Presse: Tamedia plant ein Massaker

Nr. 32 –

Tamedia bereitet den radikalen Umbau ihrer Tageszeitungen vor. Ende August entscheidet der Verwaltungsrat über ein konkretes Abbauprojekt, sagen Insider. Die Belegschaften – besonders in Bern – sind schwer verunsichert.

Die Rede ist vom möglicherweise heftigsten Abbau der Pressevielfalt, den die Schweiz je gesehen hat. Und selbst Chefredaktoren würden inzwischen nach den Gewerkschaften rufen: Die Gerüchteküche brodelt, seit der Zürcher Tamedia-Konzern angekündigt hat, Szenarien für den Umbau seiner Tageszeitungsredaktionen auszuarbeiten. Offenbar soll mit dem Halbjahresergebnis am 29. August ein radikaler Abbau bekannt gegeben werden.

Eine gut informierte Quelle aus dem Hause «Tages-Anzeiger» sagt zur WOZ: Der Verwaltungsrat fälle Ende August kurz vor Bekanntgabe des Halbjahresergebnisses einen Entscheid über eine der Um- und Abbauvarianten, die ein Projektteam mit ChefredaktorInnen im Rahmen des sogenannten Projekts 2020 erarbeitete. Vermutlich laufe es auf einen gemeinsamen Mantel für alle Tamedia-Tageszeitungen hinaus. Das würde bedeuten, dass praktisch überall dieselben Texte in den Bereichen Ausland, Wirtschaft und Kultur zu lesen wären.

Das Projektteam durfte die Ergebnisse seiner Arbeit dem Verwaltungsrat offenbar nicht selber vorstellen. Der Verwaltungsrat schottet sich ab und berät allein. Von ihm dringt nichts nach aussen. Die Belegschaften der Tamedia-Tageszeitungen «Tages-Anzeiger», «Bund», «Berner Zeitung» («BZ»), der drei Zürcher Landzeitungen und weiterer der «BZ» zugewandter Blätter sind von den Diskussionen über die Zukunft ausgeschlossen – und entsprechend stark verunsichert. Die WOZ hat mit diversen JournalistInnen aus den Redaktionen von «Bund», «Berner Zeitung» und «Tages-Anzeiger» gesprochen und ihnen Anonymität zugesichert. Sollte es wie beim «Mai-Massaker» 2009, als Tamedia 52 «Tagi»-Leute auf die Strasse stellte, zu einer Massenentlassung kommen, müssen KritikerInnen mit Nachteilen rechnen. Damals entliess Tamedia zwei Tage nach einer Protestaktion der Redaktion ausgerechnet den Präsidenten der Personalkommission.

«Berner Zeitung» unter Druck

Die Konzernleitung rechnet offenbar damit, dass ihre Tageszeitungen in naher Zukunft nahezu inserate- und werbefrei sein werden. Allerdings verdient Tamedia mit ihren Onlinekaufhäusern ordentlich und erzielte trotz Medienkrise in den vergangenen zehn Jahren einen kumulierten Gewinn von 1,5 Milliarden Franken. Während die Zeitungsredaktionen Federn lassen mussten, liessen es sich AktionärInnen, Verwaltungsrat und Konzernleitung gut gehen: Im erwähnten Zeitraum schüttete der Konzern ans Aktionariat 400 Millionen Franken aus, Konzernleitung und Verwaltungsrat sahnten 100 Millionen ab. Anders als im alten Geschäftsmodell, als mit den Einnahmen aus dem Inserategeschäft in Journalismus investiert und Journalismus querfinanziert wurde, ist die Konzernlogik seit den frühen nuller Jahren unter dem damaligen CEO Martin Kall eine andere: Das florierende Onlinegeschäft ist vom Journalismus entkoppelt. Die Zeitungen müssen sich selber finanzieren. In wenigen Jahren hängt ihr Überleben praktisch allein von den LeserInnen ab, von Abos und Kioskverkäufen.

Sollte sich der Verwaltungsrat tatsächlich für einen gemeinsamen Mantel für alle Tamedia-Tageszeitungen entscheiden, würde es einen Titel im Verbund besonders treffen: Während der «Bund» und der «Tages-Anzeiger» seit Jahren einen gemeinsamen Mantel herstellen, beliefert die «Berner Zeitung» im eigenen Konzern die drei Zürcher Landzeitungen, die «Freiburger Nachrichten» und das «Bieler Tagblatt». Mit einem gemeinsamen, von sogenannten Kompetenzzentren bestückten Mantel wären die entsprechenden Stellen bei der «Berner Zeitung» überflüssig. Die besorgten RedaktorInnen schrieben deswegen Tamedia CEO Pietro Supino einen Brief und wiesen darauf hin, dass sie bereits heute sehr effizient produzierten. Die Antwort richtete «BZ»-Chefredaktor Peter Jost via Redaktionsblog aus: «Er (Supino) verfolge die Arbeit der ‹BZ›-Redaktion mit grosser Freude und teile die Einschätzung, dass es uns gelingt, mit einem motivierten Team täglich eine gute Zeitung zu machen.» Ein Mitglied der Redaktion sagt dazu: «Es klang in meinen Ohren wie die Durchhalteparole eines Fussballtrainers, der in der Halbzeitpause sein aussichtslos zurückliegendes Team aufzurichten versucht.»

Eine Stimme aus der «Tages-Anzeiger»-Redaktion: Komme es tatsächlich zu einem weiteren Abbau, würden die erfahrenen Leute vermehrt von selber gehen. Die Identifikation mit der eigenen Zeitung bröckle. Und: Bereits heute müssten die Ressorts mit externen Anbietern zusammenarbeiten, und das System des gemeinsamen Mantels bestehe im Ansatz bereits – etwa beim gemeinsamen Mantel von «Tagi» und «Bund» sowie der Zusammenarbeit des Auslandressorts mit der «Süddeutschen Zeitung».

Das zynische Narrativ

Auf der «Bund»-Redaktion herrsche «eine gedrückte Stimmung», und man übe sich in Galgenhumor. Die «BZ»-Redaktion befinde sich in einer Art «Schockstarre». So bringen Redaktionsmitglieder der beiden Zeitungen das Klima auf den Punkt. «Manche haben noch nicht realisiert, was auf sie zukommt, oder verdrängen es, andere rechnen mit dem Schlimmsten.» Übereinstimmung gibt es auch bei der Einschätzung, wie die Konzernleitung die bevorstehenden Schritte der Öffentlichkeit verkaufen werde: Der Abbau werde als Qualitätssprung verkauft, nach dem Motto: Für Sie, liebe LeserInnen, schreiben jetzt nur noch die Besten der Besten.

Die Zeitungsnamen blieben erhalten, die Medienvielfalt sterbe, da sei dieses Narrativ geradezu zynisch, bringt es einer auf den Punkt. Bereits würden Shortlists mit den Namen jener JournalistInnen kursieren, die man für die sogenannten Kompetenzzentren gewinnen möchte, die den Einheitsmantel bespielen sollen. Unklar sei ausserdem, ob von einem allfälligen Stellenabbau auch die Lokal- und Regionalredaktionen betroffen wären.

Ob Ende August ein schleichender Abbau eingeleitet oder ein Erdbeben stattfinden wird, weiss niemand. Ein Paukenschlag ist wohl eher unwahrscheinlich. Denn die Tamedia-Zeitungen haben unterschiedliche Redaktionssysteme und Softwareumgebungen. Eine Quelle schätzt, dass ein solcher Umbau zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen würde, eine Vereinheitlichung und Umschulungen bräuchten Zeit. Und noch etwas scheint klar: Abtauschdeals mit Christoph Blochers «Basler Zeitung» sind vom Tisch.

Die Befürchtungen auf den Redaktionen wollte Tamedia-Sprecher Christoph Zimmer nicht kommentieren: «Ich hoffe, Sie verstehen, dass wir nicht über Entscheide spekulieren, die noch nicht gefällt sind.»

Immerhin: Die sonst stark konkurrierenden MitarbeiterInnen von «BZ» und «Bund» solidarisieren sich inzwischen untereinander. Demnächst findet vor dem gemeinsamen Redaktionsgebäude ein gemeinsames Essen statt, es gibt «Einheitsbrei». Und: «Bund»-Leute treffen sich bereits regelmässig mit der Mediengewerkschaft Syndicom. Mittlerweile stossen auch «BZ»-Leute dazu. Allerdings ist die Gegenwehr schwierig, solange die JournalistInnen nicht wissen, wogegen genau sie sich wehren sollen.

Der neue Verlegerinnenverband : «Die Tür stand weit offen»

Alles begann mit einem SMS-Wechsel: Hansi Voigt, einstiger Gründer von «Watson» und nun mit dem Aufbau der digitalen Plattform «We Publish» beschäftigt, fragte Simon Jacoby vom Stadtmagazin «Tsüri.ch», ob man nicht einen neuen VerlegerInnenverband gründen sollte. Jacobys Antwort war kurz und knapp: «Wann?» An einer ersten Sitzung vor fünf Wochen waren vier Medienbetriebe dabei, darunter auch die WOZ. An der nächsten waren es bereits sieben, an der Gründungsversammlung am letzten Montag in Zürich trugen sich nun fünfzehn Mitglieder ein: vom Kulturmagazin «Saiten» aus St. Gallen bis zum «L’Hebdo»-Nachfolger «Bon pour la tête» in Lausanne waren sie aus der ganzen Schweiz gekommen.

Überhaupt war die Romandie, wo zuletzt die heftigsten Sparrunden erfolgten, stark vertreten. Als grössere Betriebe neben der WOZ sind die Basler «TagesWoche» sowie die sich im Aufbau befindliche «Republik» mit dabei. Der Berufsverband der JournalistInnen Impressum oder Medienfördervereine wie Media pour tous machen als Passivmitglieder mit.

Simon Jacoby, der an der Versammlung zum Präsidenten gewählt wurde, zeigt sich vom Interesse an der Idee überrascht: «Die Tür stand offenbar weit offen.» Die Unzufriedenheit vieler Medienschaffender mit dem bestehenden Verlegerverband VSM sei spürbar. «Anstatt sich für vielseitigen Journalismus einzusetzen, machen die dort vertretenen Konzerne das Gegenteil: Sie sparen die Redaktionen tot und zahlen ihren Managern Millionensaläre aus.»

Der neue Verband, der sich selbstbewusst «Verband Medien mit Zukunft» nennt, verfolgt das Gegenteil. Als Zweck wurde festgelegt, dass er unabhängigen Journalismus sowie neue und bestehende Medienmarken fördern soll. Er will sich zudem als gewichtige Stimme für den Journalismus in die medienpolitische Debatte einbringen und die Medienkompetenz in den Schulen fördern. Damit die Konzerne den neuen Verband nicht entern können, zumindest nicht, ohne ihre Geschäftspolitik zu ändern, wurde eine Klausel eingefügt: Mitglied soll nur sein dürfen, wer wiederholte Gewinne in journalistische Ressourcen steckt.

Für Hansi Voigt war ein Podium mit «BaZ»-Verleger Markus Somm ein Schlüsselerlebnis auf dem Weg zur Gründung des Verbands. Dieser habe behauptet, in zehn Jahren gebe es sowieso keine Verleger mehr, die mit Medien Geld verdienten. «Ich habe nichts dagegen, wenn sich die Verleger nur noch fürs Geschäft statt für den Inhalt interessieren», sagt Voigt. «Aber dann sind sie die falschesten Vertreter für publizistische Fragen.» Diese sollten im Zentrum der Medienpolitik stehen: Wie können Medien, gerade in der häufig unterbeleuchteten Regional- und Lokalpolitik, zu einer differenzierten Diskussion beitragen? Dafür brauche es eine technische Infrastruktur, die man am besten kollaborativ erstelle, weil sie für die einzelnen Medien zu teuer sei. «Dann kann der Wettbewerb um die Inhalte beginnen.»

Erfreulich am neuen Verband: Im Gegensatz zur Altherrenriege des VSM sitzen im neu gewählten siebenköpfigen Vorstand drei Frauen. Die Genossenschaft Infolink als Herausgeberin der WOZ wird von ihrer Marketingfachfrau Camille Roseau vertreten.

Kaspar Surber