Nanoforschung: «Wir haben enorm viel voneinander gelernt»

Nr. 49 –

Alke Fink und Barbara Rothen-Rutishauser haben das Adolphe-Merkle-Institut in Fribourg als nationales Kompetenzzentrum für Nanoforschung etabliert. Dabei war dessen Start noch von Machtkämpfen gezeichnet gewesen.

Die Nanoforscherinnen Alke Fink und Barbara Rothen-Rutishauser zogen ihre Strategie durch: «Wir wollten die Professur zusammen oder gar nicht.»

Barbara Rothen-Rutishauser und Alke Fink teilen sich seit drei Jahren eine Professur für Bionanomaterialien am Adolphe-Merkle-Institut (AMI) der Universität Fribourg. Beide haben Familie, leiten je fünf bis sechs Forschungsprojekte, sind verantwortlich für rund dreissig MitarbeiterInnen und Teil des AMI-Direktoriums. Auf die Frage, ob sie manchmal an ihre Grenzen stossen, lachen beide. «Also, im Moment ist es sehr schlecht, uns das zu fragen», sagt Rothen-Rutishauser, und Fink ergänzt sofort: «Das hat aber nichts mit unserem Modell zu tun.» Sondern, wie beide aufzählen, mit einer Flut an Kommissionssitzungen in den vergangenen Wochen sowie dem Umzug des AMI in die neuen Räumlichkeiten der ehemaligen Klinik Garcia und dem Tag der offenen Tür am 29. November.

Weit weg scheinen die Querelen, die die Gründung des Instituts begleiteten, nachdem der Freiburger Industrielle Adolphe Merkle der Universität Ende 2007 hundert Millionen Franken zur Errichtung eines Nanoforschungsinstituts gestiftet hatte. Im Gegenzug forderte Merkle über seinen Stiftungsrat immer mehr Mitbestimmung, bis der damalige Direktor Peter Schurtenberger Anfang 2010 kündigte, weil er die Forschungsfreiheit gefährdet sah (siehe WOZ Nr. 5/2010 ).

Die Chemikerin Alke Fink hatte da bereits von der ETH Lausanne an die Uni Fribourg gewechselt – weil sie von der Idee eines Nanoforschungsinstituts begeistert war. Die Biologin Barbara Rothen-Rutishauser, damals noch an der Uni Bern tätig, hatte sie über ein gemeinsames Projekt kennengelernt. Beide interessierten sich für die Professur am AMI, zögerten aber angesichts des Zeitaufwands, der mit dem Institutsaufbau verbunden war. «Irgendwann klopfte ich einfach beim Dekan an und fragte, was passieren würde, wenn wir uns gemeinsam bewerben würden», erinnert sich Fink. «Er war begeistert!»

«Wir zogen unsere Strategie durch», bekräftigt Rothen-Rutishauser: «Zusammen oder gar nicht. Das kam gut an.» Hilfreich war auch, dass es das Modell der geteilten Professur an der Uni Fribourg bereits gab.

«Soft science» ist auch wichtig

Zum Zeitpunkt ihrer gemeinsamen Bewerbung hatten Universität und Stiftungsrat das Seilziehen um die strukturelle Ausgestaltung des AMI beendet – sehr zugunsten des Stiftungsrats, der seither nicht nur paritätisch mit der Uni im Institutsrat vertreten ist, sondern auch Direktor und Vizedirektor des AMI ernennt und bestimmt, wer im wissenschaftlichen Beirat sitzt. In Berufungskommissionen ist er nicht vertreten. Würde ihm ein Kandidat oder eine Kandidatin nicht passen, könnte der Stiftungsrat eine Berufung aber per Veto verhindern – was er im Fall von Rothen-Rutishauser und Fink nicht getan hat.

«Das AMI wurde mit der Vision gegründet, viele Disziplinen unter einem Dach zusammenzubringen», sagt Barbara Rothen-Rutishauser. «Jetzt haben wir diese interdisziplinäre Vernetzung nicht nur am Institut, sondern sogar noch innerhalb der Gruppe» – sowie innerhalb ihrer Doppelprofessur. Das führe bis heute immer wieder zu Diskussionen, weil sie sich fachlich miteinander auseinandersetzen müssten. «Aber wir haben enorm viel voneinander gelernt, und das nehmen wir auch in die Projekte mit.»

Mittlerweile sind Rothen-Rutishauser und Fink zum Aushängeschild des AMI geworden. Zu ihren MitarbeiterInnen zählen nebst zwei Technikerinnen vor allem DoktorandInnen und Postdocs. Sie kommen ursprünglich aus der Chemie, der Biologie, der Physik, der Biochemie, den Materialwissenschaften, der Biotechnologie. Eine solch heterogene Gruppe zu vernetzen, brauche extrem viel Energie, sagen beide Professorinnen. Und dazu zählt nicht nur das Vermitteln harter Wissenschaft, sondern auch ganz viel «soft science», also Arbeit ausserhalb der Forschung.

Etwa wenn es um Frauen- und Nachwuchsförderung geht. «In unserer Gruppe haben wir sehr viele schwangere Männer», sagt Fink, «Männer, die bald Vater werden oder es bereits sind.» Ihnen bieten die beiden an, auf achtzig Prozent zu reduzieren oder zeitweise zu Hause zu arbeiten, um alles unter einen Hut zu kriegen, wenn die Partnerin auch arbeitet. «Wir kennen das nur zu gut, wir mussten da beide auch durch.» Im Fall der Frauen achten Fink und Rothen-Rutishauser vor allem darauf, dass sie ihnen für künftige Bewerbungen zur Chancengleichheit verhelfen.

Und sie bringen auch ihre persönlichen Erfahrungen ein, erzählen, wie es bei ihnen gelaufen ist, was sie anders machen würden, aber auch, an welchem Punkt sie aussteigen würden. «Manchmal muss man schon ein paar Dinge klarstellen», sagt Rothen-Rutishauser, «zum Beispiel, dass wir unsere Publikationen regelmässig am Abend und am Wochenende schreiben.»

Ein neues Lungenzellenmodell

Eben hat sie ein Paper zur Veröffentlichung eingereicht, das in zwei Jahren Laborarbeit entstanden ist und bahnbrechendes Potenzial birgt: ein Lungenzellenmodell aus dem 3D-Drucker. Statt mühsam von Hand Zellsuspensionen auf ein Nährmedium zu pipettieren, druckt der Bioprinter aus Containern erst das Wachstumsgel und dann die Zellsuspension aus – wobei jede Zelle einzeln platziert werden kann und so eine hauchdünne, homogene Zellschicht entsteht. «Das ist gerade im Fall der Lunge sehr wichtig, weil die Lungenbarriere sehr dünn ist im Vergleich etwa zur Haut oder zum Magen-Darm-Trakt», so Rothen-Rutishauser.

Dank dieser Eigenschaft eignen sich diese standardmässig reproduzierbaren Zellkulturen aus dem Bioprinter speziell für In-vitro-Studien, die untersuchen, wie die menschliche Lunge auf Fremdkörper wie Nanopartikel reagiert oder wie durchlässig diese Barriere für Medikamente ist. «Insbesondere in der Risikoforschung lassen sich dank des Modells viele Tierversuche einsparen», sagt Rothen-Rutishauser. «Denn wenn wir Nanomaterialien testen und bereits im Zellkulturmodell feststellen, dass sie toxisch sind, dann braucht es gar keine weiteren Untersuchungen.»

Risikoforschung wird am AMI grossgeschrieben, wie beide Frauen betonen. «Praktisch alle Nanomaterialien, die bei uns entwickelt werden und von denen man weiss, dass sie mit Mensch und Umwelt in Kontakt kommen können, schauen wir konsequent auf mögliche toxische Effekte hin an», sagt Fink. In den vergangenen fünf Jahren sei es schwieriger geworden, neue Nanomaterialien auf den Markt zu bringen. «Ich glaube, dass die Industrie ob all der Diskussionen um mögliche toxische Effekte von Nanomaterialien sehr vorsichtig geworden ist.»

Das ist eine Entwicklung, die der Strategie des Stiftungsrats diametral entgegenläuft, verfolgte der inzwischen verstorbene Adolphe Merkle doch explizit das Ziel, Forschungsresultate möglichst schnell zur Anwendung zu bringen. Im Hinblick auf einen raschen Technologietransfer hat sich der Stiftungsrat nicht nur das Recht am geistigen Eigentum, das normalerweise bei der Universität liegt, gesichert. Er übt auch einen gewissen Druck auf die WissenschaftlerInnen am AMI aus. «Man schaut uns schon sehr auf die Finger», sagt Barbara Rothen-Rutishauser. «Wir müssen alle drei Monate einen detaillierten Report abliefern, das ist ein ziemlicher Aufwand.»

Breiter Leistungsausweis

Patentieren lässt sich das von Rothen-Rutishausers Team entwickelte Zellkulturmodell nicht. «Aber wir überlegen uns, aufgrund unserer breiten Expertise von der Herstellung von Nanomaterialien über die Charakterisierung von Nanopartikeln bis hin zu den ersten Zelltests einen Service anzubieten», sagt Rothen-Rutishauser.

Im aktuellen Jahresbericht des AMI wird das Verfahren als erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Industrie herausgestrichen: Der Bioprinter ist von der lokalen Start-up-Firma «regenHU» entwickelt worden. Ansonsten hat das AMI – trotz Druck der Stiftung – bislang nur fünf weitere Projektpartnerschaften mit der Industrie etablieren können.

Der wissenschaftliche Leistungsausweis hingegen ist beachtlich: 64 Publikationen allein im Jahr 2013, rund vier Millionen Franken eingeworbene Drittmittel im laufenden Jahr. Noch immer im Aufbau begriffen – aktuell läuft das Berufungsverfahren für die vierte Professur, 2015 startet ein neues Masterprogramm –, hat sich das AMI als Nanoforschungsinstitut bereits einen Namen geschaffen. Mit dem Gross- und Langzeitprojekt «Bioinspirierte Materialien» ist es 2014 zum nationalen Kompetenzzentrum in Sachen Nanoforschung avanciert.

Auch dabei waren Rothen-Rutishauser und Fink von Anbeginn beteiligt; jetzt gehören sie zum Management des Nationalen Forschungsschwerpunkts, leiten gemeinsam eines der drei Forschungsmodule und sind zuständig für die Frauenförderung. An Grenzen gestossen sind die beiden mit ihrer Doppelprofessur also bislang tatsächlich nicht.