CU there : Begegnungszone: Der letzte Akt

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Zurück auf Anfang. In der lokalen Begegnungszone steht jetzt ein Tannenbaum mit Lichterketten und lustigem Selbstgemachtschmuck aka «Handsgi-Projekt». Ein Grossvater umrundet mit seinem Enkelkind auf einem Trottinett den Brunnen. Einmal, zweimal, dreimal, viermal, noch mal … Eine Person schiesst Fotos vom Weihnachtsbaumschmuck. Eine Gruppe Teenager sammelt sich um eine Bank; Vapes, FCZ-Jacken, Handysound. Ein Hund beschnuppert ein Mofa. Eine Person, die lange bei den Hochbeeten gewartet hat, geht strahlend auf eine jüngere Person zu, eine lange Umarmung, Gestikulieren, Lachen. Drei Fahrräder kommen von links, zwei von rechts, eins von oben, dann wieder eins von rechts, eins von links, dahinter ein Auto, noch ein Auto, noch eins, ein E-Roller, zwei, ein Mofa, wieder ein Fahrrad. Dann ist es kurz fast leer. Bis der Putzwagen von Grün Stadt Zürich die Stille durchbricht.

Stellen wir uns vor: der Alltag als soziale Choreografie, unsere Bewegung durch die Stadt als performativer Moment. In der Soziologie und der Tanzwissenschaft wird darüber schon lange nachgedacht. Die Stadt ist «Bühne», «Organismus», hier treffen sich «Fleisch und Stein» (Richard Sennett) zu einem gemeinsamen Spiel. Nicht inszeniert, aber trotzdem erzählend: über Ein- und Ausschluss, Ästhetik, Tempo, über das «echte» Leben und alles, was wir darin sehen wollen. Und darüber, wo Widerstand wie Löwenzahn durch den Asphalt bricht.

Zum Schluss möchte ich Sie einladen, für einen Moment bewusst Teil dieser Choreografie der Begegnungszone zu werden. Don’t worry, ich gebe Ihnen ein paar Ideen mit. Performanceleute nennen das «score»: eine Art Zutatenliste oder Spielanweisung für eine Improvisation, eine Bewegungsabfolge; eine Art, im Raum zu sein. Begeben Sie sich zunächst auf einen belebten Platz, vor Ihre Haustür, seien Sie in der Öffentlichkeit.

  1. Was riechen Sie? Was hören Sie? Was schmecken Sie? Was können Sie ertasten? Schliessen Sie dafür die Augen.
     
  2. Zählen Sie alle Bäume in Ihrer Umgebung. Alle Pfützen. Alle Pflastersteine. Alle Vögel. Alle On-Schuhe. Alle Fensterläden. Alle Kinderwagen. Alle Treppenstufen. Alle Baukräne.
     
  3. Halten Sie zwei Meter Abstand zu allen Personen um sich.
     
  4. Versuchen Sie, einer Person so nahe wie möglich zu kommen.
     
  5. Folgen Sie einer Person, ohne dass diese es bemerkt.
     
  6. Imitieren Sie den Gang einer Person.
     
  7. Grüssen Sie mindestens fünf Person in Ihrer Umgebung.
     
  8. Versuchen Sie, unsichtbar zu werden.
     
  9. Tun Sie etwas, das Sie als unerwartet oder «komisch» empfinden würden, zum Beispiel auf einem Bein stehen, den Handstand üben, sich auf den Boden legen, eine Person nach dem schnellsten Weg nach London fragen, singen. Gehen (oder rollen) Sie eine Weile im Zickzack. Im Krebsgang. Im Kreis. Rückwärts. In riesigen Schritten oder ganz kleinen. Lesen Sie alle Werbeplakate laut vor. Oder den Tramfahrplan.
     
  10. Versuchen Sie, die Begegnungszone mit Ihren Schritten zu vermessen. Wo fängt sie an, wo hört sie auf?

So, das wars, der Vorhang schliesst sich. Danke, liebe WOZ, dass ich in dieser Kolumne laut über Begegnungen und ihre Zonen nachdenken durfte. Und danke, dass Sie, liebe Leser:in, sechzehn Kolumnen lang gemeinsam mit mir nachgedacht haben. Wir sehen uns, CU there!

Schriftsteller:in Laura Leupi (29) ist in der Kolumne «CU there» durch Begegnungszonen in Zürich (und anderen) Städten gestreift und hat dabei über öffentlichen Raum, Zugänglichkeit und Verdrängung nachgedacht. Mit diesem Text endet die Serie. Wir bedanken uns bei Laura Leupi für die Arbeit.