Rap: Alle schreien: «Ausziehen, ausziehen!»

Nr. 43 –

Das Rapduo SXTN gibt verbal auf die Fresse, direkt, derb und unverschämt. Dafür verwenden die jungen Frauen Machorhetorik und bezeichnen sich selbst als «Fotzen». Dürfen sie das?

«Viele Leute halten uns für hohle Asi-Bratzen»: Nura und Juju im Zürcher Club Exil.

«Wir ficken deine Mutter ohne Schwanz!» Beim Refrain stehen die Rapperinnen Juju und Nura breitbeinig auf der Bühne des Zürcher Clubs Exil und imitieren in machoider Manier diese Gestik, die aussieht, als würden sie sich selbst an ihre – nicht existenten – Hoden fassen. «Deine Olle wird zur Lesbe, sie will Sex mit mir», gehts weiter im Text.

Die Menge tobt, das Publikum – egal welchen Geschlechts – schreit den Refrain mit. Der 2016 veröffentlichte Track «Deine Mutter» bedient sich üblicher Klischees des Gangsterraps: Die Sprache ist derb, die Mütter anderer Leute kommen meist nicht gut weg. Aber «ohne Schwanz», das ist neu. Auf Youtube zählt die Single inzwischen 1,5 Millionen Aufrufe.

Kiffen, Party machen und saufen

Das aufstrebende Berliner Hip-Hop-Duo von Juju und Nura polarisiert. 2014 gegründet, hat sich seit 2016 ein regelrechter Hype um die zwei jungen Frauen entwickelt, die sich selbst als «Fotzen» betiteln. Nach der Single «Deine Mutter» veröffentlichten die beiden Rapperinnen 2016 die EP «Asozialisierungsprogramm» und 2017 das Album «Leben am Limit». Rapperin Nura Habib Omer hat saudische und eritreische Wurzeln. Sie war drei Jahre alt, als ihre Mutter mit ihren Geschwistern nach Deutschland flüchtete, wo Nura die ersten Jahre in einer Asylunterkunft verbrachte. Mit knapp 18 ist die heute 28-Jährige nach Berlin gezogen. Juju Wessendorfs Vater ist Marokkaner. Aufgewachsen ist die 24-Jährige im lange als Berliner Problembezirk stigmatisierten Neukölln und mit dem Soundtrack von Aggro Berlin, Bushido und Kool Savas.

Um Kiffen, Partymachen und Saufen drehen sich die Lieder von SXTN. Hymnen der Jugend. Übers Schwarzfahren und Pleitesein, denn «Geld ist nur ein Blatt Papier. Roll es ein und lass mal zieh’n». Einige Zeilen sind Slogans, wie «fuck the police», andere wiederum thematisieren die Gentrifizierung Berlins oder Rassismus. «Was willst denn du mit deinem Rassenhass? (…) Eure braune Scheisse riecht mies nach Dreck. Ich bin schwarz, ich bin schwarz, es geht niemals weg.» 6,5 Millionen Klicks.

Ihre aktuelle Tour «Kann sein, dass scheisse wird» ist seit Wochen ausverkauft – auch das Konzert im Club Exil letzte Woche. Hier quetschen und drängeln sich SXTN-Fans mit lila gefärbten Haaren, Skinnyjeans und Sneakers aneinander vorbei. Das Durchschnittsalter liegt etwa bei zwanzig, junge Frauen sind in der Überzahl. Jemand wirft einen BH auf die Bühne, auf den eine Telefonnummer gekritzelt ist. Ganz vorne in der ersten Reihe steht eine Sechzehnjährige mit roten Haaren und Nasenpiercing, sie kann Zeile für Zeile mitsingen. Was gefällt ihr an SXTN? «Die direkte Art und dass es Frauen sind, die so was machen.» Sie schenkt Sängerin Nura ein Feuerzeug mit Cannabissymbol.

Aber dürfen Frauen «so was» überhaupt machen? Und ist das am Ende gar feministisch, wenn Frauen Machorhetorik aufgreifen? Seit die Single «Deine Mutter» erschienen ist, ist diese Debatte rund um SXTN aufgeflammt und hat sich bis heute medial weitergesponnen. «Emanzipation ohne Überbau», titelt etwa die FAZ. «Aus Versehen politisch», attestiert die «Berner Zeitung» – schliesslich war SXTN 2016 mit dem Rapper Frauenarzt auf Tour, der für seine sexistischen Texte bekannt ist. Das «Magazin» wiederum hofft, dass sich nun kein «Teenie-Boy» dazu legitimiert fühle, Mädchen als «Fotzen» zu beleidigen.

Während der aktuellen Tour stellt sich SXTN keinen Fragen von JournalistInnen. Zur Debatte, dass das Hip-Hop-Duo verbal auf die Fresse gibt, haben sich die Rapperinnen aber bereits zur Genüge geäussert. So sagte etwa Juju Anfang 2017 im Interview mit einem Berliner Stadtmagazin: «Ich hasse das Wort eigentlich. Aber wir haben es ins Schöne gedreht. Ähnlich wie bei ‹Nigger› im Hip-Hop. Die Schwarzen haben es auf sich selbst angewandt und dadurch umgedeutet. Trotzdem darf es nicht jeder Weisse sagen. Genauso wenig wie Männer uns als Fotzen bezeichnen dürfen.» Im Englischen ist der Diskurs um die Wiederaneignung bestimmter Wörter wichtiger Bestandteil der feministischen Theorie. So plädiert etwa die britische Feministin Laurie Penny für die positive Verwendung von «cunt», dem englischen Pendant zu «Fotze».

Schuld daran, dass es einerseits umgangssprachlich kaum geeignete Bezeichnungen für die weiblichen Geschlechtsteile gibt und andererseits kaum Schimpfworte, die sich nicht auf die Herabwürdigung von Frauen oder deren Genitalien beziehen, ist aber nicht der Gangsterrap, sondern sind die sexistischen gesellschaftlichen Strukturen an sich. Diese widerspiegeln sich im Hip-Hop genauso wie in der Popmusik oder im Schlager. Nichtsdestotrotz drängt sich beim Konzert im «Exil» zuweilen die Frage auf: Wie verstehen die männlichen Teenager den Text eigentlich? Was, wenn sie es vor allem geil finden, «Fotze» und «ficken» zu brüllen?

Sowohl den Medien wie den Jungs haben SXTN inzwischen ein paar zynische Songzeilen gewidmet: den Medien mit «die Fragen ergeben ’nen ewigen Kreis: ‹Wie ist es, als Weiber in dieser Szene zu sein?›» Den Jungs: «Typen unter achtzehn. Wollen uns gerne nackt sehen. Und alle schreien: ‹Ausziehen, ausziehen!› Alle werden bei der Show ohnmächtig. Denn diese Welt ist oberflächlich.» Auch das Zürcher Publikum schreit mit: «Ausziehen, ausziehen!»

Nichts gegen Mütter!

SXTN ist Gangsterrap aus einer weiblichen Perspektive. Im Track «Frischfleisch» beschreiben sie nervige Anmachen und Belästigungen im Club. «Er will Sex» verhandelt sexuellen Konsens – «Du willst mich ficken. Aber du darfst es nicht, weil ichs verbiete.» Nachdem das Duo den Track in Zürich performt hat, lässt es das Instrumental von Opus’ «Life Is Life» einspielen und skandiert: «Nein heisst nein, na naaa na na naa!»

«Viele Leute halten uns für hohle Asi-Bratzen», sagte Nura gegenüber dem deutschen Hip-Hop-Magazin «Juice». Sie würden aber deshalb nicht aufhören, Schimpfworte zu benutzen oder explizite Texte zu rappen. Als «zwei Weiber» fallen sie damit auf. Ihr wäre es lieber, wenn man sie einfach als Rapband wahrnehmen würde.

Nura und Juju rappen nicht in politischer Mission, sondern weil sie rappen wollen. Allfälligen Widersprüchlichkeiten begegnen sie mit Sätzen wie: «Wir mögen Mütter, aber manchmal machen wir halt Battle-Rap.»

Weil sie sich als junge Frauen in eine Männerdomäne vorwagen, werden ihre derben Texte als provokant aufgefasst, sie gelten als polarisierend. Doch in der aufgeregten Debatte darüber, ob Frauen nun auch fluchen und fremde Mütter beleidigen dürfen, gehen andere Fragen still und leise unter. Fragen wie: Warum sind die Produzenten und Manager von SXTN alle männlich? Und warum sind genau dies die mächtigen Positionen, die finanziell vom Erfolg der Band wohl am meisten profitieren?