Pop: Haute Couture für die Goaparty

Nr. 5 –

Keine Popikonen auf Tiktok: FKA Twigs besingt auf «Eusexua» unwiderstehlich unumwunden die Freiheit in der Ekstase.

Portraitfoto der Musikerin FKA Twigs
Ein Alien, das mit Hedonismus und weiblicher Härte spielt: FKA Twigs. Foto: Jordan Hemingway

Eigentlich ist dieser Moment total bescheuert: Auftritt North West – das ist die elfjährige Tochter von Kim Kardashian und Kanye West –, die hier tatsächlich in einigen auf Japanisch gerappten Zeilen ein Loblied auf Jesus zum Besten gibt. Dazu spielt eine Art House-Beat mit Pianobegleitung, seltsam beschwingt. Jedenfalls will sich das nicht recht einfügen in die zwielichtig glühenden Ekstasen dieses Albums. Ist das nun ein misslungenes Experiment, der Makel eines ansonsten brillanten Werks? Oder schlägt FKA Twigs hier bewusst ein bisschen über die Stränge, eine musikalische Kinderei?

«Childlike Things» hat FKA Twigs diesen Song von ihrem neuen Album «Eusexua» jedenfalls genannt. 1988 als Tahliah Barnett im Westen Englands geboren, erspielte sich FKA Twigs mit dem avantgardistisch fragmentierten, bis in jedes Detail ausgearbeiteten R ’n’ B auf ihren ersten beiden Alben «LP1» (2014) und «Magdalene» (2019) grosses Ansehen als Teil eines vorausschauenden, auf diverse Einflüsse sensibilisierten Pop. Im Vergleich zu diesen gereiften Platten mit ihrem teilweise skelettösen Sound war «Caprisongs», ihr Mixtape von 2022, auch fast eine Kinderei: sehr verspielt, mit diversen Kollaborationen, mit seinen Beats aus Trap, Dancehall und Afrobeats auch sehr körperfixiert.

Abgetaucht im Prager Rave-Bunker

Über ihre herausragenden Qualitäten als Sängerin und Songschreiberin hinaus pflegt FKA Twigs eine Persona, in die ihre tausend Talente einfliessen: Sie ist Tänzerin mit schier unglaublicher Körperkontrolle, dreht Videoclips, spielt in Filmen, läuft als Model für Stardesigner. Manchmal kommt sie einem dabei vor wie ein Alien, unnahbar wie eine Ikone. Offensichtlich zelebriert sie diese Wirkung auch, gerade tauchte sie an der Paris Fashion Week auf, mit einem hippyesken Science-Fiction-Look mit Stiefeln, die an den sprechenden Hut aus «Harry Potter» erinnern, Haute Couture für die Goaparty.

Doch mit den Ikonen ist es so ein Ding in der digital ausgeleuchteten Gegenwart, wie FKA Twigs in einem Interview beklagte. Die scheinbare Freiheit, mit der Marilyn Monroe oder Grace Jones ihre unvergesslichen Gesten inszenieren konnten, das sei heute, wo jeder Schritt beobachtet und beurteilt werde, gar nicht mehr möglich. Doch dann! Tahliah Barnett war in Prag, um als Schauspielerin am Remake des Fantasyfilms «The Crow» aus den Neunzigern mitzuwirken (mit offenbar mässig gelungenem Resultat), und da tauchte sie ab in die örtlichen Rave-Bunker. Keiner kannte sie dort, im Dunkel dieser Partys getraute sie sich, ihre Glieder wieder zu schütteln, als würde niemand sie sehen.

Dieses Gefühl hat sie nun in Musik und in ein Kunstwort gebannt, das dem neuen Album seinen Namen gibt: «Eusexua». So heisst auch der erste Song, ätherisch klingt er, technoid und schlicht wunderschön. Die Glitches und Brüche von früher sind noch zu hören, vor allem in der zweiten Hälfte der Platte drücken sie durch, manchmal werden Songs wie «Sticky» am Schluss regelrecht zerstört. Doch am Anfang ist da vor allem diese unwiderstehliche, weil immer nahe am Abgrund schwebende Leichtigkeit. Etwa in «Perfect Stranger», einem feingliedrigen Garage-Dance-Song über schnellen, anonymen Sex. FKA Twigs feiert diese Art der Begegnung als lustvolle Verdrängung: «Was wir nicht wissen, wird uns nie verletzen.»

Es ist faszinierend an der Musik von FKA Twigs, wie sorgfältig gemacht sie immer wirkt und wie gleichzeitig unumwunden sie etwas sehr Bestimmtes transportiert. In «Room of Fools» ist das wieder eine Form dieser ekstatischen Art von Befreiung, der Beat gerade pochend, aber weicher als bei «Eusexua», während die Synthesizer fast wirre Schleifen ziehen. Im Refrain spielen die Melodien mit irgendeinem Tanzmusikkitsch aus den Neunzigern, während FKA Twigs ihre Stimme in ein stratosphärisches Falsett hinaufzieht, sodass einem Eusexua den Rücken runterperlt: «It feels niiiiice.»

Unmittelbar vor dem Orgasmus

«Eusexua ist für die Mädchen, die ihr wahres Ich unter einem silbernen Stiletto aus Hartmetall auf dem feuchten Rave-Boden finden», hat FKA Twigs gesagt, oder auch, es handle sich um den Moment unmittelbar vor dem Orgasmus. «Eusexua» ist also eine schillernde Sache. Ein Meme-affiner Begriff, mit dem sich Social Media elektrisieren lässt, das Spiel mit Hedonismus und weiblicher Härte: Das erinnert an Charli XCX, die vergangenes Jahr mit ihrem Album «Brat» und dem gleichnamigen Fuck-it-Partysommer für sehr viel Furore gesorgt hat.

Auch musikalisch gibt es Parallelen: Wie Charli XCX führt FKA Twigs Techniken aus der elektronischen Avantgarde über clubaffine Pop-Banger näher ans grosse Publikum heran (während Letztere doch sperriger bleibt). Wobei, neben dem hell ausgeleuchteten, knalligen «Brat» hat «Eusexua» auch eine erdigere Seite. Unter den verschiedenen grossen weiblichen Popstimmen wie Grimes oder Cher, die hier anklingen, tritt eine am deutlichsten hervor: Madonna. «Girl Feels Good» ist auch eine britisch-verspickte Hommage an deren New-Age-Meets-Dancefloor-Phase auf dem Album «Ray of Light» (1998).

Das ist doch eine schöne Fortsetzung: Wer im «Brat Summer» eine Linie Koks zu viel erwischt hat, kann doch jetzt wieder mal ein Räucherstäbchen anzünden.

Albumcover «Eusexua» von FKA Twigs
FKA Twigs: «Eusexua». Young/Atlantic. 2025.