UNRWA-Finanzierung: Droht der Bruch mit dem Völkerrecht?

Nr. 7 –

Am Montag könnte die geplante Streichung der UNRWA-Gelder eine weitere Hürde nehmen. Würde die Schweiz damit gegen internationale Verpflichtungen verstossen?

Keine Schweizer Unterstützung mehr für das Palästinenser:innenhilfswerk UNRWA. Das verlangt ein Vorstoss des Ausserrhoder SVP-Nationalrats David Zuberbühler – dem der Nationalrat im Herbst bereits zugestimmt hat. Am kommenden Montag nun wird die aussenpolitische Kommission des Ständerats weitere Weichen stellen: Sollte auch die Ständeratskommission für eine Streichung der Gelder für die UNRWA votieren, hat Zuberbühlers Anliegen gute Chancen, im Parlament durchzukommen.

Die Kontroverse um die UNRWA-Gelder reicht auf den Vorwurf Israels zurück, das Hilfswerk sei an der Planung des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen. Nachdem eine externe Untersuchung die UNRWA weitgehend entlastet hat und zwölf nachweislich am Attentat beteiligte Mitarbeiter entlassen wurden, haben die meisten Geberländer ihre Gelder wieder zugesagt. Die Schweiz hingegen blockiert weiterhin einen Teil der Gelder – und könnte sie nun also gar ganz streichen.

Vorsicht angemahnt

Im Vorfeld der Debatte wurden folgende Fragen behandelt: Würde die Schweiz damit gegen völkerrechtliche Verpflichtungen verstossen? Sich gar potenziell zur Mittäterin eines Völkermords im Gazastreifen machen?

Interne Dokumente zeigen, dass diese Fragen im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis ausführlich verhandelt wurden. Bereits im Herbst hat das Westschweizer Fernsehen RTS eine interne juristische Kurzanalyse zur Frage des Völkermordes publik gemacht. Die unabhängige Schweizer Gesellschaft der Anwält:innen für Palästina (ASAP-CH) hat nun per Öffentlichkeitsgesetz zusätzlich ein E-Mail erhalten, das eine Juristin zuhanden von Franz Perrez, Direktor der Direktion für Völkerrecht, verfasste und das der WOZ vorliegt.

Ausschlaggebend für die amtsinternen Debatten war in erster Linie das Urteil des Internationalen Gerichtshofs für Menschenrechte (IGH), der Israel im Januar 2024 zu Sofortmassnahmen verpflichtet hat, um in Gaza einen Völkermord zu verhindern. Zentrale Forderung des Gerichts: Israel müsse die humanitäre Lage im Gazastreifen verbessern. Das IGH-Urteil ist auch für Drittstaaten relevant: Als Unterzeichner der Völkermordkonvention sind auch sie verpflichtet, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um einen Völkermord zu verhindern.

Die Jurist:innen des EDA halten in ihrer zuvor erwähnten Kurzanalyse fest: Es sei nicht auszuschliessen, «dass auch in Bezug auf die entsprechende Entscheidung der Schweiz die Frage aufgeworfen werden könnte, inwieweit diese eine potentielle Verletzung der Verpflichtungen zur Verhütung und damit einen Verstoss gegen die Völkermordkonvention darstellen könnte». Zwar sei unklar, ob das Argument einer vertieften juristischen Prüfung standhalten würde, «die Frage sollte aber beim Entscheid über eine allfällige Sistierung der Beiträge mitberücksichtigt werden».

Der Grundtenor der Jurist:innen: Vorsicht. Im besagten E-Mail wirft die Juristin die Frage auf, ob die Sistierung der UNRWA-Gelder überdies gegen die Genfer Konvention verstossen könnte. Diese verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, in Kriegssituationen Hilfslieferungen ungehindert passieren zu lassen. Der Artikel betrifft grundsätzlich die angrenzenden Staaten. Doch die Juristin stellt die Frage, «ob im spezifischen Fall von Gaza die Verpflichtung, den Zugang zur humanitären Hilfe zu erleichtern, verletzt würde, wenn der einzigen Organisation, die derzeit in der Lage ist, die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung zu decken, keine Mittel mehr zur Verfügung gestellt würden».

Weshalb sind all diese Abwägungen nie in offizielle Analysen und Statements des EDA eingeflossen? Franz Perrez verwahrt sich am Telefon gegen den Vorwurf, die Völkerrechtsfrage unter dem Deckel zu halten. Er sagt, man habe in seiner Direktion alle möglichen Argumentationslinien durchgedacht, um zu prüfen, ob die Schweiz mit einer Streichung der UNRWA-Gelder potenziell Völkerrecht verletze und mit einer Klage zu rechnen habe, und man sei zum gegenteiligen Schluss gekommen. «Die Argumente für einen Verstoss gegen die Genfer Konvention sind sehr weit hergeholt.» Bei der Frage des Völkermords wiederum liege die Verantwortung bei Israel selbst: «Hilfsgüter sind genug vorhanden, die humanitäre Notlage in Gaza ist der Tatsache geschuldet, dass Israel die UNRWA an ihrer Arbeit hindert.»

Appell ans Parlament

Franz Perrez resümiert: Völkerrechtliche Argumente, eine Nichtunterstzützung der UNRWA würde eine Verletzung des humanitären Völkerechts oder der Genozidkonvention darstellen, seien nicht stichhaltig. Doch bleibt der Eindruck, dass sich das EDA, dessen Vorsteher Ignazio Cassis die UNRWA einst als «Teil des Problems im Nahen Osten» bezeichnete, nicht mit Vehemenz für die Weiterführung der Unterstützung einsetzt. Die ASAP-CH richtet vor der Debatte der Ständeratskommission deshalb einen Appell an dessen Mitglieder. Und schreibt: «Eine Kürzung der UNRWA-Mittel wird die Lebensbedingungen in Gaza definitiv verschlechtern. Eine Verletzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen kann damit nicht kategorisch ausgeschlossen werden.»