohlergehen, indem wir die Qualität ihrer Nahrung verbessern und auch ihre Verdauung überwachen – «open source», offen und transparent für alle soll ihr Funktionieren sein.
Das bedingt aber auch, dass wir hinschauen, dass wir uns kümmern, mehr noch: dass wir uns an der eigenen Nase nehmen, bei unserer Bequemlichkeit ansetzen. Denn diese ist der womöglich zentrale Grund, dass sich digitale Technologien – und mit ihnen eine Handvoll Grosskonzerne – so rasch und weltweit haben durchsetzen können. Deren Tools, vom iPhone bis zu Chat GPT, nehmen uns das Denken ab.
Kennen Sie die Telefonnummern Ihrer besten Freund:innen auswendig? Finden Sie den Weg durch Genf mit einem Stadtplan aus Papier?
Googeln Sie noch?
Das menschliche Gehirn ist grundsätzlich faul, bescheiden uns Psychologie und Hirnforschung. Warum sich den Kopf über einem Aufsatzthema zerbrechen, wenn Chat GPT dazu einen wohlformulierten Text produzieren kann, für den man auch noch eine gute Note bekommt? Die schlechte Nachricht ist: Erste Studien zeigen, dass Lernen mit KI nach hinten losgehen kann – wer sich von ihr zu viel Denkarbeit abnehmen lässt, hat buchstäblich nichts gelernt, vertieft unter Umständen sogar seine Abhängigkeit. Wer Chat GPT hingegen als Lerncoach nutzt, kann durchaus profitieren und an Selbstständigkeit gewinnen.
Sie sehen, bei näherer Betrachtung wird die Sache kompliziert – und bringt zentrale gesellschaftliche Herausforderungen aufs Tapet: Wie stellen wir sicher, dass der Einsatz von KI nicht dazu führt, dass sich der Graben zwischen (ökonomisch, sozial und bildungspolitisch) Privilegierten und Benachteiligten noch weiter vertieft?
Ihre Frage zielt also durchaus auf einen dunklen Kern. Bereits stehen erste sogenannte KI-Agenten parat, um für uns zu übernehmen. Im Alltag, wo sie uns Kühlschrank und Terminkalender füllen, bis in komplexe Forschungssphären, wo sie im Austausch untereinander neue Impfstoffe entwickeln. Aber wollen wir ihnen dafür gleich die Kreditkarte, das Labor oder gar unsere Kinder überlassen?
Immer montags beantworten wir in der Rubrik «Frag die WOZ» jeweils eine wirklich (un)wichtige Leser:innenfrage. Noch Fragen? fragdiewoz@woz.ch!