Faschismus in Italien?: Der Korrumpator

Nr. 51 –

Italiens Regierung wird oft belächelt. Der Historiker Carlo Moos lotet die Abgründe des «Berlusconismus» aus und zeigt: Ein Vergleich mit Mussolini ist durchaus angebracht.


Als Silvio Berlusconi 1994 in die Politik ging und sich zum Retter seines Landes hochstilisierte, kannte man ihn als erfolgreichen Unternehmer: Sein Aufstieg hatte Jahre zuvor im Bauwesen begonnen, mit Grossprojekten an der Mailänder Peripherie. Mit den Erträgen war er ins Mediengeschäft eingestiegen und binnen weniger Jahre zum Fernseh-Tycoon geworden, der den Privatfernsehmarkt zu kontrollieren und das Staatsfernsehen zu infizieren vermochte. Laut einer Glosse im «Corriere della Sera» nehmen seither an Talkshows jeweils ein Abgeordneter X, ein Professore Y, ein Zeitungsdirektor Z sowie eine beliebige Frau teil, deren Bedeutung darin bestehe, «che sia mezza nuda», sich halb nackt zu zeigen.

In diesem durch die Macht des Fernsehens seicht und schlüpfrig gewordenen Ambiente betrieb Berlusconi den Gang in die Politik als Werbekampagne. Ende März 1994 errang er mit seiner fussballerisch Forza Italia genannten Bewegung den ersten Wahlerfolg. Seine erste Regierung bildete er dann mit Gianfranco Fini, den er aus der postfaschistischen Ecke holte und politisch salonfähig machte, und mit Umberto Bossi von der Lega Nord. Sie hielt keine neun Monate und stürzte, weil Bossi absprang und eine Polemik gegen den selbstherrlichen «Berluskaiser» lostrat. Danach wechselten sich die Regierungen Dini, Prodi, D’Alema und Amato ab, bis Berlusconi 2001 erneut siegte. Mit seiner zweiten Regierung hielt er eine ganze Legislaturperiode durch – ohne mehr zu leisten als Massnahmen gegen den Sozialstaat zu treffen und Rechtsbeugungen der verschiedensten Arten zu begehen.

2006 gewann Romano Prodi zum zweiten Mal, wurde aber schon bald von den eigenen Leuten zu Fall gebracht. So schlug im April 2008 Berlusconis dritte Stunde. Seither regiert er mit einer noch satteren Mehrheit als beim zweiten Anlauf, hat sich aber derart in Skandalen und Rundumschlägen verfangen, dass man sich fragen kann, wie lange seine Mehrheit noch halten wird.

Mussolinis langer Schatten

Dieser kurze Blick auf die politischen Verläufe der letzten anderthalb Jahrzehnte könnte den Eindruck erwecken, als wäre Berlusconi die mehr oder weniger harmlose Karikatur eines Politikers. Irrtum! Er ist als Phänomen gefährlich. Das zeigt sich, wenn man ihn in einen geschichtlichen Kontext stellt.

Im Jahr 2004 publizierte der Historiker Robert O. Paxton sein Buch «Anatomie des Faschismus». Darin werden fünf Stadien des Faschismus in Aktion präsentiert: Die Geburtsphase dieser Bewegungen vor dem Ersten Weltkrieg, ihre Einwurzelung in die politischen Systeme während und nach dem grossen Krieg, ihr Griff nach der Macht, ihre Herrschaftsausübung und schliesslich ihre Radikalisierung im Nationalsozialismus. Paxtons Schlussfolgerung, dass «authentische» Radikalisierung nur beim Nationalsozialismus anzutreffen sei, ist allerdings heikel, weil sie das Potenzial des italienischen Faschismus unterschätzt. Das könnte den Topos von den guten ItalienerInnen gegenüber den bösen Deutschen verstärken. Richtig ist aber, dass Faschismus in Paxtons Stufenmodell auch nach dem (vermeintlichen) Ende immer möglich ist, nur nicht unbedingt bis zur äussersten Radikalisierung, die der Nationalsozialismus mit beispielloser Perfektion praktiziert hat.

Heisst das, dass der «Berlusconismus» als besondere Form des Faschismus zu interpretieren wäre? So einfach liegen die Dinge nicht. Doch lohnt es sich, der Tatsache nachzugehen, dass Mussolini in Italien noch immer präsent ist. Hier wäre etwa an den Kult um sein Geburtshaus und sein Grab in Predappio zu erinnern, vor allem aber daran, dass keine ernsthafte Abrechnung mit dem Faschismus stattgefunden hat: Italien wollte rasch zum politischen Alltag zurück – als ob das faschistische Regime eine normale Regierung gewesen wäre.

Il Buffone

Die Verharmlosung des Faschismus hängt auch damit zusammen, dass man seine karikaturistische Fassade bevorzugt. Emblematisch ist etwa der Auftritt eines faschistischen Würdenträgers in Fellinis «Amarcord»: Der mit Spannung Erwartete taucht vor dem Bahnhof von Rimini unvermittelt aus dem Rauch der Dampflok auf und jagt, zum Beweis seiner Sportlichkeit, an der Spitze des Umzugs im Laufschritt an der Spalier stehenden Menge vorüber. Auf heutige BetrachterInnen wirkt Mussolini in seinen Auftritten ähnlich clownesk, vor allem wenn er mit grimmigen Grimassen unter riesigen Uniformmützen den militärischen Charakter seines Regimes illustriert.

Von der Showfassade des Mussolini-Regimes ist der Schritt zu Berlusconi ein kleiner: Zum «buffone», der mit einer Bandana Tony Blair und Gattin empfängt oder mit vier Damen auf den Knien posiert und anlässlich eines Nato-Erinnerungsfotos seinem Vordermann das «cornuto»-Zeichen aufsetzt. Ins gleiche Kapitel gehört das Brüsten mit der eigenen sexuellen Potenz. Und das wiederum erinnert an die Geschichte von Mussolini, der es auf dem Teppich seines Arbeitszimmers im Palazzo Venezia getrieben haben soll, während die Schreibtischlampe brannte, damit die Untertanen dachten, er arbeite spät nachts noch.

Als Zwischenbilanz ist an dieser Stelle festzuhalten: Berlusconi kann in Bezug auf die überspitzte Personifizierung der Politik, die auf ihn allein ausgerichtet sein soll, und in Bezug auf die Showeffekte seiner Auftritte durchaus mit Mussolini verglichen werden.

Selbstverständlich muss klargestellt sein, dass Mussolinis Machtmittel andere waren: Die Schwarzhemden und andere staatliche Schlägertruppen (Squadre und Ceka), Tribunale oder die Verbannung («Confino») – Gewaltmittel, die bewirkten, dass Opposition nur im Ausland möglich war. Sie werden nicht besser, wenn Berlusconi behauptet, Mussolini habe niemanden umgebracht, sondern seine Gegner in die Ferien geschickt. Eine Behauptung, die sich einreiht in die vielen Gags, für die er berühmt geworden ist: Die Qualifizierung eines deutschen Europa-Parlamentariers als «kapo» – so nannte man KZ-Häftlinge, die der Lagerleitung zuarbeiten mussten – oder die Bezeichnung des neuen amerikanischen Präsidenten als «giovane, bello e abbronzato» – jung, schön und gebräunt.

Solche groben Scherze sind emblematisch für einen Politstil, der mit simplen Argumentarien auskommt und mit massiver Publikumsbeeinflussung operiert. Alle Register werden gezogen: Finanzen locker gemacht, Geschenke präsentiert, Posten zugeschachert und Unterstützung bei bürokratischen Abläufen zugesichert. Wie im Fall des Escortgirls Patrizia D’Addario, die – weil das Versprechen nicht eingelöst wurde – das mit dem Handy aufgenommene Bettgeflüster öffentlich gemacht hat. Darauf ist die gut geölte Kommunikationsmaschine, die anlässlich des Erdbebens von L’Aquila noch zur Höchstform aufgelaufen war, ins Stottern geraten – etwa mit der unübertrefflichen Formulierung des Berlusconi-Anwalts Niccolò Ghedini, alles Veröffentlichte über bezahlten Sex seines Chefs sei falsch, und wenn es richtig wäre, wäre er nur der «utilizzatore finale», der Endverbraucher gewesen.

Zwielichtiges Imperium

Dieses peinliche Satyrspiel illustriert wichtige Seiten des berlusconischen Systems und unterstreicht seinen Charakter als klientelistische Beziehungsmaschine mit einer fast konkurrenzlosen Medienmacht. Zu ihr gehören nebst Verlagen und Zeitungen auch Werbeagenturen und Filmverleihhäuser und vor allem drei private Fernsehkanäle sowie – wegen des mittlerweile schief gewordenen Duopols – auch das Staatsfernsehen. Angesichts dieser weitgehenden Kontrolle gibt es auf nationaler Ebene kaum Widerstand, ausser seitens der «Espresso»-«Repubblica»-Gruppe. Doch die verfügt in einem Land von NichtleserInnen über wenig Zugriffsmöglichkeiten auf die öffentliche Meinung. Um so mehr wird sie von Berlusconi verteufelt, denn in seiner Optik zieht die linksliberale Tageszeitung «La Repubblica» die Fäden des schleichenden Staatsstreichs und macht Italien vor der Welt lächerlich.

Was die politische Opposition anbelangt – das, was sich von Romano Prodis Ulivo in reduzierter Form im Partito Democratico findet –, so hat sie sich mit ihrer meisterhaft betriebenen Selbstzerfleischung selbst ins Abseits gestellt. Trotz einer eigenen klaren Mehrheit und des blossen Schattens einer Opposition versucht Berlusconi den Rest eines normal funktionierenden Parlamentarismus mit dem Vorschlag auszuhebeln, nur noch die Fraktionschefs abstimmen zu lassen. Das Demokratieverständnis, das sich hinter solchen Vorschlägen verbirgt, erinnert an die Ausschaltung des Parlaments durch Mussolini. Das Verfassungsgericht, das Berlusconi im Oktober in Sachen Immunität zurückgepfiffen hat, hat auch darauf hingewiesen, dass der Regierungschef den Ministern gegenüber nur die Position eines Primus inter Pares habe. Deshalb bestehe kein Grund, ihn bevorzugt zu behandeln. Umso mehr passt dieser Handlungsstrang ins Kapitel der auf Berlusconi zugeschnittenen Gesetze, die den Rechtsstaat seit Jahren delegitimieren.

Der Hauptbefund ist demnach weniger, dass der «Berlusconismus» einige Stufen von Robert O. Paxtons Faschismusmodell illustrieren könnte, sondern dass Berlusconi als Korrumpator Italiens ebenbürtig neben Mussolini gehört. Die Welt ist anders geworden, Europa hat sein dominierendes Gewicht verloren. Italien ist definitiv zu einer Mittelmacht abgerutscht. Wenn es in der Weltpolitik noch eine Rolle spielen kann, dann nur im Schlepptau der Grossmächte – wie 2003, als sich Berlusconi im Verein mit Tony Blair und José María Aznar demonstrativ an die Seite von George W. Bush stellte und die unselige Spaltung in ein «altes» und ein «neues» Europa und den Irakkrieg mitverschuldete. Auch wenn dieses Thema kaum angesprochen wird: Berlusconis Mitverantwortung ist gross, und es könnte gerade seine Sekundanz gewesen sein, die den Ausschlag für den Waffengang gegen Saddam Hussein gegeben hat.

Was uns blühen könnte

Ein Korrumpator Italiens ist Berlusconi aber vor allem kraft seiner Medienmacht geworden, für die sogar eine Naturkatastrophe zum propagandistischen Glücksfall mutiert. Ein Korrumpator auch mit der Dürftigkeit seiner Fernsehprogramme, mit der Oberflächlichkeit der Argumentation, mit dem grobschlächtigen Umgang mit andern Meinungen sowie mit der Reduktion der Frau auf ein Objekt männlicher Lust. Gerade die Sexualisierung des Medienbetriebs und die Abwertung der Frau gehören zu den augenfälligsten Resultaten des gesellschaftlichen Wirkens des Medienzars.

Als Korrumpator wirkt Berlusconi schliesslich mit der von ihm praktizierten Überzeugung, dass man alles versprechen und kaufen könne und es nicht auf das Wesen der Dinge und der Menschen, sondern allein auf den Schein ankomme. Ob man an einem Tag das eine und am nächsten das Gegenteil sagt, ist nebensächlich. Es zählt nur das Resultat, erhoben in der Form von konfektionierten Umfragewerten, auf die gestützt man gegenüber jeder Kritik ungerührt feststellen kann: «gli italiani mi amano così», mein Volk liebt mich so, wie ich bin.

Bekanntlich hat Mussolini der Welt den Faschismus gebracht, Berlusconi dagegen nebst sich selbst – einem Chamäleon – seine Videokratie und damit die neue Form eines postdemokratischen Medienpopulismus. Der italienische Germanist und Essayist Claudio Magris hat unlängst in der Frankfurter Paulskirche ausgeführt, als italienischer Patriot hoffe er, dass sein Land nicht wie beim Faschismus noch einmal «Vorkämpfer in negativem Sinn» sein werde. Leider ist es dies bereits.

Muss man folgern, dass Italien für Korrumpatoren besonders anfällig und infolgedessen besonders verführbar sei? Dies wäre eine zu schiefe Pauschalisierung. Sind ItalienerInnen aber vielleicht anfälliger für klientelistische Verhaltensweisen, die nicht mit Mord- und Totschlag einhergehen, sondern im Sinne des Mafiösen als Lebenseinstellung einem «amoralischen Familismus» folgen? Klientelistische Beziehungen prägen die italienische Geschichte seit der Römerzeit. Patronage zeigt sich in den Netzwerken des Risorgimento und des liberalen Italiens im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Nach dem Faschismus und der Democrazia-Cristiana-Suprematie scheint sie erst recht wieder aufgeblüht zu sein ... nicht nur in Italien. Insofern wäre Italien uns anderen, die wir mit Verblüffung und etwelcher Trauer von aussen zusehen, einfach eine Nasenlänge voraus. Es zeigt, was uns blühen könnte.


Zum Autor

Der Historiker Carlo Moos (geboren 1944) ist Professor an der Universität Zürich und spezialisiert auf die Geschichte Italiens im 19. und 20. Jahrhundert. Der vorliegende Text ist die gekürzte Fassung seiner Abschiedsvorlesung «Forza, povera Italia! Silvio Berlusconi von aussen gesehen», die er am Mittwoch, 16. Dezember, an der Universität Zürich gehalten hat.