Pop: Ein fantastischer Setzkasten

Nr. 18 –

Was alles aus dem Bass herauszukriegen ist: Martina Berther erkundet auf ihrem ersten Soloalbum die Facetten ihres Instruments.

Portraitfoto von Martina Berther
Ihr Bass klingt auch mal wie die statische Entladung beim Ausziehen eines Wollpullovers: Martina Berther. Foto: Alexandra Baumgartner

Martina Berther spielt mit ihren Fingern auf dem Bass und mit dem Ellbogen, mit Stahlwolle, einem kleinen Schlagzeugbecken, einer Stimmgabel, einem Geigenbogen, und da steht auch ein Koffer voller Effektgeräte. Eine kurze SRF-Dokumentation über sie, die letztes Jahr erschien, zeigt sie beim konzentrierten Spiel. Sie habe grossen Respekt vor der Langeweile, sagt sie – Experimentalmusik sei eine Möglichkeit, wie ihr einfach nicht langweilig werde. Spezizeug? Berther scheint ein wenig diesen Eindruck von sich und ihrer Arbeit zu haben. Sie sagt, zu ihrer Überraschung gefalle ihre Musik auch Leuten, die nicht selbst Musik machten.

Zwölf Anläufe

Ein bescheidener Anspruch; immerhin ist Berther Bassistin bei Ester Poly, jener feministischen Beinahe-Punkband mit Schlagzeugerin Béatrice Graf, die mit Stücken wie «Wet», «Slutwalk» oder «Respect My Speck» in den letzten Jahren doch einige Bekanntheit erlangt hat. Ausserdem gehört sie zu den ebenfalls tollen Aul, wo sie zusammen mit Schlagzeuger Mario Hänni und Gitarrist Roland Wäspe eine Musik zwischen Krautrock und Jazz spielt. Beide Projekte sind tendenziell vorwärtsgerichtet, treiben wütend oder verspielt voran.

Mit «Bass Works: As I Venture Into» legt Martina Berther nun ihr erstes Soloalbum vor, auf dem sie zögerlicher vorgeht; als hätte sie sich mit ihrem Bass in einen Raum gesetzt und gesagt: «So, und wir beide, was kriegen wir jetzt alles auseinander heraus?» Was mit diesem Instrument sonst noch passieren kann, das in Bands so oft für die Struktur, das Vorwärtskommen verantwortlich ist: «Bass Works» ist eine Ideensammlung, zwölf Anläufe, es auf seine Vielfältigkeit hin zu erkunden.

Kurz klingen lassen

«Wool»: ein leises, eindringliches Knistern, so ähnlich, wie sich die Haare anfühlen, wenn man den Wollpulli auszieht. «Rhythm ­Sponge»: ein alter Zug, der näher kommt, lauter wird, wieder im Nebel verschwindet. «Alienruf I» und «Pinsel» schwelen bedrohlich und langsam vor sich hin, «Obertone» und «Sprinkler» gehen neugierig voran, «Silverneck» klingt schon fast wie die Struktur für einen kleinen, feinen Krautrocksong – und bricht dann unvermittelt wieder ab. Ausprobieren, kurz klingen lassen, weitergehen: Es sind kurze Stücke, die einen in Richtung verschiedener fantastischer Welten stupsen – oft lassen sie auch an Filmmusik denken, so wie hier jeweils im Kleinen eine Stimmung erzeugt wird.

«As I Venture Into», sich hineinwagen, der Titel klingt schüchtern, auch nach Mut. Nur gerade gut 26 Minuten dauert das Album; es wirkt, als hätte sich Berther hier einen Setzkasten angelegt, in den sie ihre Klänge einsortieren und dann in Ruhe betrachten kann. Man darf hoffen, dass sie Grundlage für mehr sind.

Albumcover «Bass Works: As I Venture Into» von Martina Berther
Martina Berther: «Bass Works: As I Venture Into». Kit Records. 2024. 

Live: So, 5. Mai 2024, in St. Gallen, Perronnord Bar; Sa, 11. Mai 2024, in Tschiertschen, Aux Losanges.