Leser:innenbriefe

Mutmassungen über Lebenswandel
«Autoritarismus und Globalisierung: Wie viel ‹Rasse› verträgt der Neoliberalismus?», WOZ Nr. 27/25
Wieder finde ich einen Artikel zum Neoliberalismus und stimme der Analyse dieses ausbeuterischen Treibens zu. Wieder tappe ich in die Negationsfalle. Das streichelt meine Psyche, nützt den ausgebeuteten Menschen und Böden nichts. Wir sollten Vermutungen über einen Lebenswandel anstellen, das können Utopien, Entwürfe, Konzepte sein. Mutmassungen über einen anderen Lebenswandel und Mutmassungen über einen Wandel unserer Lebensweise. Beginnen wir mit dem Lebenswandel. Führen wir einen einwandfreien solchen, wenn wir uns mit Konsumgütern eindecken, die wir uns nur leisten können, weil Menschen anderswo ausgebeutet wurden: in Ostasien, in Afrika, in Osteuropa, in der Care-Arbeit, auf dem Bau? Führen wir einen redlichen Lebenswandel, wenn die Rohstoffe für unsere Geräte und Vehikel aus dem Boden in doppelter Weise ausgebeutet sind – durch die Arbeitenden und durch den Ressourcenverschleiss? Wir sind, ob wir es uns eingestehen wollen oder nicht, mit dem Neoliberalismus mitgegangen, mitgefangen. Vom täglichen Brot und Wasser bis zu unseren Pensionskassen und Renten. Wir können uns nicht mehr ausmalen, wie ein untadeliger Lebenswandel aussähe. Zu einem solchen führt ein Lebenswandel im Klimawandel. Was wir als Menschen brauchen, wüssten wir schon längst. Das finden wir in jedem Ratgeber. Zuallererst brauchen wir Beziehungen und Streicheleinheiten aller Art. Das fänden wir um die Ecke und müssten nicht mehr ausfliegen. Es lohnt sich für uns durchaus, Mutmassungen über unseren Lebenswandel anzustellen.
Otto Georg Tschuor, Seewil
Keine Stellungnahme der Gewerkschaften
«Gaza Humanitarian Foundation: Die Schweiz als willfährige Gehilfin», WOZ Nr. 28/25
Wann werden die Gewerkschaften zu den Schweizer Kriegsmaterialexporten Stellung nehmen? Die Autor:innen dokumentieren die willfährige Rolle der Schweiz bei der sogenannten Humanitarian Foundation im Gazakrieg. Der Autor beschrieb auch schon in der WOZ Nr. 22/25 die Rüstungsdeals der Schweiz mit Israel («Eine innige Partnerschaft»).
Es ist gut, dass Bundesrat Cassis aufgefordert wird, scharf Stellung zu nehmen zu den Verbrechen Israels im Gazakrieg. Aber es wäre jetzt auch wichtig, dass der Gesamtbundesrat die Rüstungszusammenarbeit mit Israel stoppt (Drohnen, Elektronik usw.). Die sieben Bundesrätinnen und Bundesräte müssten auch das Kriegsmaterialgesetz befolgen, so wie wir Gesetze befolgen müssen.
Kriegsmaterialexporte dürften nach dem Bundesgesetz über das Kriegsmaterial nicht in Länder exportiert werden, «die in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sind, in denen Menschenrechte systematisch verletzt werden, in dem das Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird oder die Rüstungsgüter an einen unerwünschten Empfänger weitergegeben werden». Kunden der Schweizer Mordindustrie sind etwa die USA, Deutschland und Italien und weitere Staaten, ohne deren Waffen Israel im Gazastreifen, in Syrien, im Libanon, im Iran und im Jemen nicht einen Tag lang Krieg führen könnte.
Wann wird meine Gewerkschaft, der Schweizerische Eisenbahnerverband (SEV), Stellung nehmen gegen die Kriegsmaterialexporte der Schweiz in diese Länder? Rüstungsgüter werden auch von der SBB und der BLS transportiert. Werden die Gewerkschaft Unia, der Bankpersonalverband, der VPOD, der Schweizerische Gewerkschaftsbund Stellung nehmen zu diesen Kriegsmaterialexporten?
Heinrich Frei, Zürich
Instant-Versprechen
«Kampfjet-Desaster: Übung abbrechen!» und «Fahnenflucht: Rette sich, wer kann», beide WOZ Nr. 27/25
Versprechen von ranghohen Mitgliedern der Classe politique entpuppen sich gelegentlich als Instant-Versprechen: Einen Löffel Wasser hinzugeben, umrühren, und die Worte lösen sich auf. Nur manchmal, da bilden sich Klumpen. Das ist der Dreck am Stecken. All diese Klumpen zusammengetragen, ergeben einen nährstoffreichen Humus, auf dem Auswüchse aller Art prächtig gedeihen.
Richard Knecht, Glarus
«Übung abbrechen!», titelt die WOZ, und es folgt auf knappem Raum faktentreu so ziemlich alles, was das F-35-Debakel verursacht hat. An der Spitze des kollektiven Versagens steht die Altbundesrätin Viola Amherd. Sie hat gute Chancen, als schlechteste Bundesrätin des ersten Vierteljahrhunderts in die Geschichte einzugehen. Das liegt nicht nur am F-35-Desaster, sondern auch an der übrigen Amtsführung (v. a. Ruag). Wenn die Dame jeweils gar nicht mehr weiterwusste, hat sie auch schlicht gelogen.
Auf die Aufarbeitung darf man gespannt sein. Dass Amherd so pfleglich behandelt wird wie bei ihrer Verabschiedung, dürfte selbst in der Schweiz ausgeschlossen sein. Dass sie eines Tages ihre Memoiren veröffentlicht und sich dort – wie Angela Merkel – einen Persilschein ausstellt, allerdings auch nicht.
Jürg Oskar Luginbühl, per E-Mail
Alle Tierarten achten
«Literatur: Von der Würde der Tiere», WOZ Nr. 27/25
Die Autorin hat mit diesem Buch wirklich viel Empathie für Tiere bewiesen. Solche Tierliebe ist zum Glück sehr häufig unter Menschen. Komischerweise ebenso häufig ist aber auch die im Buch beschriebene Gleichgültigkeit gegenüber «Nutz»-Tieren wie Rind, Schwein und Huhn, obwohl diese genau so intelligent, liebenswert, fühlend und leidensfähig sind wie die im Zentrum stehenden Zugvögel. Wir sollten jede empfindungsfähige Tierart achten und nicht die eine lieben und die andere umbringen, sie essen oder an ihnen als Versuchstieren Experimente machen. Denn alle sind unschuldig und wehrlos gegen die erlittenen täglichen Diskriminierungen.
Renato Werndli, Eichberg