Datenzentren und Supercomputer: Maschinen mit Heisshunger
Überbordender Stromkonsum und unstillbarer Rohstoffverbrauch: Statt den versprochenen Beitrag zur Lösung globaler Probleme zu leisten, machen sich die Promotor:innen der künstlichen Intelligenz selber zum globalen Problem.

Das Zuhause von Alps hat den Charme einer überbelichteten Tiefgarage: ein riesiger fensterloser Raum mit grauen Fliesen und Hunderten Neonröhren an der Decke. Stören tut ihn das nicht. Alps ist ein Computer. Genauer gesagt einer der leistungsstärksten Supercomputer der Welt. Berechnungen, für die ein gewöhnlicher Laptop 40 000 Jahre bräuchte, schafft Alps in einem Tag. Untergebracht im nationalen Hochleistungsrechenzentrum CSCS in Lugano, dient er der Forschung bei der Entwicklung und beim Training komplexer Anwendungen von künstlicher Intelligenz (KI), etwa grosser Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs), medizinischer Diagnosesysteme oder präziserer Klimamodelle.
Die Wundermaschine besteht aus Dutzenden schwarzen Serverracks, die wie überdimensionierte Schränke aussehen. Auf der Innenseite quellen in perfekter Symmetrie angeordnete Kabel aus den Kästen hervor, die kühlen Oberflächen in regelmässigen Abständen durchbrochen von grünen LEDs – streng, steril. Die makellose Technik wirkt seltsam vertraut. Sie erinnert an das kalte Licht des Computers HAL 9000 in Stanley Kubricks Filmklassiker «2001. A Space Odyssey», an die ausdruckslosen Silikongesichter in «I, Robot» von Alex Proyas. Es sind wohl diese popkulturellen Prägungen, die die schwarzen Kästen im künstlichen Licht irgendwie bedrohlich wirken lassen.
Auf zur Allgegenwärtigkeit
Tatsächlich hat die künstliche Intelligenz, die mit Alps erschaffen werden soll, ein schmutziges Geheimnis – wortwörtlich. Denn KI-Systeme verbrauchen gewaltige Mengen an Energie, Wasser und Rohstoffen. Wie es die Investment-Research-Firma The Oregon Group formuliert: «Die Algorithmen mögen das Gehirn sein – aber Energie und kritische Mineralien sind die Muskeln der künstlichen Intelligenz.» Und der Hunger wächst. Sämtliche Prognosen für den künftigen Ressourcenverbrauch zeigen in dieselbe Richtung: steil nach oben.
Manche sind überzeugt, KI werde bei der Rettung des Planeten den entscheidenden Vorteil bringen. Tatsächlich lässt sich mit ihr die Wirksamkeit von Klimamassnahmen analysieren, lassen sich Stromnetze optimieren oder der Zustand von Wäldern überwachen. Auf Alps werden komplexe Klimamodelle berechnet, die unter anderem dabei helfen können, Hitzewellen vorauszusagen. Doch wiegt das den rasant steigenden ökologischen Fussabdruck von KI auf? Droht nicht gerade deswegen eine Verschärfung der Klimakrise?
Zugegeben: Es ist nicht ganz fair, ausgerechnet Alps als Beispiel zu nehmen. Unter den Supercomputern zählt er zu den «saubersten». Bevor Maria Grazia Giuffreda durch ein Labyrinth aus weissen Gängen und hallengrossen Räumen mit riesigen verchromten Tanks, Ventilen und Kabeln zu Alps führt, bittet sie in ein helles, gemütliches Sitzungszimmer. Dort erklärt die stellvertretende Leiterin des CSCS, dass Alps komplett mit Wasserkraft betrieben werde, wodurch seine direkten CO₂-Emissionen minimal seien. Bei maximaler Leistung verbraucht er 11 bis 12 Megawatt Strom: «Ungefähr so viel Energie wie zwei SBB-Lokomotiven.» Zum Vergleich: Der US-Supercomputer El Capitan, aktuell der stärkste der Welt, frisst mit 29 Megawatt weit mehr an Strom – und speist sich vorwiegend aus fossilen Quellen.
Trotz seines vergleichsweise geringen Fussabdrucks bleibt Alps Teil des Problems. Als Herzstück der Swiss AI Initiative – koordiniert von der ETH Zürich und der École Polytechnique Fédérale de Lausanne – soll er neue LLMs hervorbringen, die mit jenen von Open AI, Google oder Meta konkurrieren. Diese Modelle verbrauchen gleich mehrmals Strom: Zuerst verschlingt die Trainingsphase enorme Energiemengen, während sich die Algorithmen monatelang durch Datenmassen arbeiten. Und während der Nutzungsphase benötigt ein Chatbot wie Chat GPT pro Anfrage zehn bis dreissig Mal so viel Energie wie eine Google-Suche. Laut dem Analyseunternehmen Best Brokers ergibt das für Chat GPT derzeit 227 Millionen Kilowattstunden pro Jahr – etwa so viel, wie 50 000 Schweizer Vierpersonenhaushalte verbrauchen.
Der wichtigste Treiber des wachsenden Stromhungers von KI ist das globale Wettrennen um technologische Vorherrschaft. Während die USA und China längst voll auf die KI-Karte setzen, will nun auch Europa aufschliessen aus Sorge, im geopolitischen Wettbewerb abgehängt zu werden (siehe WOZ Nr. 10/25). Tatsächlich durchdringt KI inzwischen nahezu alle Lebensbereiche: Arbeit, Medizin, Freizeit – und das Militär. Der deutsche Autor und Techexperte Sascha Lobo vergleicht sie in seiner «Spiegel»-Kolumne mit der Elektrizität im 19. Jahrhundert: «KI steht kurz vor der digitalen Allgegenwärtigkeit.» Ob Europa der Anschluss gelingt, könnte also über seinen künftigen Wohlstand mitentscheiden. Doch um welchen Preis?
Grösser ist nicht immer besser
Anruf bei Alex de Vries, Doktorand an der Vrije Universiteit Amsterdam und Gründer von Digiconomist, einer Plattform, die unbeabsichtigte Nebenwirkungen digitaler Trends aufdeckt. In seinem 2023 erschienenen Paper «The Growing Energy Footprint of Artificial Intelligence» schätzte de Vries, dass KI im Jahr 2027 weltweit so viel Energie verbrauchen werde wie sein Heimatland, die Niederlande. Heute geht er davon aus, dass dieser Punkt im Lauf dieses Jahres erreicht wird.
«Das Hauptproblem ist die in der KI-Welt vorherrschende Logik ‹Grösser ist besser›», sagt de Vries. Je umfangreicher ein Modell, desto präziser die Resultate – und desto höher der Energiebedarf. Um immer leistungsfähigere Systeme zu bauen, wird weltweit in grossem Ausmass in Rechenzentren investiert. Und da die Welt politisch und wirtschaftlich zunehmend auseinanderdriftet, rüstet jede Region für sich auf, was den Stromverbrauch an jedem Standort zusätzlich in die Höhe treibt. «Es gibt keine Grenze nach oben, kein erkennbares Ende.»
Die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert in ihrem jüngsten Bericht, dass der weltweite Stromverbrauch in den kommenden zwei Jahren so stark ansteigen wird wie lange nicht mehr. Einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung haben Rechenzentren (oft auch Datenzentren genannt). Ihr Anteil am globalen Stromverbrauch liegt je nach Schätzung derzeit bei rund ein bis eineinhalb Prozent, könnte laut Prognosen aber schon bis 2030 auf drei bis vier Prozent klettern.
Im Juli 2024 zählte die Schweiz 98 Rechenzentren, pro Kopf am zweitmeisten in Europa. Gemäss einer Studie des Bundesamts für Energie (BFE) machten sie 2019 knapp vier Prozent des gesamtschweizerischen Stromverbrauchs aus. Laut Adrian Altenburger, Mitautor der Studie und Leiter des Instituts für Gebäudetechnik und Energie der Hochschule Luzern, dürfte der aktuelle Wert bereits bei sechs bis acht Prozent liegen. Bis 2030 könnte er auf fünfzehn Prozent ansteigen.
Und dabei erzählt der Energieverbrauch nur die halbe Geschichte. Bisher kaum beachtet bleibt der immense Rohstoffhunger der KI: Kupfer für die kilometerlangen Kabel in Datenzentren, Seltene Erden für Mikrochips und Server, Lithium, Nickel und Kobalt für Batterien und Magneten. KI konkurriert dabei direkt mit dem Ausbau grüner Technologien wie Fotovoltaik, Wärmepumpen oder Elektromobilität. Laut der IEA wird der weltweite Bedarf an Kupfer bis 2040 um vierzig Prozent steigen, jener an Seltenen Erden um achtzig Prozent, der an Lithium auf das Siebenfache.
Wo diese Mineralien gefördert werden, bleiben oft nur toxische Wüsten zurück. Für eine Tonne Seltene Erden entstehen bis zu 2000 Tonnen giftige Abfälle, 1,4 Tonnen radioaktiver Schlamm, grosse Mengen durch Schwermetalle verseuchtes Wasser und erhebliche CO₂-Emissionen – ganz zu schweigen von den gesundheitlichen und sozialen Folgen für die lokale Bevölkerung.
Von alledem merkt man in Lugano nichts. Rund um Alps ist alles klinisch sauber und geordnet. Leise surrend bewältigen die 11 000 Halbleitermikrochips in seinem Inneren ihre 435 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde. Trotz Stolz auf das Wunderwerk in ihrer Obhut versucht Giuffreda nicht, die riesigen ökologischen Kosten der KI schönzureden. Dennoch ist für sie klar: Europa darf das KI-Rennen nicht aufgeben.
Wissen in den Händen weniger
«Wir können die Zukunft der KI nicht den Techgiganten überlassen», warnt sie. Deren Modelle seien intransparent – niemand wisse genau, wie sie trainiert würden, woher die Daten stammten oder welche Urheber- und Datenschutzrechte dabei verletzt würden. Entscheidend sei der Aufbau offener wissenschaftlicher Strukturen, in denen geforscht, gelehrt und Wissen für kommende Generationen bewahrt werde. Europa – und die Schweiz –, sagt Giuffreda, brauchten eine eigene, transparente Infrastruktur. «Wissen in den Händen weniger war noch nie gut für die Allgemeinheit.»
Schwer, dem etwas entgegenzusetzen. Doch der Befund bleibt: KI ist nicht nachhaltig.
Gemäss manchen Expert:innen werden effizientere Algorithmen den Energiehunger der KI immer stärker zähmen. Das chinesische Unternehmen Deepseek hat kürzlich bereits mit einem energieeffizienteren Modell Aufsehen erregt. Doch die Erfahrung zeigt: Technischer Fortschritt, der die effizientere Nutzung eines Rohstoffs erlaubt, führt letztlich zu einem gesteigerten Verbrauch dieser Ressource, anstatt ihn zu verringern – das sogenannte Jevons-Paradoxon. Das galt schon bei Holzkohle für Dampfmaschinen und dürfte auch bei KI keine Ausnahme machen.
Giuffreda plädiert stattdessen für mehr Kooperation: Man müsse gemeinsame Projekte entwickeln, um Ressourcen gezielter und effizienter einzusetzen. Allerdings räumt sie selbst ein, dass dieses Szenario bei der jetzigen Weltlage wenig realistisch erscheint. Ökonom Alex de Vries geht einen Schritt weiter. Seine Empfehlung: «Weniger Hype.» KI solle dort eingesetzt werden, wo sie echten Mehrwert bringe – nicht jeder Prozess, nicht jede Firma brauche KI, nur weil es möglich sei.
Ganz anders klingen die Lösungsansätze der Big-Tech-Konzerne. Da Expert:innen schon in einigen Jahren mit einem Energieengpass rechnen, wird für Microsoft ein stillgelegtes Atomkraftwerk wieder in Betrieb genommen; Amazon und Google investieren gleich in eigene Mini-AKWs, sogenannte Small Modular Reactors. Offenbar denkt niemand daran, sein eigenes energiefressendes Geschäftsmodell zu hinterfragen. Und weil auch die kritischen Rohstoffe auf der Erde langsam knapp werden, schielen manche Konzerne bereits ins All. Asteroidenbergbau lautet das nächste grosse Versprechen: Mineralien aus dem Kosmos.