38-Stunden-Woche: Keine Panik!

Die Schweiz ist nicht Island. Das sieht man schon daran, dass hierzulande weder heisse Quellen sprudeln noch Vulkane Feuer speien. Aber viel schwerer als diese fantastischen Naturphänomene dürfte ein anderer Unterschied wiegen: die wöchentliche Arbeitszeit. Island hat nämlich 2021 die gesetzliche 4-Tage-Woche eingeführt. Und wenn wir die Zeichen richtig deuten, wird in den nächsten Jahren eher im Mittelland ein Vulkan ausbrechen, als dass die Generation, die derzeit in der Schweiz an den Hebeln der politischen Macht sitzt, einer Arbeitszeitverkürzung zustimmt. Bei gleichem Lohn, versteht sich.

Anlass zu dieser – vielleicht etwas gewagt scheinenden – Einschätzung geben zwei aktuelle Entscheidungen: Als erste Gemeinde im Kanton Zürich wollte Affoltern am Albis die 38-Stunden-Woche für städtische Angestellte einführen, doch das zur Umstellung notwendige Geld liess die Gemeindeversammlung am Montag gleich wieder aus dem Budget streichen. Und das Berner Kantonsparlament war letzten Donnerstag nicht bereit, die Einführung einer 38-Stunden-Woche fürs Verwaltungspersonal überhaupt erst zu prüfen.

Lautstarker Gegner der Idee ist in Affoltern der frühere SVP-Nationalrat und Ortsbürger Toni Bortoluzzi. Durch eine Arbeitszeitverkürzung in der Verwaltung gerieten Gewerbe und Dienstleister unter Druck, die es sich nicht leisten könnten, nachzuziehen, sagte er der NZZ. Die Stadtpräsidentin halte er «in erster Linie für eine Beamtin, und das merkt man auch». Wieso er in der Sitzung mit anderen zusammen als Alternative eine Erhöhung der Löhne forderte, bleibt sein Geheimnis.

In Bern hiess es in Debatten um eine mögliche 38-Stunden-Woche: Eine Reduktion der Arbeitszeit führe zu mehr Druck für die Mitarbeitenden, weil sie dieselbe Arbeit in weniger Zeit erledigen müssten.

Dabei: Sämtliche Untersuchungen und Befragungen ergeben, dass Arbeitnehmer:innen bei kürzeren Wochenarbeitszeiten produktiver, zufriedener und gesünder sind, zumal eine Reduktion häufig den Blick für unnötige Routinen schärft. Nun müssten alle, die allein schon bei der Erwähnung des Wortes «Arbeitszeitverkürzung» reflexartig die Hände verwerfen, ja nicht erst nach Island reisen: Ein paar Blicke in die zahlreich vorhandenen Studien und auf verschiedene Versuche in der Nähe würden eigentlich genügen, um den Vorschlag nicht mehr für eine Schnapsidee von Faulpelzen und Drückeberger:innen zu halten.