Machtdemonstration in China: Ein Block nimmt Form an

Nr. 36 –

Es sagt viel über den Zustand der Welt, dass Militärparaden wieder Konjunktur haben: In Peking zelebrierte Xi Jinping am Mittwoch die multipolare Weltordnung.

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Da sitzen sie nun in der dunstigen Morgensonne Pekings, die mehr als zwanzig geladenen Staatsoberhäupter aus aller Welt, und blicken voller Ehrfurcht auf die geballte Schlagkraft der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Neue Waffensysteme – Drohnen, Kampfflugzeuge und Hyperschallraketen, allesamt moderner denn je – und Tausende Soldat:innen passieren ihren Balkon über dem Tiananmenplatz.

Offiziell gefeiert wird an diesem Mittwochmorgen der 80. Jahrestag des Sieges über Japan im Zweiten Weltkrieg. In seiner Rede beansprucht Staatspräsident Xi Jinping für China einen prominenteren Platz in der grossen Siegererzählung der Alliierten: «Der Widerstandskrieg des chinesischen Volkes» sei «ein wichtiger Teil des weltweiten antifaschistischen Krieges» gewesen, betont Xi. Und fast drohend sagt er: «Heute hat die Menschheit erneut die Wahl zwischen Frieden und Krieg zu treffen.»

Vučić, Fico, Maurer

Keine Frage: Die Strahlkraft von Militärparaden hat zuletzt wieder zugenommen, in diesen Zeiten der geopolitischen Plattenverschiebungen. Wo sich Völkerrecht und das Versprechen von «Wandel durch Handel» in einem scheinbar unaufhaltsamen Erodierungsprozess befinden, tritt brachiales Kriegsgerät als realstes aller Machtinstrumente hervor. Und so demonstriert China der Welt – nicht zuletzt dem Nachbarland Taiwan – sowie der eigenen Bevölkerung: Man ist bereit. Bereit für die Kriege einer Zukunft, die so fern vielleicht gar nicht mehr ist.

Bereit offenbar auch, dafür letzte Berührungsängste fallen zu lassen. An seiner Seite präsentiert Xi an diesem Morgen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und Nordkoreas «Obersten Führer» Kim Jong-un.

Dass er trotz Annäherung an die zwei geschmähten Staatsoberhäupter und trotz Konfrontationskurs mit den USA heute alles andere als isoliert dasteht, soll Xis übrige hochkarätige Gästeliste bezeugen. Aus Europa erweisen ihm etwa Aljaksandr Lukaschenka aus Belarus, Aleksandar Vučić aus Serbien und Robert Fico aus der Slowakei die Ehre. Hinzu kommen Regierungsgesandte aus aller Welt von Algerien über Ungarn bis Kuba sowie einstige Amtsträger aus Griechenland, Italien und mit Altbundesrat Ueli Maurer auch ein Selbstläufer aus der Schweiz.

Während die Raketen- und Truppeninszenierung am Mittwoch für den symbolischen Teil sorgt, fanden die geopolitischen Weichenstellungen freilich schon am Wochenende davor statt: rund hundert Kilometer von Peking entfernt, wo in der Küstenstadt Tianjin die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) zum Gipfeltreffen lud. Ihr gehören zehn Mitgliedstaaten (von Pakistan über den Iran und Russland bis Belarus) und vierzehn «Dialogpartner» (von Kambodscha über Saudi-Arabien bis Ägypten) an.

Kaum mehr Distanz

In Tianjin trat vielerlei Bemerkenswertes zutage, insbesondere was die konflikt- und konkurrenzgeprägte Beziehung zwischen China, Indien und Russland betrifft. Erstmals seit sieben Jahren besuchte der indische Premierminister Narendra Modi China: Zwischen den beiden Ländern schwelt ein Grenzkonflikt in Kaschmir, in dem es wiederholt zu tödlichen Eskalationen kam. Und Pakistan, zu dem Indien eine innige Feindschaft pflegt, ist ein wichtiger strategischer Partner Chinas. Trotzdem scheint die Eiszeit zwischen den beiden Ländern gerade ein abruptes Ende zu nehmen.

Unter Modi fuhr Indien im letzten Jahrzehnt eine aussenpolitisch ambivalente Linie – mit wirtschaftlicher Anschlussfähigkeit in alle Richtungen, letztlich aber mit deutlichem Drall hin zu den USA. Nachdem Donald Trump Indien zuletzt aber mit einem Importsteuersatz von fünfzig Prozent belegte, weil das Land noch immer günstiges Öl aus Russland bezieht, scheint Modi auch hier eine Kehrtwende zu vollziehen. In Tianjin jedenfalls wollte er Putins Hand bei einem Treffen fast nicht mehr loslassen.

Verblüffend ist auch die grosse Einigkeit, die Xi und Putin seit dem Wochenende öffentlich zur Schau stellen. Zwar schreitet die Annäherung zwischen Russland und China schon seit der Jahrtausendwende stetig voran, inklusive gemeinsamer Militärübungen, aber sie pflegten ihre Beziehung gegen aussen mehrdeutig zu inszenieren, nach jeweiligem Bedarf irgendwo zwischen enger Zusammenarbeit und betonter Eigenständigkeit. In Russland herrscht zudem beträchtliches Unbehagen aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Abhängigkeit von China und dessen gestiegenen Einflusses im postsowjetischen Zentralasien. Aber hatte Xi bislang noch eine gewisse Distanziertheit an den Tag gelegt und sich damit etwa auch als möglicher Vermittler in Russlands Krieg gegen die Ukraine inszeniert, demonstriert er an diesem Wochenende nur noch Rückhalt.

Zelebriert wird hier ein Moment des Schulterschlusses, die Stärkung einer Allianz, die in einer seit Jahrzehnten herbeigesehnten «multipolaren Welt» die globale Vormachtstellung der USA endgültig überwinden soll. Wie nachhaltig dieser Schulterschluss der drei Autokraten tatsächlich sein wird, ist noch alles andere als entschieden. Aber so unüberwindbar, wie manche Hürden jahrzehntelang schienen, sind sie offensichtlich nicht.