Vergewaltigungen: Jede Sekunde strafbar!
Als Konrad Adenauer einmal öffentlich seine Meinung zu einem Sachverhalt änderte, soll er gesagt haben, niemand könne ihn hindern, im Lauf eines Jahres ein bisschen klüger geworden zu sein. Diese erfreuliche Einstellung hat nun auch das Bundesgericht gezeigt, auch wenn es zum Klügerwerden drei Jahre benötigte.
2021 bestätigte das Bundesgericht nämlich ein Urteil des Basler Appellationsgerichts, das die Strafe für einen Vergewaltiger reduziert hatte, weil die Tat «nur» elf Minuten gedauert habe. Die «im Vergleich relativ kurze Dauer einer Vergewaltigung» dürfe bei der Bestrafung eines Täters berücksichtigt werden, hielt es damals fest. Die heftigen Proteste, die auf diesen Entscheid folgten, dürften vielen noch in Erinnerung sein. Damals bemühte sich eine ehemalige Richterin in «Tagesschau» und «10 vor 10», all den empörten «Leuten, die keinen Einblick in die Rechtsprechung haben», zu erklären, dass das Urteil «das Ergebnis eines sehr komplexen Entscheidungsprozesses» sei.
Dann trat ein, was Fachleute befürchtet hatten: Im Kanton Wallis verlangte ein Vergewaltiger, basierend auf diesem Bundesgerichtsentscheid, ein milderes Urteil, weil seine Vergewaltigung ja nicht so lange gedauert habe.
Inzwischen wurde das Sexualstrafgesetz aktualisiert, und das Bundesgericht nahm den Walliser Fall gestern selber zum Anlass, sein früheres Urteil mit deutlichen Worten zu korrigieren. In einer Medienmitteilung hält es fest: «Die Bezeichnung ‹Vergewaltigung von kurzer Dauer› stellt ein Unding dar, zumal die Verletzung des geschützten Rechtsguts ab dem ersten Moment der sexuellen Handlung bewirkt wird.»
Die Dauer einer Vergewaltigung dürfe «bei der Strafzumessung in keinem Fall zu Gunsten des Täters berücksichtigt werden». Umgekehrt könne sich aber erschwerend auf die Strafzumessung auswirken, «wenn die Länge der Tat auf eine umso höhere kriminelle Energie des Täters schliessen lässt».
Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt, zeigt sich hocherfreut über das Urteil. Dass auch Jurist:innen in der Lage sind, selbstgefällte Urteile umzustossen, stimmt optimistisch.