Kontroverses am jüdischen Filmfestival
Der 7. Oktober 2023 hat vieles verändert. Auch fürs Yesh!, das jüdische Filmfestival in Zürich, das dieser Tage zum zehnten Mal stattfindet. Ist das Festival in diesem Kontext überhaupt durchführbar? Welche Filme können noch gezeigt werden, welche müssen jetzt erst recht?
Etwa der US-Dokumentarfilm «Israelism», der zwei jüdischen US-Amerikaner:innen folgt, die ihre pro-israelische Erziehung hinterfragen und als Propaganda dekonstruieren. Am Jewish Film Festival in San Francisco wurde «Israelism» im Juli 2023 als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Nach dem 7. Oktober veränderte sich die Rezeption des Films. In den USA sagten mehrere Universitäten Screenings ab oder verschoben sie auf unbestimmt. Auch als der Film im März in der Zürcher Zentralwäscherei gezeigt wurde, wurde Protest laut: Der Film bediene antisemitische Stereotype.
Innerhalb des Yesh!-Teams kam man zum Schluss, den Film zu zeigen, ihn aber mit einer Podiumsdiskussion zu kombinieren. Gestern Sonntag diskutierten also, moderiert von «Tachles»-Chefredaktor Yves Kugelmann, die Anglistin Elisabeth Bronfen, der Journalist und Filmemacher Richard C. Schneider, der Filmjournalist Michael Sennhauser und die Publizistin und Politikerin Marina Weisband im Zürcher Kino Frame über «Film und Konflikt».
Gegenüber dem jüdischen Wochenmagazin «Tachles» hatte Festivaldirektor Michel Rappaport gesagt, für ihn sei nicht nachvollziehbar, inwiefern «Israelism» antisemitische Stereotype bedienen solle. Das aber macht die Frage, in welchem Kontext der Film gezeigt wird, nicht weniger relevant. Denn «Israelism», merkte Richard Schneider auf dem Podium an, klammere manches aus. So thematisiere der Film zwar rechten Antisemitismus, erwähne aber nicht, dass es auch linken oder palästinensischen Antisemitismus gebe; ausserdem verwende er ein postkoloniales Vokabular – so wird Israel als «Kolonialstaat» oder als «Apartheidregime» bezeichnet –, das aber kaum kontextualisiert werde. Auf dem Podium schien man sich einig, dass das zwar legitim sei, aber benannt werden müsste. «Israelism» sei ein klassischer, handwerklich gut gemachter Agit-Dokumentarfilm, meinte Michael Sennhauser. Er habe es aber als sehr angenehm empfunden, dass der Film nicht nur emotionalisiere, sondern bei jeder Aussage die Gelegenheit biete, kurz innezuhalten und sich zu fragen: «Ja, stimmt denn das?» Dass er komplexe Fragen stelle und seelische Arbeit erfordere, befand Marina Weisband, mache «Israelism» für sie zu einem inhärent jüdischen Film.
Elisabeth Bronfen verwies darauf, dass der Film einen Generationenkonflikt zeige, den sie aus Gesprächen mit jüdischen Freund:innen in den USA kenne: Eltern verstünden ihre Kinder nicht mehr, für die wiederum sei der Holocaust weit weg. Insofern habe sie «Israelism» auch als Coming-of-Age-Film verstanden. Marina Weisband widersprach: Man dürfe den Film nicht auf diese Weise entpolitisieren; er prangere reale politische Missstände an.
Wobei sich auch die Frage stellt, an wen sich «Israelism» richtet. Sennhauser merkte an, dass der Film eigentlich für ein US-College-Publikum gedacht sei. Nach dem 7. Oktober schiesse er nun aber über seine Bubble hinaus. Auch die Vorführung und die Podiumsdiskussion am Yesh! richteten sich letztlich an eine bestimmte Bubble. Eine Ahnung davon, was der Film auslösen kann, bietet der Satz, den eine jüdische Erzieherin an einer Stelle sagt: «Israel ist das Judentum, und das Judentum ist Israel, und das ist es, was ich bin.» Er führt vor Augen, wie schmerzhaft es sein muss, angesichts der israelischen Regierungspolitik die eigene jüdische Identität neu auszuhandeln. Und er zeigt, dass es durchaus einen Unterschied macht, vor welchem Publikum (mit welchem Vorwissen) dieser Film gezeigt wird.
Mit seinem Programm versucht das Yesh!, jüdische Lebenswelten in ihrer Vielfalt abzubilden. Man wolle dieses vielstimmige Judentum feiern – oder es zumindest gemeinsam aushalten, sagte Brigitta Rotach, Programm-Mitverantwortliche, vor dem Film. Dass es durchaus ein Aushalten ist, war im Kinosaal spürbar, wo die Emotionen zuweilen hochkochten. Auf ein Statement aus dem Publikum zum Gazakrieg waren sowohl Buhrufe als auch Applaus zu hören.
Das Yesh! läuft noch bis 14. November in verschiedenen Zürcher Kinos. www.yesh.ch