«No Other Land»: Was ist los in Masafer Yatta?

Nr. 44 –

In der Region südlich von Hebron vertreibt die israelische Armee seit Jahrzehnten Palästinenser:innen. Ein Regiekollektiv dokumentiert deren Widerstand – und ihre Ohnmacht.

Filmstill aus «No Other Land»
Eine aktivistische Intervention: Der Dokfilm «No Other Land» zeigt, was die Besetzung des Westjordanlands für die Palästinenser:innen bedeutet. Still: Antipode Films

Die meisten Bewohner:innen von Masafer Yatta leben von der Landwirtschaft. An den kargen Hügeln grasen Schafe, es gibt Felder, eine Schule. Neunzehn palästinensische Ortschaften liegen hier, ein paar Kilometer südlich von Hebron, um die Stadt Yatta verstreut.

In den achtziger Jahren bestimmte der damalige israelische Landwirtschaftsminister Ariel Scharon Masafer Yatta zu einem militärischen Übungsgebiet. Jahrelang wehrten sich seine Bewohner:innen gegen diesen Beschluss. 2022 gab das israelische oberste Gericht der Armee in einem präzedenzlosen Urteil recht: Die Häuser müssen weg.

Der Dokumentarfilm «No Other Land» folgt dem jungen Aktivisten Basel Adra, der die Zerstörungen und Vertreibungen in Masafer Yatta schon seit Jahren mit seiner Kamera dokumentiert, und dem israelischen Journalisten Yuval Abraham, der für das aktivistische israelisch-palästinensische Onlinemedium «+972 Magazine» schreibt. Beide sind Teil des vierköpfigen palästinensisch-israelischen Regiekollektivs, das den Film umgesetzt hat.

Ohnmächtiger Widerstand

«No Other Land» ist ein brutaler Film. Ungeschönt zeigt er, was die Militärbesetzung für die palästinensischen Bewohner:innen von Masafer Yatta bedeutet. Soldat:innen schütten Zement in Brunnenschächte, Siedler schlagen Scheiben ein. Immer wieder stehen Kinder neben den Baggern der israelischen Streitkräfte, die Mauern einreissen, als wären sie aus Pappe. Schwer erträglich, dass diese kaputte Realität für sie Alltag ist.

Da ist aber auch eine zweite Ebene: die Freundschaft, die sich zwischen Yuval Abraham und Basel Adra entwickelt. Der Film lebt davon, dass er die Balance zwischen der alltäglichen Gewalt und dieser feinfühlig erzählten Beziehung findet. Die Dialoge zwischen den beiden sind schonungslos ehrlich und doch irgendwie liebevoll. «Ich muss mehr schreiben», sagt an einer Stelle Abraham. «Mein letzter Artikel hatte viel zu wenige Klicks.» – «Du scheinst mir zu enthusiastisch», entgegnet Adra müde spöttelnd. «Als wärst du gekommen, um alles in zehn Tagen zu lösen und dann heimzufahren.» Subtil erkunden die Filmemacher so die Machtasymmetrien zwischen ihnen; denn während Abraham, der nun etwas hilflos grinst, tatsächlich jederzeit nach Hause fahren kann, braucht Adra eine Bewilligung, um die Checkpoints zu passieren.

Weil ihnen das Recht nicht hilft, so die Botschaft des Films, bleibt den Bewohner:innen von Masafer Yatta die Kamera als einziges Mittel des gewaltlosen Widerstands. Schon seit den frühen nuller Jahren wehren sie sich gegen die Besetzung, indem sie festhalten und verbreiten, was geschieht. Einige alte Aufnahmen sind im Film zu sehen: der kleine Basel vor Armeefahrzeugen, an einer Demonstration, bei seinen Schafen – weil er unter Aktivist:innen aufwuchs, ist seine Kindheit gut dokumentiert. Aber obschon Bilder aus Masafer Yatta in der Vergangenheit immer wieder öffentliches Aufsehen erregten, hat sich nicht viel verändert. Das führt «No Other Land» eindrücklich vor Augen.

Und doch: Trotz aller Ohnmacht und Brutalität ist dieser Film unerwartet schön. Die Gespräche zwischen Adra und Abraham, Landschaften, die am Autofenster vorbeiziehen – immer wieder gibt es Szenen, in denen man sich als Zuschauer:in ausruhen kann. Das war wichtig für das Regiekollektiv. Es kursiere so viel Material, das Gewalt zeige, dass die Menschen abgestumpft seien, sagt Yuval Abraham in einem Interview. «Wir haben nach einem Weg gesucht, sie wieder zum Zusehen zu bringen.» Die ästhetische Qualität des Films sei ein wirksames politisches Werkzeug, weil sie genau das vermöge.

Nach dem 7. Oktober

Nach fünf Jahren Arbeit wurde «No Other Land» kurz vor dem 7. Oktober 2023 abgedreht. Das Massaker, das die Hamas an jenem Tag verübte, findet im Epilog Erwähnung – mehr nicht. Auch hier wird die Geschichte konsequent aus Sicht der palästinensischen Bewohner:innen von Masafer Yatta erzählt, wo die Siedlergewalt nach dem 7. Oktober stark zugenommen hat.

An der Berlinale, an der «No Other Land» dieses Jahr mit dem Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde, sorgten die Reden von Adra und Abraham für einen Eklat. Insbesondere dass Abraham die Situation in Masafer Yatta als Apartheid bezeichnete, sorgte für Debatten; aber auch, dass Adra und er das Massaker der Hamas in ihren Reden nicht erwähnten, zog Kritik nach sich. Auf der Website der Stadt Berlin heisst es, der Film weise antisemitische Tendenzen auf. Das verkennt die Komplexität der Situation. Der Umgang der Regisseure mit den Geschehnissen des 7. Oktober ist befremdlich, aber nicht antisemitisch. Ihr Film ist eine aktivistische Intervention; seine einseitige Erzählperspektive durchzuziehen, ist insofern ein legitimer Entscheid, als er die ungleichen Machtdynamiken berücksichtigt, die in Masafer Yatta spielen.

«Manchmal verstehen Leute unter Objektivität die Darstellung einer zweiseitigen Geschichte», sagte Yuval Abraham zu einer Filmjournalistin. «Aber wenn man sich Masafer Yatta anschaut, gibt es keine zweiseitige Geschichte.»

«No Other Land». Regie: Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham, Rachel Szor. Palästina/Norwegen 2024. Ab 1. November 2024 im Kino, im Rahmen von «Let's Doc!». Am 3. November 2024 Screening und Onlinegespräch mit Basel Adra und Yuval Abraham im Vorfeld des Filmfestivals «Yesh!», Kino Riffraff, Zürich.