Im Affekt: Realismus à la Pippi Langstrumpf

Nr. 9 –

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«Endlich Realismus in der Klimapolitik», tönte es kürzlich aus der NZZ-Wissenschaftsredaktion. Fachleute würden sich von den spekulativen «Extremszenarien» des Weltklimarats IPCC abwenden. Ein realistischer Blick auf die Klimapolitik zeige, dass wir wahrscheinlich bei einer drei Grad wärmeren Welt landen würden. «Gut so!», befand der doktorierte Ozeanphysiker.

Was für eine Pippi-Langstrumpf-Grätsche («Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt»)! Natürlich sind die Szenarien des IPCC insofern spekulativ, als sie soziale und ökonomische Faktoren wie Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum in die Zukunft extrapolieren – die Klimamodelle als solche hingegen widerspiegeln naturwissenschaftliche Grundgesetze und Prozesse. Und die lassen wenig Interpretationsspielraum, wenn es um den kausalen Zusammenhang zwischen der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre und der Erderwärmung geht.

Und woher kommt der Vorwurf, der Klimarat propagiere vor allem seine Extremszenarien? Das Gegenteil ist der Fall: Die Konsenssuche führt zu einer mitunter gefährlichen Einmittung, so hat man in der Vergangenheit etwa den drohenden Anstieg des Meeresspiegels immens unterschätzt. «Aus gesellschaftlicher Perspektive wäre man tatsächlich viel mehr auf der sicheren Seite, wenn man mit einem extremen Szenario rechnen würde», so der Klimaforscher Reto Knutti (siehe WOZ Nr. 36/19). Eine um drei Grad wärmere Welt ist schlicht ein Horrorszenario – nicht nur, weil der Meeresspiegel rascher und unwiderruflich um über sechzig Meter ansteigen würde. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf spricht von einer «existenziellen Gefahr für die menschliche Zivilisation».

Weshalb sollte man sich also auf eine drei Grad wärmere Welt als realistisches Szenario einstellen? Die Antwort aus dem Hause NZZ: weil es uns billiger kommt. Denn auf den Szenarien des IPCC basiere auch, «wie viel reiche Länder ärmeren für Klimaschäden zahlen sollen».

Das ist nicht nur zynisch. Das ist auch kreuzfalsch gerechnet – aber hey: «Zwei mal drei macht vier»!