Roman: Menschen voller Widersprüche
Als «frisch und deprimierend zugleich» beschreibt Meron Mendel den über neunzig Jahre alten, nun neu aufgelegten Israelroman «De Vriendt kehrt heim» von Arnold Zweig.

Man kann das Buch heute als Krimi lesen, aber auch als erstaunlich aktuellen Kommentar zum immer noch ungelösten Nahostkonflikt.Arnold Zweigs «De Vriendt kehrt heim» erschien erstmals 1932. Nun wurde der «erste historische Roman des Staates Israel», wie der Autor selber 1955 sein Werk charakterisiert, neu aufgelegt.
Vorbild für Zweigs Protagonisten, den ultraorthodoxen Dichter Jizchak Josef de Vriendt, war der niederländische Jurist und Schriftsteller Jacob Israël de Haan, der 1924 in Jerusalem von der zionistischen Miliz Haganah ermordet wurde. Wie der reale de Haan ist auch Zweigs fiktiver de Vriendt voller Widersprüche: ein Gegner des Zionismus mit engen Kontakten zu einflussreichen arabischen Kreisen; ein «Kämpfer und Eiferer für den Geist der Thora» – und zugleich ein «Liebhaber von Knaben».
Als Gerüchte über ein Verhältnis zu einem seiner Schüler, dem Araber Saûd, die Runde machen, gerät er in Lebensgefahr. Von den anonymen Morddrohungen gegen de Vriendt erfährt auch Zweigs zweite Hauptperson: Lolard B. Irmin, Geheimagent und Repräsentant des Vereinigten Königreichs, dessen Machtmittel im britischen Mandatsgebiet Palästina der zwanziger Jahre allerdings begrenzt sind. Auch den Mord an de Vriendt kann er nicht verhindern.
Realistischer Wunderglaube
Grössere Macht haben einige Familien der arabischen Oberschicht, denen der Boden gehört und die ihre Pächter ausbeuten. An einer Änderung der konfliktreichen Situation haben sie kein Interesse, ebenso wenig an Aufständen gegen die jüdische Einwanderung: «Der Mufti wünscht Tumulte nicht», mahnt einer der arabischen Notabeln. Nützlicher erscheinen diesen Familien öffentliche Bekenntnisse zum friedlichen Zusammenleben «mit den gottesfürchtigen Juden». Viele junge arabische Männer dagegen begeistern sich für den Nationalismus; vom ständigen Verweis der Alten auf die eigene Friedfertigkeit halten sie gar nichts.
Auch innerhalb der zionistischen Bewegung gibt es Differenzen. Gängig sind Vorurteile bezüglich der jeweiligen Herkunftsländer der Eingewanderten: Die einen verachten die «schlappschwänzigen, weichherzigen Deutsch-Juden und Austro-Juden», anderen wiederum sind die russischen Einwander:innen unheimlich. Und dann sind da noch die jüdischen Kommunist:innen, die vom gemeinsamen revolutionären Kampf mit den arabischen Massen träumen.
Kontrovers wird unter Jüdinnen und Juden auch darüber diskutiert, wer de Vriendt ermordet haben könnte. An einen politischen Mord von Juden an einem Juden mag der Philosoph Heinrich Klopfer nicht glauben. Sein Gesprächspartner, der Ingenieur Eli Saamen, hofft auf noch mehr Gewalt, um Transjordanien zu erobern, «wo unser Führer Mose begraben liegt und die Knochen unserer Vorväter in der Wüste verwehten». Dass unterdessen 3500 Jahre vergangen sind, räumt er ein. Zugleich erwartet er dramatische Veränderungen von einem arabischen Aufstand, der in der Luft liege. Dazu kommt es dann auch. Der Angriff von Muslimen auf den Tempelplatz in Jerusalem löst eine Welle von Massakern aus. Auch hier greift der Roman auf die Realität zurück: den arabischen Aufstand von 1929. In Zweigs Darstellung verlaufen die Fronten nicht eindeutig. Opfer und Täter sind weniger klar zu trennen als im heute teils wieder gängigen Narrativ vom uralten «arabischen Antisemitismus».
Trotz aller Gewalt glaubt der britische Ermittler Irmin, nachdem er den Kriminalfall gelöst hat, weiter an einen dauerhaft tragfähigen Interessenausgleich. Das tat auch der jüdische Antifaschist Arnold Zweig, der ab 1934 im Exil in Palästina lebte, bevor er 1948 nach Ostberlin zog. In seinem Vorwort zur Neuauflage des Romans bezeichnet Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, die Lektüre als «frisch und deprimierend zugleich». Denn fast ein Jahrhundert nach den geschilderten Ereignissen «bleiben zwei Völker, die miteinander oder nebeneinander zu leben verdammt sind». Das gilt auch heute, da vermittelnde Stimmen auf beiden Seiten chancenlos scheinen. Mendels Text endet mit einem Zitat von David Ben-Gurion, dem ersten Ministerpräsidenten Israels: «Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist!»
Nie ins Hebräische übersetzt
Es war der Vater des 1887 in Schlesien geborenen Zweig, der Sympathien für den Zionismus in ihm weckte, die aber schon früh erschüttert wurden. Der Fall des 1924 von Juden ermordeten de Haan habe ihn jahrelang beschäftigt, schreibt er später. Mit dem Roman habe er den «Auftrag» erfüllt, eine «Kritik des modernen Nationalismus am jüdischen Nationalismus» zu demonstrieren. Dass sein Buch nie ins Hebräische übersetzt wurde, ist angesichts dieser Position nicht mehr ganz so verwunderlich. Heute hilft seine Lektüre gegen die Vorstellung, im israelisch-palästinensischen Konflikt würden sich zwei monolithische Blöcke gegenüberstehen. Vielmehr existieren auf beiden Seiten noch immer widersprüchliche Haltungen und Ideologien, die auch die jahrzehntelang als alternativlos propagierte «Zweistaatenlösung» zum Scheitern brachten. Das ist vielleicht die wichtigste Botschaft, die Zweig mit seinem Roman der Nachwelt hinterlassen hat.
