Die Totengräber von Weimar

Le Monde diplomatique –

Wie die nationalkonservativen Kräfte um Franz von Papen der NSDAP zur Macht verhalfen

Kanzler von Papen und Reichs­wehr­minister von Schleicher, Berlin, 18. September 1932
Berlin, 18. September 1932: Kanzler von Papen und Reichs­wehr­minister von Schleicher Foto: picture alliance/ap

Franz von Papen hielt sich für ein Genie. Das taten auch die bürgerlichen Kräfte, die sein Projekt der „Stabilisierung“ durch ein Bündnis aller Rechtsparteien unterstützten. Das Projekt war am 30. Januar 1933 um 11.15 Uhr vollendet: mit der Vereidigung der Hitler-Papen-Regierung.

Fast drei Jahre lang hatte das rechtskonservative Lager versucht, die NSDAP irgendwie einzubinden, doch diese hatte stets abgelehnt, solange Hitler nicht zum Reichskanzler berufen würde. Das hatte er jetzt geschafft. Und Franz von Papen, der ehemalige Zentrumspolitiker, der seit dem 3. Juni 1932 parteilos war, schien sein „Meisterstück“ vollbracht zu haben – eine Regierung der „nationalen Konzentration“, die aus ihrem Willen zur Abschaffung der Demokratie kein Geheimnis machte.

Auf Länderebene war es schon 1930 zur ersten Koalition mit der NSDAP gekommen: In Thüringen wurde Wilhelm Frick Minister für Inneres und Volksbildung. In Anhalt wurde Alfred Freyberg im Mai 1932 mit Hilfe der DNVP zum ersten NSDAP-Ministerpräsidenten gewählt; in Mecklenburg-Schwerin erreichte die NSDAP im Juli 1932 sogar die absolute Mehrheit und konnte allein regieren.

Auf Reichsebene berief Präsident Hindenburg am 4. Juni 1932 von Papen zum Chef einer Minderheitenregierung, die den Wünschen der NSDAP auf fatale Weise entgegenkam. Auf Betreiben des neuen Reichswehrministers, General Kurt von Schleicher, löste Hindenburg den Reichstag auf und ließ zugleich das Verbot von SA und SS aufheben. Beide Entscheidungen erwiesen sich als katastrophal. Bei den Neuwahlen am 31. Juli 1932 wurde die NSDAP stärkste Partei mit 37,4 Prozent der Stimmen, doppelt so viel wie bei den Wahlen vom September 1930. Und da das SA- und SS-Verbot aufgehoben worden war, richteten die nunmehr entfesselten Braunhemden im Wahlkampf ein Blutbad an, mit 100 Toten allein im Juli.

Papens Politikverständnis könne man als „autoritären Liberalismus“ bezeichnen, urteilte damals der sozialdemokratische Staatsrechtler Hermann Heller in einem Aufsatz für Die Neue Rundschau: „Papen wäre aber nicht der repräsentative Kämpfer für den ‚autoritären‘ Staat, wenn er nicht zugleich der Bekämpfer des ‚Wohlfahrtsstaats‘ wäre.“ Seine Regierung betreibe „die Subventionspolitik für Großbanken, Großindustrielle und Großagrarier“ weiter, und zugleich den „autoritären Abbau“ der Sozialpolitik und der sozialen Kulturpolitik.1

In Papens „Kabinett der Barone“ tönten Minister wie Konstantin Freiherr von Neurath (Auswärtiges Amt), Wilhelm von Gayl (Inneres), Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk (Finanzen), Kurt von Schleicher (Reichswehr), Paul Freiherr von Eltz-Rübenach (Post und Verkehr) sowie Magnus Freiherr von Braun (Ernährung und Landwirtschaft) nicht anders als die extremen Rechten. Man geißelte Kommunisten wie Sozialdemokraten und sagte dem „Kulturbolschewismus“ den Kampf an, sprich: Feminismus, Urbanisierung, Gleichberechtigung, Homosexualität, moderne Kunst und Literatur, kurzum dem „Kosmopolitismus“ der „vaterlandslosen Gesellen“. Ein Franz Joseph Maria von Papen, Erbsälzer zu Werl und Neuwerk, dünkte sich zwar zu vornehm, um seinen Antisemitismus wie die SA-Schläger herauszubrüllen, aber im Grunde dachte er nicht anders.

das Hitler-Papen-Kabinett mit Franz Seldte, Günter Gereke, Johann Ludwig Schwerin von Krosigk, Wilhelm Frick, Werner von Blomberg, Alfred Hugenberg; (sitzend) Hermann Göring, Adolf Hitler und Franz von Papen am 30. Januar 1933
30. Januar 1933: das Hitler-Papen-Kabinett mit (v. l. n. r.) Franz Seldte, Günter Gereke, Johann Ludwig Schwerin von Krosigk, Wilhelm Frick, Werner von Blomberg, Alfred Hugenberg; (sitzend) Hermann Göring, Adolf Hitler und Franz von Papen Foto: picture alliance/akg images

Die „Präsidialregierung“ von Papen war der Versuch, die „bürgerliche Rechte“ zu konsolidieren, indem man die Wählerwanderung in Richtung der extremen Rechten stoppt. Die NSDAP profitierte im Wesentlichen von den Verlusten der liberalen und nationalkonservativen Parteien (DNVP und DVP) – zumal sie im Grunde dieselbe nationalistische und sozialdarwinistische Ideologie verfocht. Die „Grundsätze deutscher Wirtschaftspolitik“, die der vormalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht – ein Idol in Wirtschaftskreisen und seit 1930 den Nazis zugetan – im Sommer 1932 veröffentlichte, versicherte diesen Kreisen: Die Zukunft wird wirtschaftsliberal und unternehmerfreundlich sein.

Joseph Goebbels, Reichspropagandaleiter der NSDAP und promovierter Literaturwissenschaftler, war über diese Annäherung beunruhigt. Am 29. August 1932 notierte er in seinem Tagebuch: „Der Reichskanzler hat mittags im Rundfunk gehalten [!]: was gut ist, ist von uns, was nicht von uns ist, ist nicht gut. Resumée. Die Strolche wollen uns um die Macht prellen. Die Bewegung der Hand des Führers entwinden. Das wird nie gelingen.“2

Goebbels war alarmiert, dass die autoritär-liberale Regierung so ziemlich alles machte, was die Nazis forderten: eine unternehmerfreundliche Politik mittels Subventionen, Steuervergünstigungen und Deregulierung, Abbau des Wohlfahrtsstaats und die direkte Konfrontation mit den Sozialdemokraten – dort, wo sie noch an der Macht waren. Das war auf Reichsebene seit dem Rücktritt des SPD-Kanzlers Hermann Müller Ende März 1930 nicht mehr der Fall, aber in Preußen war immer noch die SPD-Regierung von Ministerpräsident Otto Braun im Amt. Innerhalb der föderalen Weimarer Republik hatte der Freistaat allein durch seine Bevölkerungszahl und Ausdehnung (zwei Drittel des gesamten deutschen Staatsgebiets) sowie einen 90 000 Mann starken Polizeiapparat eine besondere Stellung. Für die Rechte waren Preußen und insbesondere Berlin eine Bastion des verhassten „Kulturbolschewismus“.

Am 20. Juli 1932 vollzog der Reichskanzler einen kalten Putsch mittels einer vom Reichspräsidenten erlassenen Notverordnung, mit der die preußische Regierung, die seit 1919 fast ununterbrochen in SPD-Hand gewesen war, des Amts enthoben und Papen als „Reichskommissar“ eingesetzt wurde. Die Minister wurden entlassen, die oberen Verwaltungsebenen von „antinationalen Elementen befreit“. Der Ausnahmezustand wurde verhängt und die Reichswehr in Bereitschaft versetzt.

Der brutale „Preußenschlag“ Papens beeindruckte die Nationalsozialisten, machte sie aber auch nervös: „Schon knallen die Zeitungsverbote. Bravo! Nur nicht zu viel machen, daß uns noch was übrigbleibt“, kommentiert Goebbels am 23. Juli 1932.

Im Lager der Liberalen und Rechtskonservativen verkannte man allerdings, dass allein die Nazis von dem Bündnis profitierten. Das fing schon mit der Wortwahl an, die nur die Themen, Parolen und Obsessionen der Nazis bestätigte. Selbst Goebbels staunte, wie ungeniert die Rechtskonservativen mit den Nazis ins Geschäft kamen und wie viele Illusionen sie sich machten. „Hitler als Vizekanzler unter Papen: Ein grotesker Unsinn“, notierte er am 14. August 1932. Und zwölf Tage später: „Ob ich Propagandaminister im Kabinett Papen werden wollte? Dankend abgelehnt.“

Die Nazis wollten alles, und ohne jede Gegenleistung: „Wir werden die Macht niemals wieder aufgeben, man muss uns schon als Leichen heraustragen. Das wird eine ganze Lösung“, schrieb Goebbels am 7. August 1932 in sein Tagebuch.

Der von den Nazis selbstherrlich als „Machtergreifung“ bezeichnete Regimewechsel vom 30. Januar 1933 war in Wirklichkeit eine Machtübergabe durch rechtskonservative und liberale Kräfte. Unter Hitler saßen neben Papen auch vier Minister aus dem „Kabinett der Barone“ in der neuen Regierung. Anfangs tönte Papen noch herum, er habe die Nazis „gezähmt“ und Hitler „so in die Ecke gedrückt, dass er quietscht“.

Tatsächlich wurde Papen sukzessive seiner Kompetenzen beraubt. Als nomineller Vizekanzler und Reichskommissar für Preußen, dem auch die preußischen Polizei unterstand, bekam er einen nationalsozialistischen Aufpasser: Hermann Göring, Minister ohne Geschäftsbereich in der Reichsregierung, wurde nicht nur stellvertretender Reichskommissar, sondern auch preußischer Innenminister.

Solche nebensächlich anmutenden Details waren in dem Staatsgebilde, das noch bis Winter 1933 föderal organisiert blieb, machtpolitisch von entscheidender Bedeutung. Göring war als preußischer Innenminister zugleich „oberster Polizist“. An seinem ersten Amtstag berief er den Nazi-Juristen Rudolf Diels zum Chef der preußischen politischen Polizei, die dann am 26. April, direkt dem Minister unterstellt wurde. Diese preußische Gestapo entwickelte sich zu dem berüchtigten Apparat, der im ganzen Reich die Bevölkerung bespitzelte und Regimegegner liquidierte.

Bereits am 17. Februar hatte Göring den „Schießerlass“ verfügt. Damit war die preußische Polizei aufgefordert, bei „kommunistischen Terrorakten und Überfällen“ unverzüglich das Feuer zu eröffnen. Göring stellte den Polizisten praktisch einen Freibrief aus: „Polizeibeamte, die in Ausübung dieser Pflichten von der Schusswaffe Gebrauch machen, werden ohne Rücksicht auf die Folgen des Schusswaffengebrauchs von mir gedeckt.“ Laut diesem Erlass war Zurückhaltung nicht lediglich Schwäche, sondern ein Vergehen: Wer „in falscher Rücksichtnahme versagt, hat dienststrafrechtliche Folgen zu gewärtigen: Jeder Beamte hat sich stets vor Augen zu halten, dass die Unterlassung einer Maßnahme schwerer wiegt als begangene Fehler in der Ausübung.“

Göring gewährte den Beamten also nicht nur eine pauschale Unschuldsvermutung, er verlieh ihnen praktisch eine Lizenz zum Töten linker Gegner. Gleichzeitig befahl er, „auch nur den Anschein einer feindseligen Haltung gegenüber nationalen Verbänden (SA, SS, Stahlhelm) zu vermeiden“. Vielmehr sollte die Polizei zu diesen Gruppen „das beste Einvernehmen herstellen und unterhalten“. Am 22. Februar rekrutierte Göring 50 000 „Hilfspolizisten“ aus den Reihen der SA und der SS, womit er die preußische Polizei auf 140 000 Mann aufstockte.

Die rekrutierten Braun- und Schwarzhemden bekamen eine weiße Armbinde mit der Aufschrift „Hilfspolizei“. Kurz darauf folgten andere deutsche Länder dieser Praxis, wodurch die Embleme der staatlichen Autoritäten im öffentlichen Raum verwischt wurden: Eine schlichte Armbinde verlieh zehntausenden Milizionären, die nicht für den Staatsdienst ausgebildet waren, auf einmal öffentliche Befugnisse.

Ab Ende Februar verschleppten diese sogenannten Hilfspolizisten vor allem Kommunisten, Gewerkschafter und Sozialdemokraten und steckten sie in „wilde“ Konzentrationslager, etwa in der ehemaligen Brauerei in Oranienburg. Görings Männer gingen besonders brutal gegen SPD- und KPD-Mitglieder vor, um diese Parteien im Hinblick auf die anstehenden Reichstagswahlen am 5. März einzuschüchtern und am Wahlkampf zu hindern.

Am 7. April vollzog Göring den nächsten Schritt und ersetzte Papen als amtierenden Reichskommissar für Preußen. Das Amt des Vizekanzlers war damit einer weiteren Funktion beraubt, 3 aber Papen blieb dennoch im Amt, da er für die neuen Machthaber noch immer nützlich war. Zum Beispiel war der gläubige Katholik maßgeblich an den Kungeleien beteiligt, die am 23. März zur Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes durch den neu gewählten Reichstag führten. Mit diesem Gesetz übertrug der Reichstag die gesetzgebende Gewalt auf die Reichsregierung und ermächtigte damit Hitler, am Parlament vorbei zu regieren.

Für diese Verstümmelung der Verfassung brauchte die Hitler-Papen-Regierung eine Zweidrittelmehrheit, also die Stimmen der katholischen Zentrumspartei, der Papen lange angehört hatte. Und so spielte der Vizekanzler eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen mit dem Parteivorsitzenden des Zentrums, Prälat Ludwig Kaas, der letztlich bereitwillig zustimmte, nachdem man ihm einen Staatskirchenvertrag zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich zugesagt hatte.

Die Unterzeichnung dieses Konkordats am 20. Juli 1933 war ein Triumph für Papen, aber zugleich seine letzte bedeutende Aktion. Seine Vertrauten im Kabinett waren längst beiseitegedrängt. Das Sagen hatten jetzt überzeugte Nationalsozialisten aus der zweiten und dritten Reihe. Rechtskonservative wie Papen hatten diese gut ausgebildeten und ehrgeizigen Parteikader4 stets unterschätzt – wie sie es schon mit dem „Emporkömmling“ Adolf Hitler gehalten hatten.

In Papens Umfeld brütete man derweil über eine konservative Revolution, die eine „organische Ordnung“, in der eine „aristokratisch-intellektuelle Führungsschicht“ die NSDAP-Vorherrschaft ablösen sollte, die er nur als „zeitgebundene Notwendigkeit“ gelten ließ.5

Parallel dazu verfolgte SA-Stabschef Ernst Röhm, der sich als Nummer zwei im neuen Reich sah, ganz andere Pläne. Röhm befehligte 1934 etwa 4,5 Millionen Männer und hatte vor, auch die Reichswehr der SA zu unterstellen. Diese sollte als „Volksmiliz“ die überfällige „zweite Revolution“ der Nazis tragen, die auch soziale Inhalte haben sollte.

Diese Ambitionen erschreckten die politische Rechte und die Reichswehr, weshalb sie Hitler dazu drängten, Röhm fallen zu lassen. In einer am 17. Juni 1934 an der Universität Marburg gehaltenen Rede, die im Rundfunk übertragen wurde, positionierte sich Papen gegen diesen „linken“ Flügel der Nationalsozialisten und erinnerte daran, dass das Bündnis mit Hitler nur zustande gekommen war, weil dieser seit 1930 wiederholt versprochen hatte, den Unternehmern entgegenzukommen und die Löhne niedrig zu halten.

Papen forderte vollmundig, „das Gerede von der zweiten Welle, welche die Revolution vollenden werde“, müsse aufhören: „Es wird viel von der kommenden Sozialisierung gesprochen. Haben wir eine antimarxistische Revolution erlebt, um das Programm des Marxismus durchzuführen?“ Soziale Probleme würden schließlich nicht durch eine „Sozialisierung“ gelöst.6

Das sah Hitler insgeheim genauso. Aber natürlich war Papens Rede für die NS-Führung eine Provokation. Goebbels bezeichnete sie in seinem Tagebuch als „eine tolle Rede für die Nörgler und Kritikaster“, die „ganz gegen uns“ gerichtet sei. Zunächst wurde die Verbreitung der Rede verboten, und dann am 25. Juni der Mann verhaftet, der sie für den Vizekanzler verfasst hatte: der 40-jährige Jurist Edgar Julius Jung, enger Mitarbeiter Papens seit Herbst 1932, der unter konservative Revolution eine Art Monarchie verstand.

Jung wurde an einem unbekannten Ort erschossen; seine Leiche wurde nie gefunden. Und Papen schrieb Hitler einen unterwürfigen Brief: „Wie ich Ihnen sagte, habe ich diese Rede für Sie und für das Gelingen Ihres großen Werkes gehalten. Mein Verhältnis zu Ihnen, verehrter Herr Kanzler, ist ein anderes als das Ihrer Ressortminister, weil ich während meiner Kanzlerzeit erkannt hatte, dass die Wiedergeburt Deutschlands nur über Sie und Ihren Weg möglich sei, und weil ich deshalb Ihnen den Weg für die Zusammenfassung aller wirklich nationalen Kräfte gebahnt habe.“7 In seiner Rede habe er lediglich den „Saboteuren“ der „großen Idee“ Hitlers den Krieg erklärt, womit er die SA meinte.

Nur 13 Tage nach Papens Marburger Rede ordnete Hitler die Ermordung der SA-Führungsriege an. So nutzte er die Gelegenheit, mit einem Schlag „die SA sowie die konservativen Widersacher zu enthaupten und zugleich dem gesamten Land seine Entschlossenheit und Macht zu demonstrieren.“8 Während dieser sogenannten Nacht der langen Messer, die sich vom 30. Juni bis zum 3. Juli 1934 hinzog, wurden von der SS und Reichswehr bis zu 200 Menschen umgebracht. Die allermeisten waren SA-Mitglieder, aber es traf auch einige Dutzend Rechtskonservative wie Kurt von Schleicher.

Die Entlohnung des Oskar von Hindenburg

Schleicher und seine Frau wurden am 30. Juni 1934 in ihrem Haus von sechs Mitgliedern des Sicherheitsdienstes (SD) mit mehreren Schüssen niedergestreckt. Schleichers früherer Freund und zugleich ständiger Rivale Franz von Papen entging nur knapp der Ermordung, und zwar dank des Schutzes durch Hermann Göring, der ihn unter Hausarrest stellte. Doch Papens Pressesprecher Herbert von Bose wurde erschossen, nachdem die SS sein Büro in der Vizekanzlei gestürmt hatte.

Ein anderer Repräsentant der alten Welt dagegen musste sich keine Sorgen machen: Oskar von Hindenburg, der „in der Verfassung nicht vorgesehene Sohn des Reichspräsidenten“, wie Carl von Ossietzky lästerte. Sohn Oskar, zugleich Adjutant seines Vaters, wurde für seine Rolle als Fürsprecher Hitlers in der Entscheidungsphase zwischen dem 22. und 30. Januar 1933 reichlich entlohnt. Der Freistaat Preußen und das Deutsche Reich ermöglichten ihm die Erweiterung des Hindenburg’schen Guts Neudeck, das ihm 1934 als – steuerfreies – Erbe zufiel. Zudem wurde Hindenburg Junior am 3. August 1934 – nur einen Tag nach dem Tod des Reichspräsidenten – vom Rang des Obersten zum Generalmajor befördert.

In einem letzten Dienst für Hitler erklärte Oskar in einer Rundfunkansprache, der alte Generalfeldmarschall habe in Hitler seinen Nachfolger als Staatsoberhaupt gesehen. Schon am 1. August hatte Vizekanzler Papen, der noch auf Hindenburgs Befehl aus dem Hausarrest entlassen worden war, ein Gesetz unterzeichnet, wonach mit dem Tod des Reichspräsidenten dessen Befugnisse auf den Kanzler, sprich Adolf Hitler, übergehen sollten.

Verschont blieb auch der DNVP-Vorsitzende, politische Strippenzieher und einflussreiche Unternehmer Alfred Hugenberg. Er hatte sein Ministerium (Wirtschaft, Landwirtschaft und Ernährung) bereits im Juni 1933 verloren. Sein gesamtes Medienimperium musste er zum „Freundschaftspreis“ an Naziverlage verkaufen. Der alte Schirmherr der deutschen Rechtsextremen war nun aller politischen Handlungsmöglichkeiten beraubt, blieb aber als „Gast“ in der Reichstagsfraktion der NSDAP.

Im Juli 1934 befand sich Franz von Papen in einer surrealen Zwischenwelt: Er war zwar immer noch Regierungsmitglied, hatte aber keinen Zugang mehr zu seinen von der Gestapo versiegelten Büros. In acht unbeantworteten Briefen an Hitler9 richtete er „ein Wort des Dankes“ an den „sehr verehrten Herrn Reichskanzler“ für die Ausschaltung der SA, beklagte jedoch die Beschlagnahme seiner Akten und die Verletzung seiner „Ehre“ durch die Polizeihaft und die Ermordung seiner Berater. Er träume davon, Hitler „die Hand zu drücken“ und beteuerte seine „Loyalität“ zu ihm und seinem „Werk für unser Deutschland“. Zugleich jammerte er über das ihm auferlegte „Sonderregime“ und bat darum, „diesem unwürdigen Spiel ein Ende zu machen“.

Hitlers Entscheidung, seinen Noch-Vize zu verschonen, beruhte auf einer kühlen Überlegung: Papen war sehr nützlich gewesen. Er hatte Vater und Sohn Hindenburg davon überzeugt, Hitler zum Kanzler zu machen. Er hatte die Deutschnationalen und das Zentrum dazu gebracht, dem Ermächtigungsgesetz zuzustimmen. Und im Juli 1934 wurde er für Hitler erneut unentbehrlich. Bei einem gescheiterten Putschversuch der österreichischen Nationalsozialisten war der Bundeskanzler Dollfuß ermordet worden, der als Austrofaschist auf Distanz zu den Nazis gegangen war. Hitler befürchtete ein „neues Sarajevo“ und entsandte demonstrativ den prominenten Katholiken Papen nach Wien. Der Mann mit exzellenten Verbindungen zum Vatikan wurde zunächst zum Gesandten und später zum Botschafter des Deutschen Reichs in Österreich ernannt.

In Wien arbeitete Papen ebenso beharrlich wie devot für die erfolgreiche Umsetzung von Hitlers Politik. Er verhandelte mit dem austrofaschistischen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg über die schrittweise Unterwerfung Österreichs. Am 12. März 1938 erfolgte die Annexion als „Ostmark“; am 13. März trat Papen in die NSDAP ein.

Im April 1938 wurde die Leiche seines Mitarbeiters und Schwiegersohns in spe, Wilhelm von Ketteler, aus der Donau gezogen. Ketteler hatte wie Edgar Jung zu den konservativen Gegnern Hitlers gehört und war wie dieser von den Nationalsozialisten ermordet worden. Papen wandte sich mit einem (wieder unbeantworteten) Beschwerdebrief an Hitler10 – doch er stellte sich weiter in dessen Dienst. Im April 1939 wurde er deutscher Botschafter in der Türkei. Und am 15. August 1944 wurde ihm von Hitler persönlich das „Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes mit Schwertern“ verliehen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Franz von Papen 1947 zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, allerdings zwei Jahre später vorzeitig entlassen. Das ihm entzogene Vermögen erhielt er zurück. Er bezog eine Wohnung im oberschwäbischen Schloss Benzenhofen und legte sich im faschistischen Spanien ein Anwesen in Marbella zu. Franz von Papen starb 1969.

1 Siehe Hermann Heller, „Autoritärer Liberalismus“, in „Gesammelte Schriften“, Band 2, Leiden (A. W. Sijthoff) 1971 (zuerst 1933), S. 650. Heller emigrierte 1933 nach Madrid, wo er aber schon im November einem Herzleiden erlag.

2 Dieses wie alle folgenden Goebbels-Zitate aus: Elke Fröhlich (Hg.), Aufzeichnungen 1923–1941, „Die Tagebücher von Joseph Goebbels“, Band 1 bis 9, München (Institut für Zeitgeschichte) 1998 bis 2006.

3 Siehe Rainer Orth, „,Der Amtssitz der Opposition?‘ Politik und Staatsumbaupläne im Büro des Stellvertreters des Reichskanzlers in den Jahren 1933–1934“, Köln (Böhlau) 2016.

4 Siehe Christian Ingrao, „Croire et détruire. Les intellectuels dans la machine de guerre SS“, Paris (Fayard) 2010, sowie Johann Chapoutot, „Libres d’obéir“, Paris (Gallimard) 2020.

5 André Postert und Rainer Orth, „Franz von Papen an Adolf Hitler. Briefe im Sommer 1934“, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Band 63, Nr. 2, München (Institut für Zeitgeschichte) 2015, S. 273, www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2015_2.pdf.

6 Franz von Papen, „Rede des Vizekanzlers von Papen vor dem Universitätsbund“, Marburg, 17. Juni 1934, S. 15.

7 Zitiert in: Postert und Orth, siehe Anmerkung 5, S. 273.

8 Siehe Jens Bisky, „Die Entscheidung. Deutschland 1929 bis 1934“, Berlin (Rowohlt Berlin) 2024, S. 559.

9 Siehe Anmerkung 5, S. 272–283.

10 Siehe Eugene Davidson, „The Trial of the Germans“, New York (Mac Millan) 1966, S. 214.

Aus dem Französischen von Markus Greiß

 

Johann Chapoutot ist Historiker und Autor von „Les Irresponsables. Qui a porté Hitler au pouvoir?“, Paris (Gallimard) 2025.