Leihmutterschaft: Verboten, kontrovers, Realität
Zwei Schweizer Männer, eine US-amerikanische Frau: David und Stefan Herbst wollten ein Kind – heute haben sie Zwillinge. Eine Familie, die es nach hiesigem Recht nicht geben sollte.

Fünf Jahre lang haben sie auf diesen Moment gewartet. David und Stefan Herbst halten die Spannung kaum noch aus. Sie sitzen in einem Motelzimmer in Minnesota. Sie streiten sich vor Nervosität. Das Paar aus Zürich – das heute verheiratet ist und den Nachnamen teilt – ist mit Rachel Meyer in einem Ice-Cream-Shop verabredet. Es sei wie ein Blind Date gewesen, erinnert sich David. Alles an dieser Situation sei aussergewöhnlich gewesen – auch wenn die Zürcher zuvor bereits via Skype mit ihr gesprochen hatten.
Rachel Meyer ist die Frau, die den Traum der beiden erfüllen soll; die blonde US-Amerikanerin soll das Kind von David und Stefan austragen. Sie bringt ihren Mann und ihre zweijährige Tochter mit. Das Treffen in Minnesota wird ein voller Erfolg. Sie verbringen den ganzen Tag miteinander – und vereinbaren, dass sie es gemeinsam versuchen wollen. Das war vor zwölf Jahren.
Heute lachen David und Stefan, wenn sie davon erzählen. Sie sitzen in ihrer Küche in Zürich, in Sichtweite ein Naherholungsgebiet. Ihre zehnjährigen Zwillinge Zoe und Jan rennen immer wieder die Treppen hoch und runter. Sie wollen zu Abend essen. Der Hund liegt ruhig unter dem Tisch. Eine durchschnittliche Familie mit einer aussergewöhnlichen Geschichte.
Zoe und Jan, David und Stefan – sie heissen alle anders, aber um die Kinder zu schützen, werden die richtigen Namen nicht genannt. Auch Rachel heisst eigentlich anders. Die Zwillinge haben je einen Vater und zwei gemeinsame Mütter: eine biologische Mutter und Meyer, die «Bauchmama», wie sie von den Kindern genannt wird. Weil es in den USA einer Leihmutter verboten ist, ein genetisch eigenes Kind für eine Weitervermittlung auszutragen, braucht es eine Eizellenspenderin. David (51) und Stefan (47) sind beide biologische Väter. Beide haben ihren Samen in New York gespendet, damit fremde Eizellen befruchten und Rachel zwei Embryonen einsetzen lassen – mit Erfolg. Jan ist biologisch der Sohn von David, Zoe ist Stefans biologische Tochter.
Wer zahlt, bekommt ein Kind
Die Vermietung der eigenen Gebärmutter wird kontrovers diskutiert. Kritiker:innen argumentieren, das sei Menschenhandel. Das Geschäft mache Frauen anfällig für Ausbeutung, insbesondere, wenn sie arm seien. Vor allem Leihmütter in Schwellenländern wie der Ukraine werfen Vermittlungsagenturen schlechte Bezahlung und mangelnde Gesundheitsversorgung vor. Sie beklagen riskante Verfahren wie die Transplantation mehrerer Embryonen, was die Erfolgschancen maximieren soll. Allerdings erhöht dies das Risiko von gesundheitsgefährdenden Mehrlingsschwangerschaften. Für die Kinder kann solch eine Entstehungsgeschichte zur Folge haben, dass ihnen die Selbstfindung schwerer fällt.
Um solchen Gefahren vorzubeugen, haben David und Stefan ihren Kindern die Wahrheit erzählt. Die Zwillinge whatsappen jeden Tag mit Rachel. Die beiden Familien besuchen sich regelmässig, sind auch schon gemeinsam in den Urlaub gefahren. Befürworter:innen sagen, eine Leihmutterschaft sei für beide Seiten positiv lebensverändernd. Für die «Wunscheltern» sei es ein Geschenk nach oftmals vielen Jahren erfolgloser Fruchtbarkeitsbehandlungen, für gleichgeschlechtliche Paare eine der wenigen Möglichkeiten, ein biologisch eigenes Kind zu bekommen. Der Leihmutter bringt es Geld ein. Aber nicht nur das. Meyer, so erzählen es die beiden Zürcher, habe etwas «Gutes für andere Menschen tun wollen» – und ja, sie hätten sich die Kinder «gekauft».
Die Leihmutterschaft ist in der Schweiz seit 2001 verboten. Im Januar legte der Bundesrat einen Gesetzesentwurf vor, der künftig die Eizellenspende erlauben soll. Das Thema Legalisierung von Leihmutterschaften flackert bisher nur kurzfristig auf. Etwa 2022, als die Ehe für alle erlaubt wurde und die Operation Libero in diesem Zusammenhang die Leihmutterschaft ins Gespräch brachte. Doch die politischen Vorbehalte bleiben. Im vergangenen September fragte EVP-Nationalrat Marc Jost im Parlament, ob es der Schweiz rechtlich möglich wäre, Wunscheltern eine Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft auch im Ausland zu verbieten. Die Antwort: Nein. Eine völkerrechtliche Regelung sei nicht möglich. Zudem könnten eine Strafverfolgung und eine mögliche Verurteilung der Wunscheltern das Kindeswohl gefährden.
Die Anerkennung von Leihmutterschaftskindern ist hierzulande rechtlich heikel und kann je nach Konstellation scheitern. Eine Liberalisierung ist in der Schweiz nicht absehbar; das traditionelle Familienbild bleibt wirksam. Entsprechend geht das globale Geschäft mit der Vermarktung von Kindern und Körpern weiter. Denn wer bereit ist, Dienstleister und Drittpersonen für die Schwangerschaft und allenfalls auch für fremde Gene zu bezahlen, der kommt zu einem Kind. Wie viele von einer Leihmutter ausgetragene Kinder hierzulande leben, ist nicht bekannt. Das Bundesamt für Gesundheit verweist auf die kantonalen Aufsichtsbehörden, die für 2019 die Zahl von 42 Kindern meldeten, die durch eine Leihmutterschaft geboren wurden. Die Dunkelziffer dürfte höher sein.
Stefan lehnt erst ab
Fünf Jahre haben David und Stefan Herbst im Umfang eines Zwanzigprozentpensums für ihr Elternwerden gekämpft. Die beiden Pädagogen sind seit 2006 ein Paar. Während David schon immer einen Kinderwunsch hatte, tat sich Stefan zuerst schwer damit. «In meiner Vorstellung kam es nie vor, dass man als schwuler Mann Kinder haben könnte», sagt er. Die Vorstellung einer Leihmutterschaft habe ihn höchst irritiert. «Ich hatte ein naives Schwarzweissbild davon.»
Die beiden prüften verschiedene Möglichkeiten, etwa die, mit einem lesbischen Paar ein Kind zu zeugen. Doch Stefan «mag kein Kind produzieren, das hin und her geschoben wird». Die Erfolgsaussichten einer Adoption waren wiederum zu gering, und David wollte kein Pflegekind. «Ich kann keine emotionale Bindung zu einem Kind aufbauen und es dann weggeben», sagt er. Während des Gesprächs kommen immer wieder die Zwillinge rein. Weil sie die Geschichte ihrer Entstehung offensichtlich langweilt, sind sie schnell wieder weg.
David sprach dann das Thema einer Leihmutterschaft an, woraufhin Stefan eine «Krise schob», wie er lachend erzählt. Er habe sich gefragt, was für ein Mensch David sei. «Sind wir überhaupt auf derselben Wellenlänge? Leihmutterschaft war für mich ethisch derart schief: Ich kaufe mir ein Kind. Das ist Ausbeutung.» Erst als sie einen Bekannten in New York besuchten, der mit seinem Partner zwei Kinder von einer Leihmutter hat, sei bei ihm das Eis gebrochen. «Da haben wir erlebt, dass auch so eine ganz normale Nullachtfünfzehn-Familie entstehen kann», erinnert sich Stefan.
Beliebte Ziele für eine kommerzielle Leihmutterschaft sind Georgien, Indien, die Ukraine und die USA. Die Preisunterschiede sind immens. Eine Leihmutterschaft in den USA kann 150 000 Franken oder mehr kosten, in der Ukraine hingegen nur rund 30 000 Franken – die Leihmutter bekommt ein Drittel davon.
Es sei wichtig, zwischen einer kommerziellen und einer nichtkommerziellen Leihmutterschaft, die etwa in Kanada erlaubt ist, zu unterscheiden, sagt Lea Heistrüvers, die am Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich zum Thema Leihmutterschaft forscht. «Insbesondere bei der bezahlten Leihmutterschaft gibt es die berechtigten Sorgen über finanzielle Nöte der austragenden Frauen oder über Fragen, wie weit es sich um eine autonome Entscheidung handelt», sagt sie. Es stelle sich ferner die Frage, wie weit eine Leihmutter über ihren eigenen Körper verfügen könne: «Je nach Land und Vertrag gibt es verschiedene Klauseln; etwa dazu, wer bei einem medizinisch erforderlichen Schwangerschaftsabbruch die Entscheidungsgewalt behält.»
2014 erregte die Geschichte von Baby Gammy international Aufmerksamkeit: Der Junge wurde von einer Leihmutter in Thailand ausgetragen. Weil er das Downsyndrom hat, wollten ihn die australischen Wunscheltern dann doch nicht. Sie nahmen nur sein gesundes Zwillingsschwesterchen mit. Der Mann, von dem das Sperma stammte, war ein verurteilter Sexualstraftäter, der mehrfach Kinder missbraucht hatte. Nach dem vielbeachteten Fall wurden in Thailand Gesetze erlassen, die es Ausländer:innen verbieten, thailändische Frauen für Leihmutterschaft zu bezahlen.
Drei Geburtsurkunden
David und Stefan Herbst entschieden sich für eine Leihmutter in den USA. Ihre Wahl fiel auf eine familiengeführte Agentur in Minnesota. Sie bekamen Profile von möglichen Leihmüttern; mit Rachel Meyer «matchte» es, wie sie es sagen. Das war 2013. Es dauerte noch mehrere Monate, bis Meyer die befruchteten Embryonen eingesetzt wurden – es klappte beim ersten Mal. Die Geburt sei unvorstellbar emotional gewesen, erzählen sie. Das Paar aus Zürich, die Familie aus Minnesota – sie alle waren anwesend, und das medizinische Personal behandelte alles mit grosser Selbstverständlichkeit. Anschliessend adoptierten Daniel und Stefan die Kinder. Für den Fall, dass die Schweiz Schwierigkeiten machen würde, liessen sie drei Geburtsurkunden ausstellen: 1. Leihmutter und David; 2. Leihmutter und Stefan; 3. beide als Vater ihres genetischen Kindes, ohne Angabe einer Mutter. Der gesamte Prozess hat 150 000 Franken gekostet. Meyer bekam etwa 25 000 Franken. Das meiste Geld ging für Spital- und Anwaltskosten drauf.
Vier Wochen nach der Geburt stand ein nächster entscheidender Schritt bevor: die Rückreise. Im Kopf kreiste der Gedanke, nach Schweizer Recht vielleicht etwas Kriminelles getan zu haben, und die Sorge, die Behörden könnten ihnen die Kinder wegnehmen. David und Stefan reisten über Amsterdam, mit dem Wissen, dass sie dann bei der Einreise in die Schweiz kaum kontrolliert würden. «Neben der Geburt war das der zweitkrasseste Moment», sagt David. «Wir sind auf den Zug gerannt. Zu Hause haben wir die Tür verriegelt.»
Nun mussten sie ihr jeweils eigenes biologisches Kind auch in der Schweiz adoptieren. Denn nach drei Monaten wären die Kinder wegen ihrer US-Pässe illegal hier gewesen. Eine Anwältin half ihnen bei der Anerkennung der Vaterschaft nach hiesigem Recht. Die Behörden seien durchweg zuvorkommend gewesen, sagen sie. Nie hätten sie irgendwelche Anfeindungen erlebt. Ihre Kinder wiederum seien nie gemobbt worden. Inzwischen sind David und Stefan verheiratet; sie adoptierten gegenseitig das Kind des Partners.
Währenddessen kommen die Kinder im Pyjama in die Küche. Es ist Zeit, schlafen zu gehen. Sie haben ihre Zahnbürsten im Mund, rennen rauf und runter und diskutieren mit ihren Eltern über den morgigen Tag. Hinter ihnen auf der Kommode, ein wenig versteckt hinter anderen Fotos, steht ein Bild von Rachel Meyer und ihrer Familie.