Pop: Der Vibe als Message

Nr. 29 –

Das dritte Album der Berner Band Sirens of Lesbos ist ihr bisher bestes. Im Gespräch erzählen die Sängerinnen Nabyla und Jasmina Serag, warum ihre Musik politischer wird.

Diesen Artikel hören (6:27)
-15
+15
-15
/
+15
Portraitfoto der Sängerinnen Jasmina und Nabyla Serag
Die Sängerinnen Jasmina und Nabyla Serag sind das Gesicht der Band und bringen sich beim neuen Album von Sirens of Lesbos auch mehr ein als früher. Foto: Lucie Rox

Die Hitze drückt, der Schweiss läuft, die Stadt atmet schwer. Plötzlich eine Brise, die die Lethargie wegbläst und ein Gratislos für eine Auszeit am Meer herbeiwirbelt. So etwa klingt das aktuelle Album «I Got a Song, It’s Gonna Make Us Millions» von Sirens of Lesbos. Zumindest die poppigeren Singles. Doch lässt man sich auf seine Tiefen ein, wird klar: Die Band hat damit musikalisch und politisch zu einer eigenen Stimme gefunden.

Sirens of Lesbos wurden 2014 in Bern von Manager Arci Friede und Produzent Melvyn Buss gegründet, die die Sängerinnen und Schwestern Jasmina und Nabyla Serag ins Boot holten. Ihr erster Track, «Long Days, Hot Nights», wurde über Nacht zu einem Hit – vielleicht gerade wegen des flachen Deephousebeats und seinen Ibiza-Vibes. 2018 gründeten die Berner:innen selber ein Label, um dem Plastikmusikimage mit eigenem Sound zu entfliehen: Popmusik, die lässig mit Soul, Jazz, Funk, Hip-Hop, Afrobeats und Elektro flirtet. Das erste Album, «SOL», erschien 2020, 2023 folgte «Peace» und im April nun das neue Album, mit dem die Band gerade auf Europatour ist.

Schon bei ihrer Gründung etablierte die Band im Studio eine Mentalität radikaler musikalischer Freiheit. Die Arbeit an neuen Songs sei ein Kraftakt, um verschiedenste Ideen zu vereinen, erzählt Jasmina Serag im Interview, für das sich die beiden Schwestern aus Berlin und Bern online zugeschaltet haben: «Jemand schlägt einen Bass vor, eine:r hat eine Textidee, ich höre eine Bridge, jemand anderes eine Flöte.» Während früher eher Buss oder Friede die Songs schrieben, nahmen beim neuen Album die Sängerinnen mehr Einfluss. Sie sind das Gesicht der Band und stehen zusammen mit drei Livemusiker:innen, die Teil der erweiterten Band sind, auf der Bühne, während Friede und Buss nur im Studio und im Hintergrund aktiv sind.

Zu Hause in der Diaspora

Die Schwestern haben Wurzeln im Sudan und in Eritrea. Damit sie sich weiterhin als Stimme der Band identifizieren konnten, wurde es für sie zunehmend wichtig, ihr politisches Engagement einzubringen und vermehrt mit Menschen zu arbeiten, mit denen sie ähnliche Biografien teilen. «Unsere Existenz ist immer politisch, egal, was wir machen, ob wir Glace essen, in eine Moschee gehen, Musik machen. Dafür müssen wir nicht nur ernst sein oder komplizierte Argumentarien verfassen. Eine Message kann auch in einem vibigen Dancetrack transportiert werden», sagt Jasmina Serag.

Das Album beginnt träumerisch, offenbart aber beim vierten Track, «Hang On», erste rauere Klänge. Die fasrig-sphärischen Stimmen der Serags leiten über zum US-Rapper Benji, der mit makellosem Flow das Nichtaufgeben beschwört. Die wummernden Bässe und die klatschende Perkussion erinnern an die Wucht von Childish Gambinos «This Is America». Die unerwarteten Sound- und Tempiwechsel beherrscht die Band meisterhaft, sie irritieren genau im richtigen Moment.

Wie kommt es zu den prominenten Zusammenarbeiten? Nabyla Serag lacht und sagt: «Zum Glück befällt uns hin und wieder ein sogenannter GW – ein Grössenwahn, und wir schreiben einfach grosse Namen an.» So auch die kanadische Musikerin SadBoi, die sie für «Call Me Back» engagierten. Mit ihr und dem Kabusa Oriental Choir aus Nigeria entstand ein euphorisch klingender Song über die Mühen, mit Verwandten im Ausland in Kontakt zu bleiben. Ein Thema, das den beiden am Herzen liegt. Ihre Grossmutter schickte ihnen früher Sprachaufnahmen auf Arabisch, um sie an ihre Herkunft zu erinnern. Dieser Verbundenheit über die Telefonleitung ist auch das Zwischenstück gewidmet, dessen arabischer Titel so etwas wie «Tantchen» heisst, eine Aufnahme eines Gesprächs ihrer Cousinen im Sudan.

Andere Wirklichkeiten

Doch man muss kein Arabisch sprechen, um sich von dieser Musik verstanden zu fühlen. Zum Beispiel wenn man kürzlich verliebt war. Der futuristische R ’n’ B von «Room333», in dem der Hip-Hop-Künstler Zacari aus Los Angeles mit autotuniger Süsse die Strophen singt, vermittelt die vibrierende Vorfreude vor einem Treffen, eine alles einnehmende Zuversicht. Mit ihren luftigen Harmonien im Refrain erinnern die Serags hier an die britische Sängerin FKA Twigs.

Ein starker Abschluss ist «Blackberry», das die jüngste Entwicklung der Band am besten widerspiegelt. Das Lied erzählt von Schwarzen Existenzen in der Diaspora und vom Imaginieren anderer Wirklichkeiten. Die hämmernden Bässe lassen den Song wie eine Kampfansage klingen. «Du denkst, wir sind gleich, doch versuch mal, in meinen Schuhen zu gehen», heisst es darin und dann: «Würde ich die Welt regieren …». Nabyla Serag erläutert: «Dieser Satz ist ein Reflexionsraum. Es geht darum, zu erkennen, welche Grenzen mir als Schwarzer Frau mit muslimischem Hintergrund in der Welt auferlegt werden und welche Welten ich mir selber aufbauen kann. Die Kraft dieses Konjunktivs interessiert mich.»

Tatsächlich ist die Band selber zu einem Raum geworden, in dem ähnlich gesinnte und trotzdem verschiedene Menschen eingeladen sind, ihre Expertise einzubringen und Teil einer sich selbst spiegelnden Gemeinschaft zu werden. Darauf sind die Sängerinnen stolz. Obwohl es mit den Millionen im Albumtitel schwierig werden könnte, ist Jasmina Serag entschlossen: «Ich will sehen, wie weit das Projekt gehen kann.»

Cover des neuen Albums
Sirens of Lesbos: «I Got a Song, It’s Gonna Make Us Millions». 2025. Live: Bern, Gurtenfestival, Do, 17. Juli.