CU there : Arbeiten, einkaufen, aushalten

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Vor kurzem sah ich in meinem Quartier ein grosses Schild, auf dem stand: «Hier entsteht eine Begegnungszone». Das Schild lud ausserdem zur Mitwirkung ein und versprach «lebendige Begegnungsorte». Eine kurze Recherche ergab: Scheisse, ich wohne bereits in einer Begegnungszone. Und wie schön sie aussieht, aus dieser Vogelperspektive! Diese Grünflächen, diese bunten Sonnenschirmpunkte, dieses Formspiel. Gut, Menschen sind grade keine zu sehen, was solls, kann man sich ja vorstellen. 

Hier jedenfalls wird das «Miteinander gelebt», ausserdem die «gegenseitige Rücksichtnahme» und das «Verständnis», schreibt die Dienstabteilung Verkehr der Stadt Zürich. Heisst: Auf diesen Strassen und Plätzen gilt Tempo 20, und Fussgänger:innen haben immer Vortritt. Für uns insgesamt leider nur befristet, weil – ach, let’s not get into that hier und jetzt.

Nach weiterer Recherche stelle ich mit Erschrecken fest, dass ich ausserdem in einer Begegnungszone aufgewachsen bin, in mehreren Begegnungszonen gearbeitet habe, in einer Begegnungszone gefeiert, gekotzt und gestritten, mich verliebt und verrannt habe, eingekesselt und angegriffen wurde. Zürich, Stadt der im Stadtplan übersichtlich türkis eingefärbten Begegnungszonen. Es gibt sie übrigens auch in Basel, Wien und sogar in Kanada, gerne nach «Berner Modell». Die Schweiz ist wieder mal gerne Vorreiterin, hat sich aber selbstverständlich «inspirieren» lassen (bei den Niederländer:innen, obviously). 

In dieser Kolumne soll es also um so called Begegnungszonen gehen. Dort, wo sich eben begegnet wird. Unklar, was überall sonst gemacht wird. Arbeiten, einkaufen, aushalten? Sich gegenseitig aus den Autofenstern und vom Velosattel anfluchen? Ein Start-up gründen? Ich beschliesse also, jemandem zu begegnen und mich in die lokale Begegnungszone zu setzen. 

Gebe den Plan auf, weil Regen und keine Sau da. Ciao, geiler Zürisummer mit Letten hängen, die leere Stadt geniessen, sich treiben lassen. Ist ja eh ein Mythos, wer will schon im Letten hängen? Hier herrscht noch richtig Dichtestress, hier ist Konfliktzone, audiovisuelle Überreizung, Blickregime und Belastungstest. Dafür wird sich begegnet, garantiert. Der kleine Weg zwischen Sihlquai und Wasserkraftwerk ist übrigens keine Begegnungszone. Hätte mich auch gewundert, dafür sind wir offensichtlich noch nicht bereit.

In meiner lokalen Begegnungszone wird unterdessen grade das Kompotoi geleert. Es hat ausserdem aufgehört zu regnen, und ein Kind hüpft durch eine Pfütze. CU there!

Schriftsteller:in Laura Leupi (29) streift in der Kolumne «CU There» durch Begegnungszonen in Zürich und schreibt immer freitags über öffentlichen Raum, Zugänglichkeit und Verdrängung.