Libanon: Eine Chance ohne die Hisbollah
Nach zwei Jahren der politischen Stagnation hat der Libanon seit Samstag eine neue Regierung. Präsident Joseph Aoun und Premierminister Nawaf Salam stellten das neue Kabinett vor. Direkt im Anschluss erklärte Salam, dass er umgehend die Justiz und die angeschlagene Wirtschaft reformieren und für politische Stabilität im krisengeschüttelten Land sorgen werde. «Reformen sind der einzige Weg zu einer echten Rettung», sagte er am Samstag in einer Rede.
Der Jurist Salam, zuvor Präsident des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, der erst im Januar mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, steht vor einem Berg schwer zu lösender Probleme: Seit 2019 befindet sich der Libanon in einer Wirtschaftskrise. Der Staat ist pleite, der Bankensektor liegt brach. Das libanesische Pfund hat rund 90 Prozent seines Wertes verloren. Hinzu kommt die politische Instabilität. Ministerpräsident Nadschib Mikati hatte den Libanon seit 2022 übergangsmässig geleitet. Davor war Michel Aoun Präsident des Landes gewesen. Die verschiedenen konfessionellen Parteien waren nicht in der Lage, einen neuen Präsidenten zu wählen. Dem Libanon fehlte damit nicht nur ein Staatschef, sondern auch eine handlungsfähige Regierung. Erst im Januar dieses Jahres wurde Militärchef Joseph Aoun im zweiten Wahlgang zum Präsidenten gewählt. Dies hatte mit der anhaltenden Wirtschaftskrise zu tun, dem Krieg mit Israel und dem Sturz Baschar al-Assads. Aoun geniesst ein hohes Ansehen als integre Person, die Probleme lösen und es mit der Hisbollah aufnehmen kann.
Im am Samstag vorgestellten Kabinett, bestehend aus 24 Minister:innen, sind christliche und muslimische Kräfte gleichberechtigt vertreten. Nicht repräsentiert ist hingegen die Hisbollah, die in der letzten Regierung noch wichtige Ministerien besetzt hatte. Die Hisbollah hatte ihre Positionen dazu genutzt, politische Prozesse zu blockieren und ihre Macht immer weiter auszubauen.
Als der Konflikt mit Israel im vergangenem Jahr wieder eskalierte, gaben viele Menschen im Libanon der Hisbollah die Schuld. Momentan ist die Miliz im Libanon geschwächt. Ihre politischen Verbündeten Syrien und Iran ziehen sich zurück. Zu gross scheint die Gefahr, dass die Schiitenmilizen das Waffenstillstandsabkommen mit Israel verletzen könnten. Mit der Wahl Salams, dessen Ernennung von der Hisbollah abgelehnt wurde, stehen die Chancen also gut, dass der nächste Woche endende Waffenstillstand bestehen bleibt. Bis zum Dienstag sollen israelische Bodentruppen aus dem von der Hisbollah geräumten Süden abgezogen und die libanesische Armee nachgerückt sein. Der Libanon hat nun die Möglichkeit, sich aus dem Griff der unliebsamen Islamisten zu befreien – wenn sich Salam und sein Kabinett der Technokrat:innen durchsetzen können.